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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

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über das Reich der Thiere.
Das Murmelthier.
Der Bewohner der Gebirge, das verschlafne Murmel-
thier,
Jst von einer andern Art. Dieß, wenn es im Schnee u. Frost,
Seine meiste Zeit verschläft, kömmt im Frühling nur herfür
Und besorgt zu künft'gem Winter auf das neue Nest und
Kost.
Jhre Löcher richten sie mit besondrer Ordnung ein;
Daß sie nämlich frey von Unrath, und beständig reinlich seyn,
Graben sie ein eignes Loch. Wie sie zu den nöth'gen Dingen,
Die sie zu dem Lager brauchen, Gras und Heu zusammen
bringen,
Jst wohl recht verwunderlich. Eins sieht man sich nie-
derstrecken,
Die vier Beine über sich, da die andern es bedecken,
Und so viel es halten kann,
Busch und Strauchwerk auf ihn tragen,
Dann fass't jedes dessen Schwanz sanfte mit den Zähnen an,
Und so schleppen sie gewöhnlich diesen lebendigen Wagen
Als bey einer Deichsel fort. Dieß thut einer nach dem
andern,
Jeder, wenn die Reih ihn trifft, muß nach dieser Ordnung
wandern,
Keiner wird damit verschonet. Wenn es frißt, sitzt dieses Thier,
Hält die Kost in rordern Pfoten, wie ein Eichhorn, fast wie
wir.
Fleisch vom Murmelthier soll niedlich, wie das beste Wild-
prät, schmecken,
Und sein Schmalz ist trefflich heilsam. Kann man also auch
in ihnen,
Da sie uns zu mancherley Nutzen und Ergetzen dienen,
Eines weisen Wesens Absicht, Weisheit, Macht und Lieb'
entdecken.
Das
uͤber das Reich der Thiere.
Das Murmelthier.
Der Bewohner der Gebirge, das verſchlafne Murmel-
thier,
Jſt von einer andern Art. Dieß, wenn es im Schnee u. Froſt,
Seine meiſte Zeit verſchlaͤft, koͤmmt im Fruͤhling nur herfuͤr
Und beſorgt zu kuͤnft’gem Winter auf das neue Neſt und
Koſt.
Jhre Loͤcher richten ſie mit beſondrer Ordnung ein;
Daß ſie naͤmlich frey von Unrath, und beſtaͤndig reinlich ſeyn,
Graben ſie ein eignes Loch. Wie ſie zu den noͤth’gen Dingen,
Die ſie zu dem Lager brauchen, Gras und Heu zuſammen
bringen,
Jſt wohl recht verwunderlich. Eins ſieht man ſich nie-
derſtrecken,
Die vier Beine uͤber ſich, da die andern es bedecken,
Und ſo viel es halten kann,
Buſch und Strauchwerk auf ihn tragen,
Dann faſſ’t jedes deſſen Schwanz ſanfte mit den Zaͤhnen an,
Und ſo ſchleppen ſie gewoͤhnlich dieſen lebendigen Wagen
Als bey einer Deichſel fort. Dieß thut einer nach dem
andern,
Jeder, wenn die Reih ihn trifft, muß nach dieſer Ordnung
wandern,
Keiner wird damit verſchonet. Wenn es frißt, ſitzt dieſes Thier,
Haͤlt die Koſt in rordern Pfoten, wie ein Eichhorn, faſt wie
wir.
Fleiſch vom Murmelthier ſoll niedlich, wie das beſte Wild-
praͤt, ſchmecken,
Und ſein Schmalz iſt trefflich heilſam. Kann man alſo auch
in ihnen,
Da ſie uns zu mancherley Nutzen und Ergetzen dienen,
Eines weiſen Weſens Abſicht, Weisheit, Macht und Lieb’
entdecken.
Das
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[283/0303] uͤber das Reich der Thiere. Das Murmelthier. Der Bewohner der Gebirge, das verſchlafne Murmel- thier, Jſt von einer andern Art. Dieß, wenn es im Schnee u. Froſt, Seine meiſte Zeit verſchlaͤft, koͤmmt im Fruͤhling nur herfuͤr Und beſorgt zu kuͤnft’gem Winter auf das neue Neſt und Koſt. Jhre Loͤcher richten ſie mit beſondrer Ordnung ein; Daß ſie naͤmlich frey von Unrath, und beſtaͤndig reinlich ſeyn, Graben ſie ein eignes Loch. Wie ſie zu den noͤth’gen Dingen, Die ſie zu dem Lager brauchen, Gras und Heu zuſammen bringen, Jſt wohl recht verwunderlich. Eins ſieht man ſich nie- derſtrecken, Die vier Beine uͤber ſich, da die andern es bedecken, Und ſo viel es halten kann, Buſch und Strauchwerk auf ihn tragen, Dann faſſ’t jedes deſſen Schwanz ſanfte mit den Zaͤhnen an, Und ſo ſchleppen ſie gewoͤhnlich dieſen lebendigen Wagen Als bey einer Deichſel fort. Dieß thut einer nach dem andern, Jeder, wenn die Reih ihn trifft, muß nach dieſer Ordnung wandern, Keiner wird damit verſchonet. Wenn es frißt, ſitzt dieſes Thier, Haͤlt die Koſt in rordern Pfoten, wie ein Eichhorn, faſt wie wir. Fleiſch vom Murmelthier ſoll niedlich, wie das beſte Wild- praͤt, ſchmecken, Und ſein Schmalz iſt trefflich heilſam. Kann man alſo auch in ihnen, Da ſie uns zu mancherley Nutzen und Ergetzen dienen, Eines weiſen Weſens Abſicht, Weisheit, Macht und Lieb’ entdecken. Das

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/303>, abgerufen am 25.04.2024.