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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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gebildet haben sollte, widerspricht der Weise homerischen Le-
bens. Was bei Homer von kunstreicher Arbeit erwähnt wird,
befindet sich an Geräthen, Waffen u. s. w., dient also einem
praktischen Zwecke oder ist dem Cultus der Götter geweiht.
Eben darum erregen auch die Worte kalliplokamo Ariadne
noch besonderen Anstoss. Was sollte Ariadne mit dem Chor-
tanze thun, wozu sollte er ihr dienen? dies hinzuzufügen
hätte Homer sicher nicht unterlassen, sofern er von einem
Kunstwerke spräche. Gewiss richtiger ist daher die Erklä-
rung, welche Eustathius und die Scholien zu der betreffenden
Stelle der Ilias geben: Daedalos habe den Chor eingeübt, wel-
cher von Ariadne, Theseus und dessen Begleitern nach der
Besiegung des Minotauros und der Befreiung aus dem Laby-
rinth aufgeführt ward. Dieser Chortanz hatte im Alterthum
eine grosse Berühmtheit, wenn auch nicht immer Daedalos als
Ordner desselben genannt wird. Um uns einen deutlichen Be-
griff davon zu machen, genügt ein Blick auf die berühmte von
A. Francois entdeckte Vase des Ergotimos und Klitias. (Mon.
dell' Inst. IV, t. 56). Dennoch ist vielleicht die Deutung vor-
zuziehen, welche Müller (Handb. §. 64) mit einigen alten Er-
klärern den Worten des Homer giebt: dass khoros einen Tanz-
platz, eine Art Orchestra bezeichne, welche Daedalos der Ari-
adne eingerichtet habe. Was nun endlich das Marmorrelief
bei Pausanias anlangt, so liegt schon in dem Stoffe der Be-
weis gegen vorhomerisches Alter, in welchem von Marmor-
arbeit sich nicht die geringste Spur findet. Das Relief mochte
immerhin eine alte Darstellung des sogenannten Daedalischen
Chors sein: höchstens aber war es dann das Werk eines spä-
teren Daedaliden.

Architektonische Werke des Daedalos kennen wir vor-
züglich durch die Erzählung des Diodor (IV, 78). Es sind:

1) die Kolymbethra, eine Art Emissar, durch den sich
der Fluss Alabon bei Megaris in Sicilien ins Meer ergoss;

2) die Befestigung von Agrigent,

3) warme Bäder bei Selinunt,

4) der Unterbau des Tempels der Aphrodite auf dem
Berge Eryx. In diesen Tempel soll Daedalos eine in Gold
nachgebildete Honigscheibe geweiht haben.

Andere Werke in Sicilien waren zu Diodors Zeit schon zu Grun-
de gegangen; dagegen erwähnt er (IV, 30) als noch vorhanden:

gebildet haben sollte, widerspricht der Weise homerischen Le-
bens. Was bei Homer von kunstreicher Arbeit erwähnt wird,
befindet sich an Geräthen, Waffen u. s. w., dient also einem
praktischen Zwecke oder ist dem Cultus der Götter geweiht.
Eben darum erregen auch die Worte καλλιπλοκάμῳ Ἀριάδνῃ
noch besonderen Anstoss. Was sollte Ariadne mit dem Chor-
tanze thun, wozu sollte er ihr dienen? dies hinzuzufügen
hätte Homer sicher nicht unterlassen, sofern er von einem
Kunstwerke spräche. Gewiss richtiger ist daher die Erklä-
rung, welche Eustathius und die Scholien zu der betreffenden
Stelle der Ilias geben: Daedalos habe den Chor eingeübt, wel-
cher von Ariadne, Theseus und dessen Begleitern nach der
Besiegung des Minotauros und der Befreiung aus dem Laby-
rinth aufgeführt ward. Dieser Chortanz hatte im Alterthum
eine grosse Berühmtheit, wenn auch nicht immer Daedalos als
Ordner desselben genannt wird. Um uns einen deutlichen Be-
griff davon zu machen, genügt ein Blick auf die berühmte von
A. François entdeckte Vase des Ergotimos und Klitias. (Mon.
dell’ Inst. IV, t. 56). Dennoch ist vielleicht die Deutung vor-
zuziehen, welche Müller (Handb. §. 64) mit einigen alten Er-
klärern den Worten des Homer giebt: dass χορὸς einen Tanz-
platz, eine Art Orchestra bezeichne, welche Daedalos der Ari-
adne eingerichtet habe. Was nun endlich das Marmorrelief
bei Pausanias anlangt, so liegt schon in dem Stoffe der Be-
weis gegen vorhomerisches Alter, in welchem von Marmor-
arbeit sich nicht die geringste Spur findet. Das Relief mochte
immerhin eine alte Darstellung des sogenannten Daedalischen
Chors sein: höchstens aber war es dann das Werk eines spä-
teren Daedaliden.

Architektonische Werke des Daedalos kennen wir vor-
züglich durch die Erzählung des Diodor (IV, 78). Es sind:

1) die Kolymbethra, eine Art Emissar, durch den sich
der Fluss Alabon bei Megaris in Sicilien ins Meer ergoss;

2) die Befestigung von Agrigent,

3) warme Bäder bei Selinunt,

4) der Unterbau des Tempels der Aphrodite auf dem
Berge Eryx. In diesen Tempel soll Daedalos eine in Gold
nachgebildete Honigscheibe geweiht haben.

Andere Werke in Sicilien waren zu Diodors Zeit schon zu Grun-
de gegangen; dagegen erwähnt er (IV, 30) als noch vorhanden:

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[18/0031] gebildet haben sollte, widerspricht der Weise homerischen Le- bens. Was bei Homer von kunstreicher Arbeit erwähnt wird, befindet sich an Geräthen, Waffen u. s. w., dient also einem praktischen Zwecke oder ist dem Cultus der Götter geweiht. Eben darum erregen auch die Worte καλλιπλοκάμῳ Ἀριάδνῃ noch besonderen Anstoss. Was sollte Ariadne mit dem Chor- tanze thun, wozu sollte er ihr dienen? dies hinzuzufügen hätte Homer sicher nicht unterlassen, sofern er von einem Kunstwerke spräche. Gewiss richtiger ist daher die Erklä- rung, welche Eustathius und die Scholien zu der betreffenden Stelle der Ilias geben: Daedalos habe den Chor eingeübt, wel- cher von Ariadne, Theseus und dessen Begleitern nach der Besiegung des Minotauros und der Befreiung aus dem Laby- rinth aufgeführt ward. Dieser Chortanz hatte im Alterthum eine grosse Berühmtheit, wenn auch nicht immer Daedalos als Ordner desselben genannt wird. Um uns einen deutlichen Be- griff davon zu machen, genügt ein Blick auf die berühmte von A. François entdeckte Vase des Ergotimos und Klitias. (Mon. dell’ Inst. IV, t. 56). Dennoch ist vielleicht die Deutung vor- zuziehen, welche Müller (Handb. §. 64) mit einigen alten Er- klärern den Worten des Homer giebt: dass χορὸς einen Tanz- platz, eine Art Orchestra bezeichne, welche Daedalos der Ari- adne eingerichtet habe. Was nun endlich das Marmorrelief bei Pausanias anlangt, so liegt schon in dem Stoffe der Be- weis gegen vorhomerisches Alter, in welchem von Marmor- arbeit sich nicht die geringste Spur findet. Das Relief mochte immerhin eine alte Darstellung des sogenannten Daedalischen Chors sein: höchstens aber war es dann das Werk eines spä- teren Daedaliden. Architektonische Werke des Daedalos kennen wir vor- züglich durch die Erzählung des Diodor (IV, 78). Es sind: 1) die Kolymbethra, eine Art Emissar, durch den sich der Fluss Alabon bei Megaris in Sicilien ins Meer ergoss; 2) die Befestigung von Agrigent, 3) warme Bäder bei Selinunt, 4) der Unterbau des Tempels der Aphrodite auf dem Berge Eryx. In diesen Tempel soll Daedalos eine in Gold nachgebildete Honigscheibe geweiht haben. Andere Werke in Sicilien waren zu Diodors Zeit schon zu Grun- de gegangen; dagegen erwähnt er (IV, 30) als noch vorhanden:

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/31>, abgerufen am 16.04.2024.