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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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zelnen auf gewisse Eigenthümlichkeiten des Meisters aus den
besonderen Verdiensten der Schüler zurückzuschliessen, na-
mentlich da, wo diese als ein Ausfluss seiner allgemeinen hin-
länglich scharf hervortretenden Grundrichtung erscheinen.

Melanthios.

Melanthios, oder, wie Plutarch 1) ihn nennt, Melanthos,
scheint seinem Lehrer Pamphilos unter allen Schülern am
nächsten verwandt gewesen zu sein. Denn Quintilian2) er-
theilt beiden gemeinsam das oben gewürdigte Lob der ratio,
einer auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhenden Kunst-
übung. Wie sein Meister schrieb er auch über die Kunst:
Plinius führt ihn unter den Quellen des 35sten Buches an;
und es ist sehr wahrscheinlich, was Marini vermuthet, dass
unter den Schriftstellern über Symmetrie bei Vitruv 3) sein
Name an die Stelle des gänzlich unbekannten Melampus zu
setzen ist; um so mehr als die Studien über Symmetrie in
der sikyonischen Kunst ganz besonders heimisch sein muss-
ten. Diogenes Laertius theilt uns sogar ein Urtheil aus
diesen Schriften mit:4) phesi gar dein authadeian tina kai
skleroteta tois ergois epitrekhein. Wenn dieses dahin lau-
tet, dass am Kunstwerke eine gewisse Keckheit und
Schärfe wahrnehmbar sein solle, so wissen wir freilich
nicht, ob hier mehr vom Entwurfe oder von der Durchfüh-
rung die Rede ist. Doch scheint der Vergleich mit dem
freien und offenen, weder ängstlichen noch abgeschliffenen
Benehmen eines Mannes, wie er sich aus dem Zusammen-
hange der Stelle ergiebt, eine nicht zu streng wörtliche Deu-
tung der obigen Ausdrücke zu erheischen. Auch begreift
es sich bei einem Künstler, welcher auf die gründlichste
Durchbildung den grössten Nachdruck legt, wie er mit eben
solcher Sorge wacht, dass nicht übertriebene Rücksichten
darauf dem Werke die Frische rauben, dass nicht ewiges
Bessern und Feilen eine zu grosse Glätte und in Folge der-
selben Weichheit oder Mattigkeit erzeugen. Unter solchem
Gesichtspunkte gewinnt der Ausspruch des Melanthios eine
nicht gering anzuschlagende Bedeutung, insofern er uns
zeigt, dass die Rücksichten auf wissenschaftliche Durchbil-

1) Arat. 12--13.
2) XII, 10.
3) VII, praef. §. 14.
4) IV, §. 18.

zelnen auf gewisse Eigenthümlichkeiten des Meisters aus den
besonderen Verdiensten der Schüler zurückzuschliessen, na-
mentlich da, wo diese als ein Ausfluss seiner allgemeinen hin-
länglich scharf hervortretenden Grundrichtung erscheinen.

Melanthios.

Melanthios, oder, wie Plutarch 1) ihn nennt, Melanthos,
scheint seinem Lehrer Pamphilos unter allen Schülern am
nächsten verwandt gewesen zu sein. Denn Quintilian2) er-
theilt beiden gemeinsam das oben gewürdigte Lob der ratio,
einer auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhenden Kunst-
übung. Wie sein Meister schrieb er auch über die Kunst:
Plinius führt ihn unter den Quellen des 35sten Buches an;
und es ist sehr wahrscheinlich, was Marini vermuthet, dass
unter den Schriftstellern über Symmetrie bei Vitruv 3) sein
Name an die Stelle des gänzlich unbekannten Melampus zu
setzen ist; um so mehr als die Studien über Symmetrie in
der sikyonischen Kunst ganz besonders heimisch sein muss-
ten. Diogenes Laërtius theilt uns sogar ein Urtheil aus
diesen Schriften mit:4) φησὶ γὰϱ δεῖν αὐϑάδειάν τινα καὶ
σκληϱότητα τοῖς ἔϱγοις ἐπιτϱέχειν. Wenn dieses dahin lau-
tet, dass am Kunstwerke eine gewisse Keckheit und
Schärfe wahrnehmbar sein solle, so wissen wir freilich
nicht, ob hier mehr vom Entwurfe oder von der Durchfüh-
rung die Rede ist. Doch scheint der Vergleich mit dem
freien und offenen, weder ängstlichen noch abgeschliffenen
Benehmen eines Mannes, wie er sich aus dem Zusammen-
hange der Stelle ergiebt, eine nicht zu streng wörtliche Deu-
tung der obigen Ausdrücke zu erheischen. Auch begreift
es sich bei einem Künstler, welcher auf die gründlichste
Durchbildung den grössten Nachdruck legt, wie er mit eben
solcher Sorge wacht, dass nicht übertriebene Rücksichten
darauf dem Werke die Frische rauben, dass nicht ewiges
Bessern und Feilen eine zu grosse Glätte und in Folge der-
selben Weichheit oder Mattigkeit erzeugen. Unter solchem
Gesichtspunkte gewinnt der Ausspruch des Melanthios eine
nicht gering anzuschlagende Bedeutung, insofern er uns
zeigt, dass die Rücksichten auf wissenschaftliche Durchbil-

1) Arat. 12—13.
2) XII, 10.
3) VII, praef. §. 14.
4) IV, §. 18.
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[142/0150] zelnen auf gewisse Eigenthümlichkeiten des Meisters aus den besonderen Verdiensten der Schüler zurückzuschliessen, na- mentlich da, wo diese als ein Ausfluss seiner allgemeinen hin- länglich scharf hervortretenden Grundrichtung erscheinen. Melanthios. Melanthios, oder, wie Plutarch 1) ihn nennt, Melanthos, scheint seinem Lehrer Pamphilos unter allen Schülern am nächsten verwandt gewesen zu sein. Denn Quintilian 2) er- theilt beiden gemeinsam das oben gewürdigte Lob der ratio, einer auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhenden Kunst- übung. Wie sein Meister schrieb er auch über die Kunst: Plinius führt ihn unter den Quellen des 35sten Buches an; und es ist sehr wahrscheinlich, was Marini vermuthet, dass unter den Schriftstellern über Symmetrie bei Vitruv 3) sein Name an die Stelle des gänzlich unbekannten Melampus zu setzen ist; um so mehr als die Studien über Symmetrie in der sikyonischen Kunst ganz besonders heimisch sein muss- ten. Diogenes Laërtius theilt uns sogar ein Urtheil aus diesen Schriften mit: 4) φησὶ γὰϱ δεῖν αὐϑάδειάν τινα καὶ σκληϱότητα τοῖς ἔϱγοις ἐπιτϱέχειν. Wenn dieses dahin lau- tet, dass am Kunstwerke eine gewisse Keckheit und Schärfe wahrnehmbar sein solle, so wissen wir freilich nicht, ob hier mehr vom Entwurfe oder von der Durchfüh- rung die Rede ist. Doch scheint der Vergleich mit dem freien und offenen, weder ängstlichen noch abgeschliffenen Benehmen eines Mannes, wie er sich aus dem Zusammen- hange der Stelle ergiebt, eine nicht zu streng wörtliche Deu- tung der obigen Ausdrücke zu erheischen. Auch begreift es sich bei einem Künstler, welcher auf die gründlichste Durchbildung den grössten Nachdruck legt, wie er mit eben solcher Sorge wacht, dass nicht übertriebene Rücksichten darauf dem Werke die Frische rauben, dass nicht ewiges Bessern und Feilen eine zu grosse Glätte und in Folge der- selben Weichheit oder Mattigkeit erzeugen. Unter solchem Gesichtspunkte gewinnt der Ausspruch des Melanthios eine nicht gering anzuschlagende Bedeutung, insofern er uns zeigt, dass die Rücksichten auf wissenschaftliche Durchbil- 1) Arat. 12—13. 2) XII, 10. 3) VII, praef. §. 14. 4) IV, §. 18.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/150>, abgerufen am 28.03.2024.