Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Betrachtungen
Die Gemsen.
Dieses Thier verdient besonders, seiner Art zu leben
wegen,
Daß wir auch ihr Daseyn froh und bedachtsam über-
legen.
Sollte man sie nicht zugleich Bürger schroff- und holer
Klüfte,
Und erhabene Bewohner über uns erhabner Lüfte,
Mit Erstaunen nennen müssen? So wie jedem Thier hie-
nieden,
So ist ihnen in der Höhe nur ihr Aufenthalt beschieden.
Damit nichts auf dieser Erde von des Schöpfers Wun-
dern leer,
Und vom Vorwurf seiner Güte jeder Raum erfüllet wär',
Hat er in der Gemsen Körper solche Werkzeug' fügen
wollen,
Daß sie Sturz und Fall nicht scheuen, und da gern sind,
wo sie sollen.
Jhre starke Hörner sind so verwunderlich gekrümmt,
Daß sie sich an ihnen hangen und vom Fall befreyen
können.
Jhre starkbenervte Schenkel sind zum Springen recht
bestimmt,
Eine solche Augenmaaße hat Gott ihnen wollen gön-
nen,
Daß sie nicht im Sprunge fehlen. Sie probiren einen
Stein
Mit vorausgesetztem Fuß, ob er los ist oder fest,
Welches ja besondre Vorsicht in der Handlung blicken
läßt.
Sonst
Betrachtungen
Die Gemſen.
Dieſes Thier verdient beſonders, ſeiner Art zu leben
wegen,
Daß wir auch ihr Daſeyn froh und bedachtſam uͤber-
legen.
Sollte man ſie nicht zugleich Buͤrger ſchroff- und holer
Kluͤfte,
Und erhabene Bewohner uͤber uns erhabner Luͤfte,
Mit Erſtaunen nennen muͤſſen? So wie jedem Thier hie-
nieden,
So iſt ihnen in der Hoͤhe nur ihr Aufenthalt beſchieden.
Damit nichts auf dieſer Erde von des Schoͤpfers Wun-
dern leer,
Und vom Vorwurf ſeiner Guͤte jeder Raum erfuͤllet waͤr’,
Hat er in der Gemſen Koͤrper ſolche Werkzeug’ fuͤgen
wollen,
Daß ſie Sturz und Fall nicht ſcheuen, und da gern ſind,
wo ſie ſollen.
Jhre ſtarke Hoͤrner ſind ſo verwunderlich gekruͤmmt,
Daß ſie ſich an ihnen hangen und vom Fall befreyen
koͤnnen.
Jhre ſtarkbenervte Schenkel ſind zum Springen recht
beſtimmt,
Eine ſolche Augenmaaße hat Gott ihnen wollen goͤn-
nen,
Daß ſie nicht im Sprunge fehlen. Sie probiren einen
Stein
Mit vorausgeſetztem Fuß, ob er los iſt oder feſt,
Welches ja beſondre Vorſicht in der Handlung blicken
laͤßt.
Sonſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0272" n="252"/>
        <fw place="top" type="header">Betrachtungen</fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Die Gem&#x017F;en.</hi> </head><lb/>
          <lg type="poem">
            <l><hi rendition="#in">D</hi>ie&#x017F;es Thier verdient be&#x017F;onders, &#x017F;einer Art zu leben</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">wegen,</hi> </l><lb/>
            <l>Daß wir auch ihr Da&#x017F;eyn froh und bedacht&#x017F;am u&#x0364;ber-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">legen.</hi> </l><lb/>
            <l>Sollte man &#x017F;ie nicht zugleich Bu&#x0364;rger &#x017F;chroff- und holer</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Klu&#x0364;fte,</hi> </l><lb/>
            <l>Und erhabene Bewohner u&#x0364;ber uns erhabner Lu&#x0364;fte,</l><lb/>
            <l>Mit Er&#x017F;taunen nennen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en? So wie jedem Thier hie-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">nieden,</hi> </l><lb/>
            <l>So i&#x017F;t ihnen in der Ho&#x0364;he nur ihr Aufenthalt be&#x017F;chieden.</l><lb/>
            <l>Damit nichts auf die&#x017F;er Erde von des Scho&#x0364;pfers Wun-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">dern leer,</hi> </l><lb/>
            <l>Und vom Vorwurf &#x017F;einer Gu&#x0364;te jeder Raum erfu&#x0364;llet wa&#x0364;r&#x2019;,</l><lb/>
            <l>Hat er in der Gem&#x017F;en Ko&#x0364;rper &#x017F;olche Werkzeug&#x2019; fu&#x0364;gen</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">wollen,</hi> </l><lb/>
            <l>Daß &#x017F;ie Sturz und Fall nicht &#x017F;cheuen, und da gern &#x017F;ind,</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">wo &#x017F;ie &#x017F;ollen.</hi> </l><lb/>
            <l>Jhre &#x017F;tarke Ho&#x0364;rner &#x017F;ind &#x017F;o verwunderlich gekru&#x0364;mmt,</l><lb/>
            <l>Daß &#x017F;ie &#x017F;ich an ihnen hangen und vom Fall befreyen</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">ko&#x0364;nnen.</hi> </l><lb/>
            <l>Jhre &#x017F;tarkbenervte Schenkel &#x017F;ind zum Springen recht</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">be&#x017F;timmt,</hi> </l><lb/>
            <l>Eine &#x017F;olche Augenmaaße hat Gott ihnen wollen go&#x0364;n-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">nen,</hi> </l><lb/>
            <l>Daß &#x017F;ie nicht im Sprunge fehlen. Sie probiren einen</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Stein</hi> </l><lb/>
            <l>Mit vorausge&#x017F;etztem Fuß, ob er los i&#x017F;t oder fe&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Welches ja be&#x017F;ondre Vor&#x017F;icht in der Handlung blicken</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">la&#x0364;ßt.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Son&#x017F;t</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0272] Betrachtungen Die Gemſen. Dieſes Thier verdient beſonders, ſeiner Art zu leben wegen, Daß wir auch ihr Daſeyn froh und bedachtſam uͤber- legen. Sollte man ſie nicht zugleich Buͤrger ſchroff- und holer Kluͤfte, Und erhabene Bewohner uͤber uns erhabner Luͤfte, Mit Erſtaunen nennen muͤſſen? So wie jedem Thier hie- nieden, So iſt ihnen in der Hoͤhe nur ihr Aufenthalt beſchieden. Damit nichts auf dieſer Erde von des Schoͤpfers Wun- dern leer, Und vom Vorwurf ſeiner Guͤte jeder Raum erfuͤllet waͤr’, Hat er in der Gemſen Koͤrper ſolche Werkzeug’ fuͤgen wollen, Daß ſie Sturz und Fall nicht ſcheuen, und da gern ſind, wo ſie ſollen. Jhre ſtarke Hoͤrner ſind ſo verwunderlich gekruͤmmt, Daß ſie ſich an ihnen hangen und vom Fall befreyen koͤnnen. Jhre ſtarkbenervte Schenkel ſind zum Springen recht beſtimmt, Eine ſolche Augenmaaße hat Gott ihnen wollen goͤn- nen, Daß ſie nicht im Sprunge fehlen. Sie probiren einen Stein Mit vorausgeſetztem Fuß, ob er los iſt oder feſt, Welches ja beſondre Vorſicht in der Handlung blicken laͤßt. Sonſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/272
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/272>, abgerufen am 19.04.2024.