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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 17. Königtum und Fürstentum.
wie das Friedensgeld scheint das der Staatsgewalt verfallene Ver-
mögen des Missethäters behandelt worden zu sein, welcher in der
Versammlung der Völkerschaft friedlos gelegt worden war. In den
Staaten mit Vielherrschaft bilden die principes eine Art von Völker-
schaftsrat, indem sie minder wichtige Angelegenheiten der civitas
gemeinsam erledigen, diejenigen, die in der Volksgemeinde entschie-
den werden sollen, vorher gemeinschaftlich beraten.

Unter dem König, der über die ganze civitas herrscht, stehen die
Fürsten als Unterkönige an der Spitze der einzelnen Gaue. Wie sie
bezeichnet wurden, muss dahingestellt bleiben. Öffentliche Angelegen-
heiten mag der König mit den Gauvorständen beraten haben, nament-
lich solche, die vor die Landesgemeinde gebracht werden sollten.

Cäsar weiss noch nichts von einem germanischen rex im römischen
Sinne des Wortes. Zur Zeit, da Tacitus schrieb, ist der rex vor-
nehmlich bei den östlichen Völkerschaften vertreten. Die Ostgermanen,
die Markomannen und Quaden, die Hermunduren haben reges. All-
mählich dringt aber die Einherrschaft auch bei den westlichen Völker-
schaften vor, so bei den Cheruskern und bei den Brukterern 41. Als
dann aus der Verbindung mehrerer Völkerschaften die deutschen
Stämme erwuchsen, machte sich durch die Ausbildung des Stammes-
königtums eine ähnliche Entwicklung geltend. Zunächst behielten die
einzelnen Völkerschaften und die einzelnen Gaue ihre angestammten
Königs- und Fürstengeschlechter. Alamannen und salische Franken
haben nachweislich zuerst unter einer Mehrzahl von Königen gestan-
den, vermutlich auch die Baiern, deren Adelsgeschlechter als deposse-
dierte Königsgeschlechter betrachtet werden dürfen. Schliesslich haben
sich mit Ausnahme der Altsachsen die einzelnen Stämme zur Einheit
des Herrschergeschlechtes durchgerungen. Alamannen, Salfranken,
Ribuarier und Thüringer besitzen zu Ende des fünften, zu Anfang des
sechsten Jahrhunderts ein einheitliches Stammeskönigtum. Ein Jahr-
hundert später lässt es sich bei den Friesen nachweisen. Die Lango-
barden standen nach ihrer Stammsage zuerst unter mehreren duces
und haben sich dann einen König gesetzt. In England wuchsen die
kleinen Königreiche der germanischen Einwanderer allmählich zur
staatsrechtlichen Einheit der angelsächsischen Monarchie zusammen.

ziehen. Als Richter innerhalb des Gaues hatte wohl auch der princeps einen An-
teil an den Bussen. Dabei muss erwogen werden, dass die Friedensgelder wohl in
erster Linie die Kosten zu decken hatten, welche während der Versammlung für
Opfer und gemeinsame Gelage aufliefen. Grimm, RA S 648; W. Sickel, Mitt.
d. österr. Inst. III 136 f.
41 Waitz, VG I 303.

§ 17. Königtum und Fürstentum.
wie das Friedensgeld scheint das der Staatsgewalt verfallene Ver-
mögen des Missethäters behandelt worden zu sein, welcher in der
Versammlung der Völkerschaft friedlos gelegt worden war. In den
Staaten mit Vielherrschaft bilden die principes eine Art von Völker-
schaftsrat, indem sie minder wichtige Angelegenheiten der civitas
gemeinsam erledigen, diejenigen, die in der Volksgemeinde entschie-
den werden sollen, vorher gemeinschaftlich beraten.

Unter dem König, der über die ganze civitas herrscht, stehen die
Fürsten als Unterkönige an der Spitze der einzelnen Gaue. Wie sie
bezeichnet wurden, muſs dahingestellt bleiben. Öffentliche Angelegen-
heiten mag der König mit den Gauvorständen beraten haben, nament-
lich solche, die vor die Landesgemeinde gebracht werden sollten.

Cäsar weiſs noch nichts von einem germanischen rex im römischen
Sinne des Wortes. Zur Zeit, da Tacitus schrieb, ist der rex vor-
nehmlich bei den östlichen Völkerschaften vertreten. Die Ostgermanen,
die Markomannen und Quaden, die Hermunduren haben reges. All-
mählich dringt aber die Einherrschaft auch bei den westlichen Völker-
schaften vor, so bei den Cheruskern und bei den Brukterern 41. Als
dann aus der Verbindung mehrerer Völkerschaften die deutschen
Stämme erwuchsen, machte sich durch die Ausbildung des Stammes-
königtums eine ähnliche Entwicklung geltend. Zunächst behielten die
einzelnen Völkerschaften und die einzelnen Gaue ihre angestammten
Königs- und Fürstengeschlechter. Alamannen und salische Franken
haben nachweislich zuerst unter einer Mehrzahl von Königen gestan-
den, vermutlich auch die Baiern, deren Adelsgeschlechter als deposse-
dierte Königsgeschlechter betrachtet werden dürfen. Schlieſslich haben
sich mit Ausnahme der Altsachsen die einzelnen Stämme zur Einheit
des Herrschergeschlechtes durchgerungen. Alamannen, Salfranken,
Ribuarier und Thüringer besitzen zu Ende des fünften, zu Anfang des
sechsten Jahrhunderts ein einheitliches Stammeskönigtum. Ein Jahr-
hundert später läſst es sich bei den Friesen nachweisen. Die Lango-
barden standen nach ihrer Stammsage zuerst unter mehreren duces
und haben sich dann einen König gesetzt. In England wuchsen die
kleinen Königreiche der germanischen Einwanderer allmählich zur
staatsrechtlichen Einheit der angelsächsischen Monarchie zusammen.

ziehen. Als Richter innerhalb des Gaues hatte wohl auch der princeps einen An-
teil an den Buſsen. Dabei muſs erwogen werden, daſs die Friedensgelder wohl in
erster Linie die Kosten zu decken hatten, welche während der Versammlung für
Opfer und gemeinsame Gelage aufliefen. Grimm, RA S 648; W. Sickel, Mitt.
d. österr. Inst. III 136 f.
41 Waitz, VG I 303.
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[127/0145] § 17. Königtum und Fürstentum. wie das Friedensgeld scheint das der Staatsgewalt verfallene Ver- mögen des Missethäters behandelt worden zu sein, welcher in der Versammlung der Völkerschaft friedlos gelegt worden war. In den Staaten mit Vielherrschaft bilden die principes eine Art von Völker- schaftsrat, indem sie minder wichtige Angelegenheiten der civitas gemeinsam erledigen, diejenigen, die in der Volksgemeinde entschie- den werden sollen, vorher gemeinschaftlich beraten. Unter dem König, der über die ganze civitas herrscht, stehen die Fürsten als Unterkönige an der Spitze der einzelnen Gaue. Wie sie bezeichnet wurden, muſs dahingestellt bleiben. Öffentliche Angelegen- heiten mag der König mit den Gauvorständen beraten haben, nament- lich solche, die vor die Landesgemeinde gebracht werden sollten. Cäsar weiſs noch nichts von einem germanischen rex im römischen Sinne des Wortes. Zur Zeit, da Tacitus schrieb, ist der rex vor- nehmlich bei den östlichen Völkerschaften vertreten. Die Ostgermanen, die Markomannen und Quaden, die Hermunduren haben reges. All- mählich dringt aber die Einherrschaft auch bei den westlichen Völker- schaften vor, so bei den Cheruskern und bei den Brukterern 41. Als dann aus der Verbindung mehrerer Völkerschaften die deutschen Stämme erwuchsen, machte sich durch die Ausbildung des Stammes- königtums eine ähnliche Entwicklung geltend. Zunächst behielten die einzelnen Völkerschaften und die einzelnen Gaue ihre angestammten Königs- und Fürstengeschlechter. Alamannen und salische Franken haben nachweislich zuerst unter einer Mehrzahl von Königen gestan- den, vermutlich auch die Baiern, deren Adelsgeschlechter als deposse- dierte Königsgeschlechter betrachtet werden dürfen. Schlieſslich haben sich mit Ausnahme der Altsachsen die einzelnen Stämme zur Einheit des Herrschergeschlechtes durchgerungen. Alamannen, Salfranken, Ribuarier und Thüringer besitzen zu Ende des fünften, zu Anfang des sechsten Jahrhunderts ein einheitliches Stammeskönigtum. Ein Jahr- hundert später läſst es sich bei den Friesen nachweisen. Die Lango- barden standen nach ihrer Stammsage zuerst unter mehreren duces und haben sich dann einen König gesetzt. In England wuchsen die kleinen Königreiche der germanischen Einwanderer allmählich zur staatsrechtlichen Einheit der angelsächsischen Monarchie zusammen. 40 41 Waitz, VG I 303. 40 ziehen. Als Richter innerhalb des Gaues hatte wohl auch der princeps einen An- teil an den Buſsen. Dabei muſs erwogen werden, daſs die Friedensgelder wohl in erster Linie die Kosten zu decken hatten, welche während der Versammlung für Opfer und gemeinsame Gelage aufliefen. Grimm, RA S 648; W. Sickel, Mitt. d. österr. Inst. III 136 f.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/145>, abgerufen am 20.04.2024.