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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 34. Das Personalitätsprinzip.
sehr bunte Mischung zeigt auch Italien, wo sich über die römische
Bevölkerung zunächst die langobardische gelagert hatte und nach dem
Sturz des langobardischen Königtums zahlreiche Franken, Alamannen,
vereinzelte Baiern und Angehörige anderer Stämme eingeströmt
waren2.

Für die Rechtsbeziehungen von Unterthanen, die nach verschie-
denem Rechte lebten, entwickelte sich im fränkischen Reiche das
sogen. Personalitätsprinzip, nach welchem der einzelne auch ausser-
halb seiner Stammesheimat gemäss dem Rechte behandelt wurde, in
welchem er geboren war. Altgermanisch ist dieser Grundsatz nicht.
Auf Fremde im staatsrechtlichen Sinne hat er weder in germanischer
noch in fränkischer Zeit Anwendung gefunden. Die Burgunder haben
in der Periode ihrer Selbständigkeit bei Rechtshändeln zwischen Lango-
barden und Römern das burgundische Recht entscheiden lassen3. Die
Langobarden sind sicher, die Westgoten des tolosanischen Reiches ver-
mutlich von gleichem Standpunkte ausgegangen4. Die Lex Salica
enthält noch keine Spur des Personalitätsprinzips, ja die Zusätze einer
alten Handschrift lassen ersehen, dass der Römer dem salischen Be-
weisrechte unterworfen wurde5. Erst in der Lex Ribuaria tritt uns
der Grundsatz, dass der einzelne nach seinem Geburtsrechte zu be-
handeln sei, in voller Ausbildung entgegen6. Wenn somit das Per-
sonalitätsprinzip nicht von Anfang an im fränkischen Reiche vorhanden
war, so liegt es nahe zu vermuten, dass seine Ausbildung aus dem
Bedürfnis und aus dem Bestreben hervorging, den salischen Franken
den Genuss ihres Stammrechtes in den verschiedenen Rechtsgebieten
sicher zu stellen, über welche sie sich verbreitet hatten. Die An-
wendung des Geburtsrechtes musste dann unter dem Gesichtspunkte
der Gegenseitigkeit auf alle übrigen Stämme ausgedehnt werden.
Auch den Langobarden wurde sie nicht, wie man fälschlich geglaubt
hat7, diesseits der Alpen vorenthalten. Nur das jüdische Recht und

civitatibus, sed etiam in multis domibus habetur. Nam plerumque contingit, ut
simul eant aut sedeant quinque homines, et nullus eorum communem legem cum
altero habeat.
2 Soweit man aus den Traditionsurkunden schliessen kann, scheinen in der
zweiten Hälfte des neunten und im zehnten Jahrhundert die grossen Grundbesitzer
Oberitaliens nahezu in der Mehrzahl Franken und Alamannen gewesen zu sein.
3 Lex Burg. prima const. c. 2: omnes iudices .. secundum leges nostras ..
inter Burgundionem et Romanum .. iudicare debebunt.
4 Bethmann-Hollweg a. O. IV. 194. 332.
5 Lex Sal. Hessels Cod. 2 (Guelferbyt.) 14, 2; 16, 3.
6 Lex Rib. 31, 3. 4; 61, 2.
7 Diese von Savigny (I 120) aufgestellte Ansicht hat schon Waitz, VG III 347

§ 34. Das Personalitätsprinzip.
sehr bunte Mischung zeigt auch Italien, wo sich über die römische
Bevölkerung zunächst die langobardische gelagert hatte und nach dem
Sturz des langobardischen Königtums zahlreiche Franken, Alamannen,
vereinzelte Baiern und Angehörige anderer Stämme eingeströmt
waren2.

Für die Rechtsbeziehungen von Unterthanen, die nach verschie-
denem Rechte lebten, entwickelte sich im fränkischen Reiche das
sogen. Personalitätsprinzip, nach welchem der einzelne auch auſser-
halb seiner Stammesheimat gemäſs dem Rechte behandelt wurde, in
welchem er geboren war. Altgermanisch ist dieser Grundsatz nicht.
Auf Fremde im staatsrechtlichen Sinne hat er weder in germanischer
noch in fränkischer Zeit Anwendung gefunden. Die Burgunder haben
in der Periode ihrer Selbständigkeit bei Rechtshändeln zwischen Lango-
barden und Römern das burgundische Recht entscheiden lassen3. Die
Langobarden sind sicher, die Westgoten des tolosanischen Reiches ver-
mutlich von gleichem Standpunkte ausgegangen4. Die Lex Salica
enthält noch keine Spur des Personalitätsprinzips, ja die Zusätze einer
alten Handschrift lassen ersehen, daſs der Römer dem salischen Be-
weisrechte unterworfen wurde5. Erst in der Lex Ribuaria tritt uns
der Grundsatz, daſs der einzelne nach seinem Geburtsrechte zu be-
handeln sei, in voller Ausbildung entgegen6. Wenn somit das Per-
sonalitätsprinzip nicht von Anfang an im fränkischen Reiche vorhanden
war, so liegt es nahe zu vermuten, daſs seine Ausbildung aus dem
Bedürfnis und aus dem Bestreben hervorging, den salischen Franken
den Genuſs ihres Stammrechtes in den verschiedenen Rechtsgebieten
sicher zu stellen, über welche sie sich verbreitet hatten. Die An-
wendung des Geburtsrechtes muſste dann unter dem Gesichtspunkte
der Gegenseitigkeit auf alle übrigen Stämme ausgedehnt werden.
Auch den Langobarden wurde sie nicht, wie man fälschlich geglaubt
hat7, diesseits der Alpen vorenthalten. Nur das jüdische Recht und

civitatibus, sed etiam in multis domibus habetur. Nam plerumque contingit, ut
simul eant aut sedeant quinque homines, et nullus eorum communem legem cum
altero habeat.
2 Soweit man aus den Traditionsurkunden schlieſsen kann, scheinen in der
zweiten Hälfte des neunten und im zehnten Jahrhundert die groſsen Grundbesitzer
Oberitaliens nahezu in der Mehrzahl Franken und Alamannen gewesen zu sein.
3 Lex Burg. prima const. c. 2: omnes iudices .. secundum leges nostras ..
inter Burgundionem et Romanum .. iudicare debebunt.
4 Bethmann-Hollweg a. O. IV. 194. 332.
5 Lex Sal. Hessels Cod. 2 (Guelferbyt.) 14, 2; 16, 3.
6 Lex Rib. 31, 3. 4; 61, 2.
7 Diese von Savigny (I 120) aufgestellte Ansicht hat schon Waitz, VG III 347
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[260/0278] § 34. Das Personalitätsprinzip. sehr bunte Mischung zeigt auch Italien, wo sich über die römische Bevölkerung zunächst die langobardische gelagert hatte und nach dem Sturz des langobardischen Königtums zahlreiche Franken, Alamannen, vereinzelte Baiern und Angehörige anderer Stämme eingeströmt waren 2. Für die Rechtsbeziehungen von Unterthanen, die nach verschie- denem Rechte lebten, entwickelte sich im fränkischen Reiche das sogen. Personalitätsprinzip, nach welchem der einzelne auch auſser- halb seiner Stammesheimat gemäſs dem Rechte behandelt wurde, in welchem er geboren war. Altgermanisch ist dieser Grundsatz nicht. Auf Fremde im staatsrechtlichen Sinne hat er weder in germanischer noch in fränkischer Zeit Anwendung gefunden. Die Burgunder haben in der Periode ihrer Selbständigkeit bei Rechtshändeln zwischen Lango- barden und Römern das burgundische Recht entscheiden lassen 3. Die Langobarden sind sicher, die Westgoten des tolosanischen Reiches ver- mutlich von gleichem Standpunkte ausgegangen 4. Die Lex Salica enthält noch keine Spur des Personalitätsprinzips, ja die Zusätze einer alten Handschrift lassen ersehen, daſs der Römer dem salischen Be- weisrechte unterworfen wurde 5. Erst in der Lex Ribuaria tritt uns der Grundsatz, daſs der einzelne nach seinem Geburtsrechte zu be- handeln sei, in voller Ausbildung entgegen 6. Wenn somit das Per- sonalitätsprinzip nicht von Anfang an im fränkischen Reiche vorhanden war, so liegt es nahe zu vermuten, daſs seine Ausbildung aus dem Bedürfnis und aus dem Bestreben hervorging, den salischen Franken den Genuſs ihres Stammrechtes in den verschiedenen Rechtsgebieten sicher zu stellen, über welche sie sich verbreitet hatten. Die An- wendung des Geburtsrechtes muſste dann unter dem Gesichtspunkte der Gegenseitigkeit auf alle übrigen Stämme ausgedehnt werden. Auch den Langobarden wurde sie nicht, wie man fälschlich geglaubt hat 7, diesseits der Alpen vorenthalten. Nur das jüdische Recht und 1 2 Soweit man aus den Traditionsurkunden schlieſsen kann, scheinen in der zweiten Hälfte des neunten und im zehnten Jahrhundert die groſsen Grundbesitzer Oberitaliens nahezu in der Mehrzahl Franken und Alamannen gewesen zu sein. 3 Lex Burg. prima const. c. 2: omnes iudices .. secundum leges nostras .. inter Burgundionem et Romanum .. iudicare debebunt. 4 Bethmann-Hollweg a. O. IV. 194. 332. 5 Lex Sal. Hessels Cod. 2 (Guelferbyt.) 14, 2; 16, 3. 6 Lex Rib. 31, 3. 4; 61, 2. 7 Diese von Savigny (I 120) aufgestellte Ansicht hat schon Waitz, VG III 347 1 civitatibus, sed etiam in multis domibus habetur. Nam plerumque contingit, ut simul eant aut sedeant quinque homines, et nullus eorum communem legem cum altero habeat.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/278>, abgerufen am 29.03.2024.