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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 29. Die Gliederung der Gesellschaft.
gewisser geistlicher Würden einer Erhöhung seines Wergeldes teil-
haftig wurde.

Die Fortbildung, die das Ständewesen im Verlaufe der fränkischen
Periode erfuhr, äussert sich in der Abschleifung der vorhandenen, in
der Anbahnung neuer ständischer Gegensätze. Das Ergebnis ist zwar
weit verschieden von den spätrömischen Verhältnissen. Auch lässt
sich eine unmittelbare Einwirkung derselben nicht wahrnehmen. Aber
die allgemeine Richtung und die tieferen Grundlagen der sozialen
Entwicklung sind nicht frei von römischen Analogien. Es war nicht
der Geist der römischen Kaiserzeit, es war ein höherer, aber doch
ein verwandter Geist, der im fränkischen Reiche an der Umwandlung
der Gesellschaft gearbeitet hat.

Der Gegensatz zwischen Freien und Unfreien erlitt eine all-
mähliche Abstumpfung durch Ausbildung von Übergangsstufen. Eine
Klasse von Knechten gewann eine der Halbfreiheit verwandte recht-
liche Stellung oder rückte geradezu in den Stand der Halbfreien auf.
Der Kern des Volkes, der Stand der Gemeinfreien gab einen Teil
seiner Genossen nach unten hin ab, indem eine Klasse von Minder-
freien entstand. Ein andrer Teil der Freien hob sich über die ge-
meine Freiheit empor und bildete einen neuen Adel, den römischen
honorati vergleichbar, weil er sich als Amts- und Dienstadel am
Königtum hinaufrankte. In diesen neuen Adel ist auch der alte
Geschlechtsadel der nichtfränkischen Stämme ganz oder doch teilweise
aufgegangen. Der fränkischen Zeit gehören ferner die ersten Anfänge
jener Entwicklung an, welche in der folgenden Periode die kriegerische
Beschäftigung von der bäuerlichen trennte und aus dieser Trennung,
wie das die römische Kaiserzeit in umfassenderer Weise gethan hatte,
einen Gegensatz erblicher Berufsstände erzeugte. Als Krieger und
Bauer war der freie Germane in die fränkische Geschichte eingetreten.
Allmählich steigerten sich die Ansprüche, welche der Landbau einer-
seits, der Heerdienst andrerseits an ihn stellten. Zwar führt er noch
abwechselnd den Pflug und die Waffe; aber immer lästiger wird es
ihm, jenen mit dieser zu vertauschen, je enger sein Leben und sein
Interessenkreis mit dem Ackerbau verwachsen. Im achten Jahrhundert
beginnt eine Umgestaltung des Heerwesens, welche von Westen nach
Osten vorwärts schreitend den Schwerpunkt des Kriegsdienstes in den
Reiterdienst verlegt. Da der kleine freie Mann diesen nicht zu leisten
vermag, bereitet sich jene Teilung der Kriegs- und der Friedensarbeit
vor, welche in nachfränkischer Zeit dem unkriegerisch gewordenen
Bauer das Waffenrecht entzog und ihm einen erblichen Kriegerstand
zum Herren setzte.

§ 29. Die Gliederung der Gesellschaft.
gewisser geistlicher Würden einer Erhöhung seines Wergeldes teil-
haftig wurde.

Die Fortbildung, die das Ständewesen im Verlaufe der fränkischen
Periode erfuhr, äuſsert sich in der Abschleifung der vorhandenen, in
der Anbahnung neuer ständischer Gegensätze. Das Ergebnis ist zwar
weit verschieden von den spätrömischen Verhältnissen. Auch läſst
sich eine unmittelbare Einwirkung derselben nicht wahrnehmen. Aber
die allgemeine Richtung und die tieferen Grundlagen der sozialen
Entwicklung sind nicht frei von römischen Analogien. Es war nicht
der Geist der römischen Kaiserzeit, es war ein höherer, aber doch
ein verwandter Geist, der im fränkischen Reiche an der Umwandlung
der Gesellschaft gearbeitet hat.

Der Gegensatz zwischen Freien und Unfreien erlitt eine all-
mähliche Abstumpfung durch Ausbildung von Übergangsstufen. Eine
Klasse von Knechten gewann eine der Halbfreiheit verwandte recht-
liche Stellung oder rückte geradezu in den Stand der Halbfreien auf.
Der Kern des Volkes, der Stand der Gemeinfreien gab einen Teil
seiner Genossen nach unten hin ab, indem eine Klasse von Minder-
freien entstand. Ein andrer Teil der Freien hob sich über die ge-
meine Freiheit empor und bildete einen neuen Adel, den römischen
honorati vergleichbar, weil er sich als Amts- und Dienstadel am
Königtum hinaufrankte. In diesen neuen Adel ist auch der alte
Geschlechtsadel der nichtfränkischen Stämme ganz oder doch teilweise
aufgegangen. Der fränkischen Zeit gehören ferner die ersten Anfänge
jener Entwicklung an, welche in der folgenden Periode die kriegerische
Beschäftigung von der bäuerlichen trennte und aus dieser Trennung,
wie das die römische Kaiserzeit in umfassenderer Weise gethan hatte,
einen Gegensatz erblicher Berufsstände erzeugte. Als Krieger und
Bauer war der freie Germane in die fränkische Geschichte eingetreten.
Allmählich steigerten sich die Ansprüche, welche der Landbau einer-
seits, der Heerdienst andrerseits an ihn stellten. Zwar führt er noch
abwechselnd den Pflug und die Waffe; aber immer lästiger wird es
ihm, jenen mit dieser zu vertauschen, je enger sein Leben und sein
Interessenkreis mit dem Ackerbau verwachsen. Im achten Jahrhundert
beginnt eine Umgestaltung des Heerwesens, welche von Westen nach
Osten vorwärts schreitend den Schwerpunkt des Kriegsdienstes in den
Reiterdienst verlegt. Da der kleine freie Mann diesen nicht zu leisten
vermag, bereitet sich jene Teilung der Kriegs- und der Friedensarbeit
vor, welche in nachfränkischer Zeit dem unkriegerisch gewordenen
Bauer das Waffenrecht entzog und ihm einen erblichen Kriegerstand
zum Herren setzte.

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[230/0248] § 29. Die Gliederung der Gesellschaft. gewisser geistlicher Würden einer Erhöhung seines Wergeldes teil- haftig wurde. Die Fortbildung, die das Ständewesen im Verlaufe der fränkischen Periode erfuhr, äuſsert sich in der Abschleifung der vorhandenen, in der Anbahnung neuer ständischer Gegensätze. Das Ergebnis ist zwar weit verschieden von den spätrömischen Verhältnissen. Auch läſst sich eine unmittelbare Einwirkung derselben nicht wahrnehmen. Aber die allgemeine Richtung und die tieferen Grundlagen der sozialen Entwicklung sind nicht frei von römischen Analogien. Es war nicht der Geist der römischen Kaiserzeit, es war ein höherer, aber doch ein verwandter Geist, der im fränkischen Reiche an der Umwandlung der Gesellschaft gearbeitet hat. Der Gegensatz zwischen Freien und Unfreien erlitt eine all- mähliche Abstumpfung durch Ausbildung von Übergangsstufen. Eine Klasse von Knechten gewann eine der Halbfreiheit verwandte recht- liche Stellung oder rückte geradezu in den Stand der Halbfreien auf. Der Kern des Volkes, der Stand der Gemeinfreien gab einen Teil seiner Genossen nach unten hin ab, indem eine Klasse von Minder- freien entstand. Ein andrer Teil der Freien hob sich über die ge- meine Freiheit empor und bildete einen neuen Adel, den römischen honorati vergleichbar, weil er sich als Amts- und Dienstadel am Königtum hinaufrankte. In diesen neuen Adel ist auch der alte Geschlechtsadel der nichtfränkischen Stämme ganz oder doch teilweise aufgegangen. Der fränkischen Zeit gehören ferner die ersten Anfänge jener Entwicklung an, welche in der folgenden Periode die kriegerische Beschäftigung von der bäuerlichen trennte und aus dieser Trennung, wie das die römische Kaiserzeit in umfassenderer Weise gethan hatte, einen Gegensatz erblicher Berufsstände erzeugte. Als Krieger und Bauer war der freie Germane in die fränkische Geschichte eingetreten. Allmählich steigerten sich die Ansprüche, welche der Landbau einer- seits, der Heerdienst andrerseits an ihn stellten. Zwar führt er noch abwechselnd den Pflug und die Waffe; aber immer lästiger wird es ihm, jenen mit dieser zu vertauschen, je enger sein Leben und sein Interessenkreis mit dem Ackerbau verwachsen. Im achten Jahrhundert beginnt eine Umgestaltung des Heerwesens, welche von Westen nach Osten vorwärts schreitend den Schwerpunkt des Kriegsdienstes in den Reiterdienst verlegt. Da der kleine freie Mann diesen nicht zu leisten vermag, bereitet sich jene Teilung der Kriegs- und der Friedensarbeit vor, welche in nachfränkischer Zeit dem unkriegerisch gewordenen Bauer das Waffenrecht entzog und ihm einen erblichen Kriegerstand zum Herren setzte.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/248>, abgerufen am 19.04.2024.