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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.
verwandten und für das Eheweib des Friedlosen. Die Friedlosigkeit
schneidet sowohl das rechtliche Band der Sippe 5 als auch das der
Ehe entzwei. Der Friedlose hat die Blutsfreundschaft verwirkt. Die
Frau wird rechtlich als Witwe, die Kinder werden rechtlich als Waisen
angesehen.

Der Friedlose darf nicht im Kreise der Volksgenossen leben,
"habitare inter homines". Um dem Tode zu entgehen muss er fliehen,
wenn man ihn fliehen lässt. Drum ist die Heimat des Friedlosen der
Wald. Waldgänger heisst er im Norden 6. Homo qui per silvas vadit
wird der schädliche Mann, der den Frieden verwirkt hat, in einem
Gesetze des Frankenkönigs Chilperich genannt 7. Und noch in einem
Landfrieden Friedrichs I. von 1187 klingt die uralte Auffassung durch,
dass der Wald der Zufluchtsort des Ächters sei 8.

Eine gemeinsame Bezeichnung des Friedlosen war warc, warg,
wörtlich so viel wie der Würger, der Wolf 9. Wargus heisst der
Friedlose im ältesten salischen Volksrecht. Vearg nennen die Angel-
sachsen den zum Galgen oder zur Acht verurteilten Missethäter 10.
Als warc erscheint der Teufel in dem althochdeutschen Gedichte vom

Rothari 5. Ine c. 30: der Keorl, der einen Flüchtigen (fliema) beherbergt, gelte
ihn mit seiner eigenen Were. Bracton III 2 c. 13 § 1. Frostuthingslög 4, 41. Die
Dingtalen von Delft in N. Bijdr. v. R. en W. 1878, S 44 des Sep.-Abdr., haben
die allitterierende Formel: dat desen ... woesten balling nyemant en huyse noch
en hove, noch en meet (speise), noch en mael, noch en stout (stütze), noch en sterke
by der hoechsten boete. Bei Orlers, Beschryving van Leyden, 1641, S 40 findet
sich die verwandte Formel: dat niemant desen ... ballinck en meet noch en mael,
en put noch en pael, en scheep noch en streeck, en huyse noch en hove by der
hochsten booten. Auf die widerrechtliche Unterstützung des Friedlosen setzen
manche Rechte die Friedlosigkeit, so Roth. 5, die Frostuthingslög a. O., Bracton
III 2 c. 13 § 1.
5 Darum heisst es in den Friedloslegungsformeln wohl auch: Ich nehme
ihn seinen Freunden und gebe ihn seinen Feinden. Bunzlauer Formular bei
Frauenstädt, Blutrache S 249. Der Friedlose wird nach Bracton a. O. auch
frendlesman genannt, et sic videtur, quod forisfacit amicos.
6 K. Maurer, KrV XVI 85. v. Amira, Zweck und Mittel der germani-
schen RG S 48.
7 Ed. Chilp. c. 10, Cap. I 10.
8 Const. contra incendiarios von 1187, LL II 185. Hat sich der Brandstifter
in die Burg seines Herrn, Vassallen oder Magen geflüchtet, so braucht dieser ihn
nicht auszuliefern, sed iuvabit eum e castro in silvam vel alias, ubi securus sibi
videatur.
9 Grimm, RA S 733. v. Amira, Zweck und Mittel S 46.
10 Im altsächs. Heliand heisst der Galgen waragtreo, Verbrecherbaum. Als
vearhtraef, Haus der Verdammten, wird in der angelsächs. Poesie die Hölle be-
zeichnet. Grein, Sprachschatz II 675.

§ 22. Friedlosigkeit und Opfertod.
verwandten und für das Eheweib des Friedlosen. Die Friedlosigkeit
schneidet sowohl das rechtliche Band der Sippe 5 als auch das der
Ehe entzwei. Der Friedlose hat die Blutsfreundschaft verwirkt. Die
Frau wird rechtlich als Witwe, die Kinder werden rechtlich als Waisen
angesehen.

Der Friedlose darf nicht im Kreise der Volksgenossen leben,
„habitare inter homines“. Um dem Tode zu entgehen muſs er fliehen,
wenn man ihn fliehen läſst. Drum ist die Heimat des Friedlosen der
Wald. Waldgänger heiſst er im Norden 6. Homo qui per silvas vadit
wird der schädliche Mann, der den Frieden verwirkt hat, in einem
Gesetze des Frankenkönigs Chilperich genannt 7. Und noch in einem
Landfrieden Friedrichs I. von 1187 klingt die uralte Auffassung durch,
daſs der Wald der Zufluchtsort des Ächters sei 8.

Eine gemeinsame Bezeichnung des Friedlosen war warc, warg,
wörtlich so viel wie der Würger, der Wolf 9. Wargus heiſst der
Friedlose im ältesten salischen Volksrecht. Vearg nennen die Angel-
sachsen den zum Galgen oder zur Acht verurteilten Missethäter 10.
Als warc erscheint der Teufel in dem althochdeutschen Gedichte vom

Rothari 5. Ine c. 30: der Keorl, der einen Flüchtigen (fliêma) beherbergt, gelte
ihn mit seiner eigenen Were. Bracton III 2 c. 13 § 1. Frostuþíngslög 4, 41. Die
Dingtalen von Delft in N. Bijdr. v. R. en W. 1878, S 44 des Sep.-Abdr., haben
die allitterierende Formel: dat desen … woesten balling nyemant en huyse noch
en hove, noch en meet (speise), noch en mael, noch en stout (stütze), noch en sterke
by der hoechsten boete. Bei Orlers, Beschryving van Leyden, 1641, S 40 findet
sich die verwandte Formel: dat niemant desen … ballinck en meet noch en mael,
en put noch en pael, en scheep noch en streeck, en huyse noch en hove by der
hochsten booten. Auf die widerrechtliche Unterstützung des Friedlosen setzen
manche Rechte die Friedlosigkeit, so Roth. 5, die Frostuþíngslög a. O., Bracton
III 2 c. 13 § 1.
5 Darum heiſst es in den Friedloslegungsformeln wohl auch: Ich nehme
ihn seinen Freunden und gebe ihn seinen Feinden. Bunzlauer Formular bei
Frauenstädt, Blutrache S 249. Der Friedlose wird nach Bracton a. O. auch
frendlesman genannt, et sic videtur, quod forisfacit amicos.
6 K. Maurer, KrV XVI 85. v. Amira, Zweck und Mittel der germani-
schen RG S 48.
7 Ed. Chilp. c. 10, Cap. I 10.
8 Const. contra incendiarios von 1187, LL II 185. Hat sich der Brandstifter
in die Burg seines Herrn, Vassallen oder Magen geflüchtet, so braucht dieser ihn
nicht auszuliefern, sed iuvabit eum e castro in silvam vel alias, ubi securus sibi
videatur.
9 Grimm, RA S 733. v. Amira, Zweck und Mittel S 46.
10 Im altsächs. Heliand heiſst der Galgen waragtreo, Verbrecherbaum. Als
vearhtræf, Haus der Verdammten, wird in der angelsächs. Poesie die Hölle be-
zeichnet. Grein, Sprachschatz II 675.
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[167/0185] § 22. Friedlosigkeit und Opfertod. verwandten und für das Eheweib des Friedlosen. Die Friedlosigkeit schneidet sowohl das rechtliche Band der Sippe 5 als auch das der Ehe entzwei. Der Friedlose hat die Blutsfreundschaft verwirkt. Die Frau wird rechtlich als Witwe, die Kinder werden rechtlich als Waisen angesehen. Der Friedlose darf nicht im Kreise der Volksgenossen leben, „habitare inter homines“. Um dem Tode zu entgehen muſs er fliehen, wenn man ihn fliehen läſst. Drum ist die Heimat des Friedlosen der Wald. Waldgänger heiſst er im Norden 6. Homo qui per silvas vadit wird der schädliche Mann, der den Frieden verwirkt hat, in einem Gesetze des Frankenkönigs Chilperich genannt 7. Und noch in einem Landfrieden Friedrichs I. von 1187 klingt die uralte Auffassung durch, daſs der Wald der Zufluchtsort des Ächters sei 8. Eine gemeinsame Bezeichnung des Friedlosen war warc, warg, wörtlich so viel wie der Würger, der Wolf 9. Wargus heiſst der Friedlose im ältesten salischen Volksrecht. Vearg nennen die Angel- sachsen den zum Galgen oder zur Acht verurteilten Missethäter 10. Als warc erscheint der Teufel in dem althochdeutschen Gedichte vom 4 5 Darum heiſst es in den Friedloslegungsformeln wohl auch: Ich nehme ihn seinen Freunden und gebe ihn seinen Feinden. Bunzlauer Formular bei Frauenstädt, Blutrache S 249. Der Friedlose wird nach Bracton a. O. auch frendlesman genannt, et sic videtur, quod forisfacit amicos. 6 K. Maurer, KrV XVI 85. v. Amira, Zweck und Mittel der germani- schen RG S 48. 7 Ed. Chilp. c. 10, Cap. I 10. 8 Const. contra incendiarios von 1187, LL II 185. Hat sich der Brandstifter in die Burg seines Herrn, Vassallen oder Magen geflüchtet, so braucht dieser ihn nicht auszuliefern, sed iuvabit eum e castro in silvam vel alias, ubi securus sibi videatur. 9 Grimm, RA S 733. v. Amira, Zweck und Mittel S 46. 10 Im altsächs. Heliand heiſst der Galgen waragtreo, Verbrecherbaum. Als vearhtræf, Haus der Verdammten, wird in der angelsächs. Poesie die Hölle be- zeichnet. Grein, Sprachschatz II 675. 4 Rothari 5. Ine c. 30: der Keorl, der einen Flüchtigen (fliêma) beherbergt, gelte ihn mit seiner eigenen Were. Bracton III 2 c. 13 § 1. Frostuþíngslög 4, 41. Die Dingtalen von Delft in N. Bijdr. v. R. en W. 1878, S 44 des Sep.-Abdr., haben die allitterierende Formel: dat desen … woesten balling nyemant en huyse noch en hove, noch en meet (speise), noch en mael, noch en stout (stütze), noch en sterke by der hoechsten boete. Bei Orlers, Beschryving van Leyden, 1641, S 40 findet sich die verwandte Formel: dat niemant desen … ballinck en meet noch en mael, en put noch en pael, en scheep noch en streeck, en huyse noch en hove by der hochsten booten. Auf die widerrechtliche Unterstützung des Friedlosen setzen manche Rechte die Friedlosigkeit, so Roth. 5, die Frostuþíngslög a. O., Bracton III 2 c. 13 § 1.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/185>, abgerufen am 28.03.2024.