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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 29. Die Gliederung der Gesellschaft.
germanische Bevölkerung als die herrschende besass, fand in einem
höheren Wergelde rechtliche Anerkennung.

Für den Rang, den die verschiedenen im fränkischen Reiche ver-
einigten Nationalitäten und Stämme in ihrem gegenseitigen Verhältnisse
einnehmen, bilden die Wergelder des vollfreien Mannes die bestimmende
Grösse. Bei den deutschen Stämmen sind sie im wesentlichen von
gleicher Höhe. Allerdings begegnen uns in ihren Rechtsquellen un-
gleiche Beträge. Allein die Ungleichheit ist in der Hauptsache nur
eine scheinbare. Sie verschwindet bis auf unerhebliche Differenzen,
wenn man die Verschiedenheit der Münzwerte und die verschieden-
artige Berechnung des Friedensgeldes in Betracht zieht.

Das Wergeld des freien Franken ist in den Volksrechten der
Salier, der Ribuarier und Chamaven auf 200 solidi angesetzt 1. Eben-
soviel betrug das Freienwergeld bei den Angeln und Warnen 2. Da-
gegen sollen nach einer Stelle des ribuarischen Volksrechtes der
Baier, der Alamanne, der Friese und der Sachse, wenn sie von einem
Ribuarier erschlagen worden sind, nur mit 160 solidi gebüsst werden 3.
Dieselbe Summe sprechen die heimischen Rechte der Alamannen und
der Baiern dem Gemeinfreien zu 4. Ebenso hoch stellt sich das
Wergeld des freien Sachsen, wenn man die 240 solidi minores, die
als solches aus der Lex Saxonum erschlossen werden, in solidi maiores
umrechnet 5. Im friesischen Volksrechte wird mehrfach der Betrag
von 53 1/3 solidi als simplex compositio oder weregildus des freien
Mannes erwähnt 6. Allein aus anderen Stellen der Lex ist zu folgern,
dass die Tötung des freien Friesen, wenn sie nicht eine kasuelle war,
mit dreimal 53 1/3 solidi, also gleichfalls mit 160 solidi gebüsst wurde 7.
Wahrscheinlich sind die friesischen Wergelder in Gold angesetzt
worden zu einer Zeit, da die Franken bereits den Übergang zum

1 Lex Sal. 41, 1; Lex Rib. 7; Lex Chamav. c. 4.
2 Lex Angl. c 2.
3 Lex Rib. 36, 4.
4 Pactus Alam. II 37. Lex Alam. Hlo. 69, 1. Lex Baiuw. IV 28. Dass der
minoflidus des Pactus der Gemeinfreie ist, wird unten § 32 zur Sprache kommen.
5 Arg. Lex Sax. c. 40. v. Richthofen in MG LL V 52 Anm 27.
6 Lex Fris. 1, 3. 6. 9. 10. Add. 3 a, 58.
7 Das hat Gaupp, German. Abhandl. S 9 ff. m. E. bewiesen. Ein weiteres
Argument liefern Titel 10, 1 und 22, 77, zwei Stellen, welche v. Richthofen zum
ältesten Bestandteile der Lex rechnet. Nach 10, 1 kann sich der Meineidige vom
Verluste der Schwurhand durch Zahlung des einfachen Wergeldes loskaufen. Nach
22, 77 (vgl. Add. 3 a, 1) betrug die Armbusse 53 1/3 solidi. Zur Zeit, da für die
Schwurhand und den Arm ein einfaches Wergeld entrichtet wurde, musste das
Leben bereits durch ein mehrfaches Wergeld geschützt sein.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 15

§ 29. Die Gliederung der Gesellschaft.
germanische Bevölkerung als die herrschende besaſs, fand in einem
höheren Wergelde rechtliche Anerkennung.

Für den Rang, den die verschiedenen im fränkischen Reiche ver-
einigten Nationalitäten und Stämme in ihrem gegenseitigen Verhältnisse
einnehmen, bilden die Wergelder des vollfreien Mannes die bestimmende
Gröſse. Bei den deutschen Stämmen sind sie im wesentlichen von
gleicher Höhe. Allerdings begegnen uns in ihren Rechtsquellen un-
gleiche Beträge. Allein die Ungleichheit ist in der Hauptsache nur
eine scheinbare. Sie verschwindet bis auf unerhebliche Differenzen,
wenn man die Verschiedenheit der Münzwerte und die verschieden-
artige Berechnung des Friedensgeldes in Betracht zieht.

Das Wergeld des freien Franken ist in den Volksrechten der
Salier, der Ribuarier und Chamaven auf 200 solidi angesetzt 1. Eben-
soviel betrug das Freienwergeld bei den Angeln und Warnen 2. Da-
gegen sollen nach einer Stelle des ribuarischen Volksrechtes der
Baier, der Alamanne, der Friese und der Sachse, wenn sie von einem
Ribuarier erschlagen worden sind, nur mit 160 solidi gebüſst werden 3.
Dieselbe Summe sprechen die heimischen Rechte der Alamannen und
der Baiern dem Gemeinfreien zu 4. Ebenso hoch stellt sich das
Wergeld des freien Sachsen, wenn man die 240 solidi minores, die
als solches aus der Lex Saxonum erschlossen werden, in solidi maiores
umrechnet 5. Im friesischen Volksrechte wird mehrfach der Betrag
von 53⅓ solidi als simplex compositio oder weregildus des freien
Mannes erwähnt 6. Allein aus anderen Stellen der Lex ist zu folgern,
daſs die Tötung des freien Friesen, wenn sie nicht eine kasuelle war,
mit dreimal 53⅓ solidi, also gleichfalls mit 160 solidi gebüſst wurde 7.
Wahrscheinlich sind die friesischen Wergelder in Gold angesetzt
worden zu einer Zeit, da die Franken bereits den Übergang zum

1 Lex Sal. 41, 1; Lex Rib. 7; Lex Chamav. c. 4.
2 Lex Angl. c 2.
3 Lex Rib. 36, 4.
4 Pactus Alam. II 37. Lex Alam. Hlo. 69, 1. Lex Baiuw. IV 28. Daſs der
minoflidus des Pactus der Gemeinfreie ist, wird unten § 32 zur Sprache kommen.
5 Arg. Lex Sax. c. 40. v. Richthofen in MG LL V 52 Anm 27.
6 Lex Fris. 1, 3. 6. 9. 10. Add. 3 a, 58.
7 Das hat Gaupp, German. Abhandl. S 9 ff. m. E. bewiesen. Ein weiteres
Argument liefern Titel 10, 1 und 22, 77, zwei Stellen, welche v. Richthofen zum
ältesten Bestandteile der Lex rechnet. Nach 10, 1 kann sich der Meineidige vom
Verluste der Schwurhand durch Zahlung des einfachen Wergeldes loskaufen. Nach
22, 77 (vgl. Add. 3 a, 1) betrug die Armbuſse 53⅓ solidi. Zur Zeit, da für die
Schwurhand und den Arm ein einfaches Wergeld entrichtet wurde, muſste das
Leben bereits durch ein mehrfaches Wergeld geschützt sein.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 15
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[225/0243] § 29. Die Gliederung der Gesellschaft. germanische Bevölkerung als die herrschende besaſs, fand in einem höheren Wergelde rechtliche Anerkennung. Für den Rang, den die verschiedenen im fränkischen Reiche ver- einigten Nationalitäten und Stämme in ihrem gegenseitigen Verhältnisse einnehmen, bilden die Wergelder des vollfreien Mannes die bestimmende Gröſse. Bei den deutschen Stämmen sind sie im wesentlichen von gleicher Höhe. Allerdings begegnen uns in ihren Rechtsquellen un- gleiche Beträge. Allein die Ungleichheit ist in der Hauptsache nur eine scheinbare. Sie verschwindet bis auf unerhebliche Differenzen, wenn man die Verschiedenheit der Münzwerte und die verschieden- artige Berechnung des Friedensgeldes in Betracht zieht. Das Wergeld des freien Franken ist in den Volksrechten der Salier, der Ribuarier und Chamaven auf 200 solidi angesetzt 1. Eben- soviel betrug das Freienwergeld bei den Angeln und Warnen 2. Da- gegen sollen nach einer Stelle des ribuarischen Volksrechtes der Baier, der Alamanne, der Friese und der Sachse, wenn sie von einem Ribuarier erschlagen worden sind, nur mit 160 solidi gebüſst werden 3. Dieselbe Summe sprechen die heimischen Rechte der Alamannen und der Baiern dem Gemeinfreien zu 4. Ebenso hoch stellt sich das Wergeld des freien Sachsen, wenn man die 240 solidi minores, die als solches aus der Lex Saxonum erschlossen werden, in solidi maiores umrechnet 5. Im friesischen Volksrechte wird mehrfach der Betrag von 53⅓ solidi als simplex compositio oder weregildus des freien Mannes erwähnt 6. Allein aus anderen Stellen der Lex ist zu folgern, daſs die Tötung des freien Friesen, wenn sie nicht eine kasuelle war, mit dreimal 53⅓ solidi, also gleichfalls mit 160 solidi gebüſst wurde 7. Wahrscheinlich sind die friesischen Wergelder in Gold angesetzt worden zu einer Zeit, da die Franken bereits den Übergang zum 1 Lex Sal. 41, 1; Lex Rib. 7; Lex Chamav. c. 4. 2 Lex Angl. c 2. 3 Lex Rib. 36, 4. 4 Pactus Alam. II 37. Lex Alam. Hlo. 69, 1. Lex Baiuw. IV 28. Daſs der minoflidus des Pactus der Gemeinfreie ist, wird unten § 32 zur Sprache kommen. 5 Arg. Lex Sax. c. 40. v. Richthofen in MG LL V 52 Anm 27. 6 Lex Fris. 1, 3. 6. 9. 10. Add. 3 a, 58. 7 Das hat Gaupp, German. Abhandl. S 9 ff. m. E. bewiesen. Ein weiteres Argument liefern Titel 10, 1 und 22, 77, zwei Stellen, welche v. Richthofen zum ältesten Bestandteile der Lex rechnet. Nach 10, 1 kann sich der Meineidige vom Verluste der Schwurhand durch Zahlung des einfachen Wergeldes loskaufen. Nach 22, 77 (vgl. Add. 3 a, 1) betrug die Armbuſse 53⅓ solidi. Zur Zeit, da für die Schwurhand und den Arm ein einfaches Wergeld entrichtet wurde, muſste das Leben bereits durch ein mehrfaches Wergeld geschützt sein. Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 15

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/243>, abgerufen am 20.04.2024.