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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 32. Adel und Freie.
der langobardische 3, der ost- und westfriesische 4 Adel das zweifache
Wergeld des Freien. In Baiern sind die Mitglieder des Herzogs-
geschlechtes durch das vierfache, die übrigen fünf Adelsgeschlechter
durch das zweifache Freienwergeld ausgezeichnet 5.

Bei den Mittelfriesen ist das Wergeld des Adeligen das anderthalb-
fache des Freien. Es entspricht nämlich die Erbenbusse des Adeligen
dem vollen Wergelde des Freien, während andrerseits die Erbenbusse
des Freien dem vollen Wergelde des Liten gleichsteht. Das Wergeld
des höheren Standes überragt also das des nächst niedrigeren um den
Betrag der Magsühne 6.

In Schwaben gliederte sich die freie Bevölkerung anfänglich in
drei Stände, nämlich in minofledi oder minoflidi mit einem Wergelde
von 160, in mediani mit einem Wergelde von 200 und in primi oder
meliorissimi mit einem Wergelde von 240 solidi 7. Das Wergeld des
höheren Standes steht um den Betrag des grossen alamannischen
Friedensgeldes über dem des nächstfolgenden Standes.

Das Wesen der ältesten alamannischen Ständegliederung ist
streitig. Sie findet sich nur in dem sogenannten Pactus Alamannorum,
einer Rechtsaufzeichnung vom Ende des sechsten oder vom Anfang
des siebenten Jahrhunderts. In der Lex Alamannorum, welche im
zweiten oder dritten Dezennium des achten Jahrhunderts abgefasst
worden ist, erscheinen die minofledi unter dem Namen liberi 8 und
werden die primi nicht mehr genannt. Minoflidi erwähnt im Gegen-
satz zu meliores auch ein Zusatz zur Lex Salica 9, der von jenen
wegen Mordverdachtes einen Eid mit 15, von diesen einen Eid mit
65 Eidhelfern verlangt. Drei freie Stände unterscheidet schon das
burgundische Gesetzbuch, welches das Wergeld der untersten Stufe,
der minores, inferiores oder leudes auf 150, das der personae mediocres
auf 200, das der optimates auf 300 solidi ansetzt 10.

Die minofledi der Alamannen sind weder, wie man geglaubt hat,
als Liten aufzufassen 11, noch stellen sie sich als ein Stand von
Minderfreien dar, die des eigenen Grundbesitzes entbehrend auf

3 Liutprand 62.
4 Lex Fris. 1, 10; 15, 1. 2.
5 Lex Baiuw. II 1.
6 Lex Fris. 1, 1. 3; Add. 3 a 58. Z2 f. RG III 18 f. S. oben S 219.
7 Pactus Alam. II c. 37 ff.
8 Lex Alam. Hlo. 69.
9 Lex Sal. Hessels Titel 74. Behrend-Boretius, Cap. I c. 9.
10 Lex Burg. 2, 2; 26, 1. 2; 101, 2 (Add. I 14, 2).
11 So v. Savigny, Adel S 24; Merkel, De republica Alam. S 5 u. öfter.
Dagegen Gaupp, Ansiedl. S 129 ff.; Wilda, Strafrecht 421.

§ 32. Adel und Freie.
der langobardische 3, der ost- und westfriesische 4 Adel das zweifache
Wergeld des Freien. In Baiern sind die Mitglieder des Herzogs-
geschlechtes durch das vierfache, die übrigen fünf Adelsgeschlechter
durch das zweifache Freienwergeld ausgezeichnet 5.

Bei den Mittelfriesen ist das Wergeld des Adeligen das anderthalb-
fache des Freien. Es entspricht nämlich die Erbenbuſse des Adeligen
dem vollen Wergelde des Freien, während andrerseits die Erbenbuſse
des Freien dem vollen Wergelde des Liten gleichsteht. Das Wergeld
des höheren Standes überragt also das des nächst niedrigeren um den
Betrag der Magsühne 6.

In Schwaben gliederte sich die freie Bevölkerung anfänglich in
drei Stände, nämlich in minofledi oder minoflidi mit einem Wergelde
von 160, in mediani mit einem Wergelde von 200 und in primi oder
meliorissimi mit einem Wergelde von 240 solidi 7. Das Wergeld des
höheren Standes steht um den Betrag des groſsen alamannischen
Friedensgeldes über dem des nächstfolgenden Standes.

Das Wesen der ältesten alamannischen Ständegliederung ist
streitig. Sie findet sich nur in dem sogenannten Pactus Alamannorum,
einer Rechtsaufzeichnung vom Ende des sechsten oder vom Anfang
des siebenten Jahrhunderts. In der Lex Alamannorum, welche im
zweiten oder dritten Dezennium des achten Jahrhunderts abgefaſst
worden ist, erscheinen die minofledi unter dem Namen liberi 8 und
werden die primi nicht mehr genannt. Minoflidi erwähnt im Gegen-
satz zu meliores auch ein Zusatz zur Lex Salica 9, der von jenen
wegen Mordverdachtes einen Eid mit 15, von diesen einen Eid mit
65 Eidhelfern verlangt. Drei freie Stände unterscheidet schon das
burgundische Gesetzbuch, welches das Wergeld der untersten Stufe,
der minores, inferiores oder leudes auf 150, das der personae mediocres
auf 200, das der optimates auf 300 solidi ansetzt 10.

Die minofledi der Alamannen sind weder, wie man geglaubt hat,
als Liten aufzufassen 11, noch stellen sie sich als ein Stand von
Minderfreien dar, die des eigenen Grundbesitzes entbehrend auf

3 Liutprand 62.
4 Lex Fris. 1, 10; 15, 1. 2.
5 Lex Baiuw. II 1.
6 Lex Fris. 1, 1. 3; Add. 3 a 58. Z2 f. RG III 18 f. S. oben S 219.
7 Pactus Alam. II c. 37 ff.
8 Lex Alam. Hlo. 69.
9 Lex Sal. Hessels Titel 74. Behrend-Boretius, Cap. I c. 9.
10 Lex Burg. 2, 2; 26, 1. 2; 101, 2 (Add. I 14, 2).
11 So v. Savigny, Adel S 24; Merkel, De republica Alam. S 5 u. öfter.
Dagegen Gaupp, Ansiedl. S 129 ff.; Wilda, Strafrecht 421.
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[248/0266] § 32. Adel und Freie. der langobardische 3, der ost- und westfriesische 4 Adel das zweifache Wergeld des Freien. In Baiern sind die Mitglieder des Herzogs- geschlechtes durch das vierfache, die übrigen fünf Adelsgeschlechter durch das zweifache Freienwergeld ausgezeichnet 5. Bei den Mittelfriesen ist das Wergeld des Adeligen das anderthalb- fache des Freien. Es entspricht nämlich die Erbenbuſse des Adeligen dem vollen Wergelde des Freien, während andrerseits die Erbenbuſse des Freien dem vollen Wergelde des Liten gleichsteht. Das Wergeld des höheren Standes überragt also das des nächst niedrigeren um den Betrag der Magsühne 6. In Schwaben gliederte sich die freie Bevölkerung anfänglich in drei Stände, nämlich in minofledi oder minoflidi mit einem Wergelde von 160, in mediani mit einem Wergelde von 200 und in primi oder meliorissimi mit einem Wergelde von 240 solidi 7. Das Wergeld des höheren Standes steht um den Betrag des groſsen alamannischen Friedensgeldes über dem des nächstfolgenden Standes. Das Wesen der ältesten alamannischen Ständegliederung ist streitig. Sie findet sich nur in dem sogenannten Pactus Alamannorum, einer Rechtsaufzeichnung vom Ende des sechsten oder vom Anfang des siebenten Jahrhunderts. In der Lex Alamannorum, welche im zweiten oder dritten Dezennium des achten Jahrhunderts abgefaſst worden ist, erscheinen die minofledi unter dem Namen liberi 8 und werden die primi nicht mehr genannt. Minoflidi erwähnt im Gegen- satz zu meliores auch ein Zusatz zur Lex Salica 9, der von jenen wegen Mordverdachtes einen Eid mit 15, von diesen einen Eid mit 65 Eidhelfern verlangt. Drei freie Stände unterscheidet schon das burgundische Gesetzbuch, welches das Wergeld der untersten Stufe, der minores, inferiores oder leudes auf 150, das der personae mediocres auf 200, das der optimates auf 300 solidi ansetzt 10. Die minofledi der Alamannen sind weder, wie man geglaubt hat, als Liten aufzufassen 11, noch stellen sie sich als ein Stand von Minderfreien dar, die des eigenen Grundbesitzes entbehrend auf 3 Liutprand 62. 4 Lex Fris. 1, 10; 15, 1. 2. 5 Lex Baiuw. II 1. 6 Lex Fris. 1, 1. 3; Add. 3 a 58. Z2 f. RG III 18 f. S. oben S 219. 7 Pactus Alam. II c. 37 ff. 8 Lex Alam. Hlo. 69. 9 Lex Sal. Hessels Titel 74. Behrend-Boretius, Cap. I c. 9. 10 Lex Burg. 2, 2; 26, 1. 2; 101, 2 (Add. I 14, 2). 11 So v. Savigny, Adel S 24; Merkel, De republica Alam. S 5 u. öfter. Dagegen Gaupp, Ansiedl. S 129 ff.; Wilda, Strafrecht 421.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/266>, abgerufen am 25.04.2024.