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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 26. Grundherrschaften und Landleihe.
gebigster Weise Kirchen und Klöster beschenkt, neue Stiftungen dotiert.
Schon König Chilperich hatte Anlass, aus Unmut über die Vermehrung
des kirchlichen Reichtums, in die Klage auszubrechen: ecce pauper
remansit fiscus noster, ecce divitiae nostrae ad ecclesias sunt translatae 4.
Die erheblichste Zunahme erwuchs dem Besitztum der Kirche durch
Schenkungen von Privatpersonen. Nachdem zuerst die Franken, dann die
übrigen deutschen Stämme dem Christentum gewonnen worden waren,
nachdem der Katholizismus den Arianismus überwunden hatte, äusserte
sich der kirchliche Eifer der Neubekehrten in zahllosen Vergabungen
zu frommen Zwecken. Die Schenkung an die Kirche galt für ein
gottgefälliges Werk, durch das man sich die Vergebung der Sünden
erkaufte, sich irdischen und himmlischen Lohnes versicherte 5. Seinen
Höhepunkt erreichte der Schenkungseifer in der Zeit Karls des
Grossen 6. Neben den unbedingten und unbeschränkten Schenkungen
gab es verschiedene Arten betagter und bedingter Zuwendungen,
welche den Entschluss zu schenken erleichterten, weil sie dem
Schenker den Genuss des Gutes für seine Lebenszeit vorbehielten 7.

Wie rasch und wie hoch auf solche Weise der Besitzstand der
Kirche anschwoll, zeigt das Beispiel des Klosters Fulda, welches bald
nach seiner Gründung fünfzehntausend Hufen Landes besass. Eben-
soviel hatte das neustrische Luxeuil. Nach einer Schätzung, welche
der Wahrheit ziemlich nahe kommen dürfte, war zu Anfang des 8. Jahrh.
ein Drittel der nutzbaren Bodenfläche Galliens Eigentum der Kirche 8.

4 Greg. Tur. Hist. Fr. VI 46.
5 In fränkischen und langobardischen Urkunden findet sich nicht selten die
im Anschluss an Evang. Matth. 19, 29 entstandene Arenga, dass derjenige, der sein
Gut der Kirche schenkt, in hoc seculo centuplum accipiet et quod melius est vitam
possidebit eternam. Bei den Langobarden wurde das remedium salutis animae ge-
radezu als die (nach Langobardenrecht für den Rechtsbestand der Schenkung er-
forderliche) Gegengabe des Beschenkten, als sog. Launegild bezeichnet und be-
handelt. Liu. 73. Val de Lievre, Launegild und Wadia S 10 ff.
6 Von den unlauteren Mitteln, mit welchen der Klerus ihn weckte und an-
spornte, giebt Karls Kapitular von 811, I 162 ein denkwürdiges Zeugnis.
7 v. Inama-Sternegg hat Grundh. S 115 die Erwerbsgeschäfte von St. Gallen,
Wolff, Erwerb und Verwaltung des Klostervermögens in den Tradit. Wizenburg.,
1883, S 21 die Erwerbsgeschäfte von Weissenburg im Elsass mit Unterscheidung der
unbedingten Schenkungen, der Übertragungen mit Vorbehalt und der onerosen Er-
werbungen für einzelne Zeitabschnitte zusammengestellt. Die Tabellen zeigen einer-
seits, wie sehr die lukrativen Erwerbsgeschäfte die onerosen überstiegen, anderer-
seits dass die Zahl der bedingten Übertragungen im Laufe des 9. Jahrh. verhältnis-
mässig anwuchs. Im 10. Jahrh. ändert sich die Sachlage; die onerosen Erwerbun-
gen, namentlich die Tauschgeschäfte, haben das unbestrittene Übergewicht.
8 Roth, BW S 251 ff.

§ 26. Grundherrschaften und Landleihe.
gebigster Weise Kirchen und Klöster beschenkt, neue Stiftungen dotiert.
Schon König Chilperich hatte Anlaſs, aus Unmut über die Vermehrung
des kirchlichen Reichtums, in die Klage auszubrechen: ecce pauper
remansit fiscus noster, ecce divitiae nostrae ad ecclesias sunt translatae 4.
Die erheblichste Zunahme erwuchs dem Besitztum der Kirche durch
Schenkungen von Privatpersonen. Nachdem zuerst die Franken, dann die
übrigen deutschen Stämme dem Christentum gewonnen worden waren,
nachdem der Katholizismus den Arianismus überwunden hatte, äuſserte
sich der kirchliche Eifer der Neubekehrten in zahllosen Vergabungen
zu frommen Zwecken. Die Schenkung an die Kirche galt für ein
gottgefälliges Werk, durch das man sich die Vergebung der Sünden
erkaufte, sich irdischen und himmlischen Lohnes versicherte 5. Seinen
Höhepunkt erreichte der Schenkungseifer in der Zeit Karls des
Groſsen 6. Neben den unbedingten und unbeschränkten Schenkungen
gab es verschiedene Arten betagter und bedingter Zuwendungen,
welche den Entschluſs zu schenken erleichterten, weil sie dem
Schenker den Genuſs des Gutes für seine Lebenszeit vorbehielten 7.

Wie rasch und wie hoch auf solche Weise der Besitzstand der
Kirche anschwoll, zeigt das Beispiel des Klosters Fulda, welches bald
nach seiner Gründung fünfzehntausend Hufen Landes besaſs. Eben-
soviel hatte das neustrische Luxeuil. Nach einer Schätzung, welche
der Wahrheit ziemlich nahe kommen dürfte, war zu Anfang des 8. Jahrh.
ein Drittel der nutzbaren Bodenfläche Galliens Eigentum der Kirche 8.

4 Greg. Tur. Hist. Fr. VI 46.
5 In fränkischen und langobardischen Urkunden findet sich nicht selten die
im Anschluſs an Evang. Matth. 19, 29 entstandene Arenga, daſs derjenige, der sein
Gut der Kirche schenkt, in hoc seculo centuplum accipiet et quod melius est vitam
possidebit eternam. Bei den Langobarden wurde das remedium salutis animae ge-
radezu als die (nach Langobardenrecht für den Rechtsbestand der Schenkung er-
forderliche) Gegengabe des Beschenkten, als sog. Launegild bezeichnet und be-
handelt. Liu. 73. Val de Liévre, Launegild und Wadia S 10 ff.
6 Von den unlauteren Mitteln, mit welchen der Klerus ihn weckte und an-
spornte, giebt Karls Kapitular von 811, I 162 ein denkwürdiges Zeugnis.
7 v. Inama-Sternegg hat Grundh. S 115 die Erwerbsgeschäfte von St. Gallen,
Wolff, Erwerb und Verwaltung des Klostervermögens in den Tradit. Wizenburg.,
1883, S 21 die Erwerbsgeschäfte von Weiſsenburg im Elsaſs mit Unterscheidung der
unbedingten Schenkungen, der Übertragungen mit Vorbehalt und der onerosen Er-
werbungen für einzelne Zeitabschnitte zusammengestellt. Die Tabellen zeigen einer-
seits, wie sehr die lukrativen Erwerbsgeschäfte die onerosen überstiegen, anderer-
seits daſs die Zahl der bedingten Übertragungen im Laufe des 9. Jahrh. verhältnis-
mäſsig anwuchs. Im 10. Jahrh. ändert sich die Sachlage; die onerosen Erwerbun-
gen, namentlich die Tauschgeschäfte, haben das unbestrittene Übergewicht.
8 Roth, BW S 251 ff.
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[204/0222] § 26. Grundherrschaften und Landleihe. gebigster Weise Kirchen und Klöster beschenkt, neue Stiftungen dotiert. Schon König Chilperich hatte Anlaſs, aus Unmut über die Vermehrung des kirchlichen Reichtums, in die Klage auszubrechen: ecce pauper remansit fiscus noster, ecce divitiae nostrae ad ecclesias sunt translatae 4. Die erheblichste Zunahme erwuchs dem Besitztum der Kirche durch Schenkungen von Privatpersonen. Nachdem zuerst die Franken, dann die übrigen deutschen Stämme dem Christentum gewonnen worden waren, nachdem der Katholizismus den Arianismus überwunden hatte, äuſserte sich der kirchliche Eifer der Neubekehrten in zahllosen Vergabungen zu frommen Zwecken. Die Schenkung an die Kirche galt für ein gottgefälliges Werk, durch das man sich die Vergebung der Sünden erkaufte, sich irdischen und himmlischen Lohnes versicherte 5. Seinen Höhepunkt erreichte der Schenkungseifer in der Zeit Karls des Groſsen 6. Neben den unbedingten und unbeschränkten Schenkungen gab es verschiedene Arten betagter und bedingter Zuwendungen, welche den Entschluſs zu schenken erleichterten, weil sie dem Schenker den Genuſs des Gutes für seine Lebenszeit vorbehielten 7. Wie rasch und wie hoch auf solche Weise der Besitzstand der Kirche anschwoll, zeigt das Beispiel des Klosters Fulda, welches bald nach seiner Gründung fünfzehntausend Hufen Landes besaſs. Eben- soviel hatte das neustrische Luxeuil. Nach einer Schätzung, welche der Wahrheit ziemlich nahe kommen dürfte, war zu Anfang des 8. Jahrh. ein Drittel der nutzbaren Bodenfläche Galliens Eigentum der Kirche 8. 4 Greg. Tur. Hist. Fr. VI 46. 5 In fränkischen und langobardischen Urkunden findet sich nicht selten die im Anschluſs an Evang. Matth. 19, 29 entstandene Arenga, daſs derjenige, der sein Gut der Kirche schenkt, in hoc seculo centuplum accipiet et quod melius est vitam possidebit eternam. Bei den Langobarden wurde das remedium salutis animae ge- radezu als die (nach Langobardenrecht für den Rechtsbestand der Schenkung er- forderliche) Gegengabe des Beschenkten, als sog. Launegild bezeichnet und be- handelt. Liu. 73. Val de Liévre, Launegild und Wadia S 10 ff. 6 Von den unlauteren Mitteln, mit welchen der Klerus ihn weckte und an- spornte, giebt Karls Kapitular von 811, I 162 ein denkwürdiges Zeugnis. 7 v. Inama-Sternegg hat Grundh. S 115 die Erwerbsgeschäfte von St. Gallen, Wolff, Erwerb und Verwaltung des Klostervermögens in den Tradit. Wizenburg., 1883, S 21 die Erwerbsgeschäfte von Weiſsenburg im Elsaſs mit Unterscheidung der unbedingten Schenkungen, der Übertragungen mit Vorbehalt und der onerosen Er- werbungen für einzelne Zeitabschnitte zusammengestellt. Die Tabellen zeigen einer- seits, wie sehr die lukrativen Erwerbsgeschäfte die onerosen überstiegen, anderer- seits daſs die Zahl der bedingten Übertragungen im Laufe des 9. Jahrh. verhältnis- mäſsig anwuchs. Im 10. Jahrh. ändert sich die Sachlage; die onerosen Erwerbun- gen, namentlich die Tauschgeschäfte, haben das unbestrittene Übergewicht. 8 Roth, BW S 251 ff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/222>, abgerufen am 23.04.2024.