Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.
Bedürfnisse des Gemeinwesens mussten durch die persönlichen Leistungen
der Volksleute gedeckt werden, jeder einzelne unmittelbar leisten, was
der Staat brauchte. Der Aufgabe des Staates, Volk und Land gegen
äussere Feinde zu schützen, entsprach die allgemeine Heerpflicht.
Das Heer ist das Volk in Waffen. Der Heerdienst ist zugleich ein
Recht; nur der waffenfähige Freie ist Heergenosse. Liten und
Eigenleute mag der Herr als Trossknechte mit ins Feld führen;
einen Teil des Heeres bilden sie darum nicht. Es erscheint als eine
durch ungewöhnliche Notlage gebotene Ausnahme, dass die Lango-
barden gelegentlich, um die gelichteten Reihen ihres Heeres zu er-
gänzen, Knechte in das Heer aufnahmen, nachdem sie dieselben vorher
durch Wehrhaftmachung freigelassen hatten 1.

Heer- und Kriegswesen bilden den eigentlichen Brennpunkt für
das öffentliche Leben der Germanen. Religion, Verfassung und
Recht der Germanen sind in wesentlich kriegerischem Geist gestaltet.
Ruhmvoller Tod in der Schlacht gilt nach den religiösen Anschauungen
des Volkes, das sich seine Götter als Kriegsgötter schuf, für das
höchste der auf Erden zu erstrebenden Ziele des Mannes. Die
politische Gliederung des Volkes ist ein Abbild der Gliederung des
Heeres. Die Obrigkeiten des Volkes sind seine Heerführer. Die
Landesversammlung ist Heerversammlung und Ort der Wehrhaft-
machung. Die Waffenfähigkeit ist von einschneidender Bedeutung
für die Rechtsfähigkeit. Fehde und Zweikampf erscheinen als Institute
des Rechtsganges.

Uralt, vermutlich auf arischer Sitte erwachsen ist die Einteilung
des Heeres in Tausendschaften und Hundertschaften. Bei den Sueben
scheint sich zur Zeit Cäsars die Gliederung des Heeres mit der Gau-
einteilung gedeckt zu haben 2. Nachmals finden wir die militärische
Tausendschaft nur bei den ostgermanischen Wanderstämmen. West-
goten, Ostgoten, Vandalen kennen das Amt eines Vorstehers der
Tausendschaft, millenarius, im Westgotenrechte tiuphadus genannt 3.
Bei den Westgermanen hat dagegen die Tausendschaft keinerlei
sichere Spuren hinterlassen. Der in der Urzeit vermutlich vor-
handene Zusammenhang zwischen Gau und Tausendschaft entschwand,
als die innerhalb der Gaugrenzen sesshaft bleibende Bevölkerung sich
vermehrt hatte, wogegen die Hundertschaft, wie oben bemerkt worden,
erst in der Zeit nach der sogenannten Völkerwanderung sich bei

1 Paulus, Hist. Lang. I 13.
2 De bello gall. I 37, IV 1.
3 Lex Wisigoth. II 1, 26 und öfter. Dahn, Könige VI 337. Waitz, VG
I 231 Anm 3.

§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.
Bedürfnisse des Gemeinwesens muſsten durch die persönlichen Leistungen
der Volksleute gedeckt werden, jeder einzelne unmittelbar leisten, was
der Staat brauchte. Der Aufgabe des Staates, Volk und Land gegen
äuſsere Feinde zu schützen, entsprach die allgemeine Heerpflicht.
Das Heer ist das Volk in Waffen. Der Heerdienst ist zugleich ein
Recht; nur der waffenfähige Freie ist Heergenosse. Liten und
Eigenleute mag der Herr als Troſsknechte mit ins Feld führen;
einen Teil des Heeres bilden sie darum nicht. Es erscheint als eine
durch ungewöhnliche Notlage gebotene Ausnahme, daſs die Lango-
barden gelegentlich, um die gelichteten Reihen ihres Heeres zu er-
gänzen, Knechte in das Heer aufnahmen, nachdem sie dieselben vorher
durch Wehrhaftmachung freigelassen hatten 1.

Heer- und Kriegswesen bilden den eigentlichen Brennpunkt für
das öffentliche Leben der Germanen. Religion, Verfassung und
Recht der Germanen sind in wesentlich kriegerischem Geist gestaltet.
Ruhmvoller Tod in der Schlacht gilt nach den religiösen Anschauungen
des Volkes, das sich seine Götter als Kriegsgötter schuf, für das
höchste der auf Erden zu erstrebenden Ziele des Mannes. Die
politische Gliederung des Volkes ist ein Abbild der Gliederung des
Heeres. Die Obrigkeiten des Volkes sind seine Heerführer. Die
Landesversammlung ist Heerversammlung und Ort der Wehrhaft-
machung. Die Waffenfähigkeit ist von einschneidender Bedeutung
für die Rechtsfähigkeit. Fehde und Zweikampf erscheinen als Institute
des Rechtsganges.

Uralt, vermutlich auf arischer Sitte erwachsen ist die Einteilung
des Heeres in Tausendschaften und Hundertschaften. Bei den Sueben
scheint sich zur Zeit Cäsars die Gliederung des Heeres mit der Gau-
einteilung gedeckt zu haben 2. Nachmals finden wir die militärische
Tausendschaft nur bei den ostgermanischen Wanderstämmen. West-
goten, Ostgoten, Vandalen kennen das Amt eines Vorstehers der
Tausendschaft, millenarius, im Westgotenrechte tiuphadus genannt 3.
Bei den Westgermanen hat dagegen die Tausendschaft keinerlei
sichere Spuren hinterlassen. Der in der Urzeit vermutlich vor-
handene Zusammenhang zwischen Gau und Tausendschaft entschwand,
als die innerhalb der Gaugrenzen seſshaft bleibende Bevölkerung sich
vermehrt hatte, wogegen die Hundertschaft, wie oben bemerkt worden,
erst in der Zeit nach der sogenannten Völkerwanderung sich bei

1 Paulus, Hist. Lang. I 13.
2 De bello gall. I 37, IV 1.
3 Lex Wisigoth. II 1, 26 und öfter. Dahn, Könige VI 337. Waitz, VG
I 231 Anm 3.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0151" n="133"/><fw place="top" type="header">§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.</fw><lb/>
Bedürfnisse des Gemeinwesens mu&#x017F;sten durch die persönlichen Leistungen<lb/>
der Volksleute gedeckt werden, jeder einzelne unmittelbar leisten, was<lb/>
der Staat brauchte. Der Aufgabe des Staates, Volk und Land gegen<lb/>
äu&#x017F;sere Feinde zu schützen, entsprach die allgemeine Heerpflicht.<lb/>
Das Heer ist das Volk in Waffen. Der Heerdienst ist zugleich ein<lb/>
Recht; nur der waffenfähige Freie ist Heergenosse. Liten und<lb/>
Eigenleute mag der Herr als Tro&#x017F;sknechte mit ins Feld führen;<lb/>
einen Teil des Heeres bilden sie darum nicht. Es erscheint als eine<lb/>
durch ungewöhnliche Notlage gebotene Ausnahme, da&#x017F;s die Lango-<lb/>
barden gelegentlich, um die gelichteten Reihen ihres Heeres zu er-<lb/>
gänzen, Knechte in das Heer aufnahmen, nachdem sie dieselben vorher<lb/>
durch Wehrhaftmachung freigelassen hatten <note place="foot" n="1">Paulus, Hist. Lang. I 13.</note>.</p><lb/>
          <p>Heer- und Kriegswesen bilden den eigentlichen Brennpunkt für<lb/>
das öffentliche Leben der Germanen. Religion, Verfassung und<lb/>
Recht der Germanen sind in wesentlich kriegerischem Geist gestaltet.<lb/>
Ruhmvoller Tod in der Schlacht gilt nach den religiösen Anschauungen<lb/>
des Volkes, das sich seine Götter als Kriegsgötter schuf, für das<lb/>
höchste der auf Erden zu erstrebenden Ziele des Mannes. Die<lb/>
politische Gliederung des Volkes ist ein Abbild der Gliederung des<lb/>
Heeres. Die Obrigkeiten des Volkes sind seine Heerführer. Die<lb/>
Landesversammlung ist Heerversammlung und Ort der Wehrhaft-<lb/>
machung. Die Waffenfähigkeit ist von einschneidender Bedeutung<lb/>
für die Rechtsfähigkeit. Fehde und Zweikampf erscheinen als Institute<lb/>
des Rechtsganges.</p><lb/>
          <p>Uralt, vermutlich auf arischer Sitte erwachsen ist die Einteilung<lb/>
des Heeres in Tausendschaften und Hundertschaften. Bei den Sueben<lb/>
scheint sich zur Zeit Cäsars die Gliederung des Heeres mit der Gau-<lb/>
einteilung gedeckt zu haben <note place="foot" n="2">De bello gall. I 37, IV 1.</note>. Nachmals finden wir die militärische<lb/>
Tausendschaft nur bei den ostgermanischen Wanderstämmen. West-<lb/>
goten, Ostgoten, Vandalen kennen das Amt eines Vorstehers der<lb/>
Tausendschaft, millenarius, im Westgotenrechte tiuphadus genannt <note place="foot" n="3">Lex Wisigoth. II 1, 26 und öfter. <hi rendition="#g">Dahn</hi>, Könige VI 337. <hi rendition="#g">Waitz</hi>, VG<lb/>
I 231 Anm 3.</note>.<lb/>
Bei den Westgermanen hat dagegen die Tausendschaft keinerlei<lb/>
sichere Spuren hinterlassen. Der in der Urzeit vermutlich vor-<lb/>
handene Zusammenhang zwischen Gau und Tausendschaft entschwand,<lb/>
als die innerhalb der Gaugrenzen se&#x017F;shaft bleibende Bevölkerung sich<lb/>
vermehrt hatte, wogegen die Hundertschaft, wie oben bemerkt worden,<lb/>
erst in der Zeit nach der sogenannten Völkerwanderung sich bei<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0151] § 19. Kriegswesen und Gefolgschaft. Bedürfnisse des Gemeinwesens muſsten durch die persönlichen Leistungen der Volksleute gedeckt werden, jeder einzelne unmittelbar leisten, was der Staat brauchte. Der Aufgabe des Staates, Volk und Land gegen äuſsere Feinde zu schützen, entsprach die allgemeine Heerpflicht. Das Heer ist das Volk in Waffen. Der Heerdienst ist zugleich ein Recht; nur der waffenfähige Freie ist Heergenosse. Liten und Eigenleute mag der Herr als Troſsknechte mit ins Feld führen; einen Teil des Heeres bilden sie darum nicht. Es erscheint als eine durch ungewöhnliche Notlage gebotene Ausnahme, daſs die Lango- barden gelegentlich, um die gelichteten Reihen ihres Heeres zu er- gänzen, Knechte in das Heer aufnahmen, nachdem sie dieselben vorher durch Wehrhaftmachung freigelassen hatten 1. Heer- und Kriegswesen bilden den eigentlichen Brennpunkt für das öffentliche Leben der Germanen. Religion, Verfassung und Recht der Germanen sind in wesentlich kriegerischem Geist gestaltet. Ruhmvoller Tod in der Schlacht gilt nach den religiösen Anschauungen des Volkes, das sich seine Götter als Kriegsgötter schuf, für das höchste der auf Erden zu erstrebenden Ziele des Mannes. Die politische Gliederung des Volkes ist ein Abbild der Gliederung des Heeres. Die Obrigkeiten des Volkes sind seine Heerführer. Die Landesversammlung ist Heerversammlung und Ort der Wehrhaft- machung. Die Waffenfähigkeit ist von einschneidender Bedeutung für die Rechtsfähigkeit. Fehde und Zweikampf erscheinen als Institute des Rechtsganges. Uralt, vermutlich auf arischer Sitte erwachsen ist die Einteilung des Heeres in Tausendschaften und Hundertschaften. Bei den Sueben scheint sich zur Zeit Cäsars die Gliederung des Heeres mit der Gau- einteilung gedeckt zu haben 2. Nachmals finden wir die militärische Tausendschaft nur bei den ostgermanischen Wanderstämmen. West- goten, Ostgoten, Vandalen kennen das Amt eines Vorstehers der Tausendschaft, millenarius, im Westgotenrechte tiuphadus genannt 3. Bei den Westgermanen hat dagegen die Tausendschaft keinerlei sichere Spuren hinterlassen. Der in der Urzeit vermutlich vor- handene Zusammenhang zwischen Gau und Tausendschaft entschwand, als die innerhalb der Gaugrenzen seſshaft bleibende Bevölkerung sich vermehrt hatte, wogegen die Hundertschaft, wie oben bemerkt worden, erst in der Zeit nach der sogenannten Völkerwanderung sich bei 1 Paulus, Hist. Lang. I 13. 2 De bello gall. I 37, IV 1. 3 Lex Wisigoth. II 1, 26 und öfter. Dahn, Könige VI 337. Waitz, VG I 231 Anm 3.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/151
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/151>, abgerufen am 28.03.2024.