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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 36. Volksrecht und Königsrecht.
geltenden Gewohnheitsrechte die Form und Kraft der Satzung giebt.
Die volksrechtliche Satzung schliesst eine Teilnahme des Königtums
nicht aus. Einen Rechtszustand, wie er z. B. bis ins dreizehnte
Jahrhundert bei den Schweden galt, wo der König keinerlei Mit-
wirkungsrecht bei der Gesetzgebung besass, vermögen wir für die
gotischen und für die deutschen Stämme, die unter Königen
standen, nicht nachzuweisen. Vielmehr ist der König allenthalben
bereits ein mitwirkender Faktor der Schaffung des Rechtes. Aber
auch nicht mehr wie dies: denn begrifflich steht das Recht der
Satzung bei dem Volke. Selbst wenn sie aus der Initiative des
Königs hervorging und im Namen desselben erfolgte, musste die Zu-
stimmung des Volkes hinzutreten, damit Volksrecht entstehe. Durch
die Satzung als den Ausdruck des Volkswillens wurden die Organe
der Rechtsprechung unmittelbar gebunden. Denn die Satzung erklärt,
dass in diesem oder jenem Falle so und so geurteilt werden solle.
Die älteste typische Form der Satzung bewegt sich daher innerhalb
des Schemas: si quis fecerit, iudicetur.

Die frühzeitige Erstarkung der königlichen Gewalt, das Vorhanden-
sein eines Königsgerichtes, die Handhabung des Friedens, die Aus-
dehnung der Banngewalt, die Besetzung der höheren Richterstellen
mit königlichen Beamten setzten das fränkische Königtum in die Lage,
unabhängig vom Willen des Volkes Verordnungen zu erlassen. So-
weit die königliche Verordnung neue Rechtssätze einführt, werden sie
nicht durch die Organe der volksgerichtlichen Urteilfindung, sondern
durch den König und sein Beamtentum zur Anwendung gebracht.
Nicht der Urteilfinder des Volksgerichtes, sondern die Exekutivgewalt
wacht über die Handhabung der königlichen Verordnung.

Das Recht, welches der unmittelbaren Teilnahme des Volkes an
der Rechtsanwendung und an der Rechtssatzung seine Entstehung
verdankt, nennen wir Volksrecht. Das Recht, welches in der Amts-
gewalt des Königs und seiner Beamten seinen Ausgangspunkt hat,
darf als Königsrecht bezeichnet werden. Wie das Volksrecht das auf
dem Willen des Volkes, ist das Königsrecht das auf dem Willen des
Königs beruhende Recht. Wie das Volksrecht ist auch das Königs-
recht zum Teile Gewohnheitsrecht, zum Teile Satzung. Um den
Dualismus im deutschen Rechte der fränkischen Zeit in Parallele zu
bringen mit der aus der römischen Rechtsgeschichte bekannten Unter-
scheidung von ius civile und ius honorarium hat man das Königsrecht
auch als Amtsrecht bezeichnet 1.

1 Der Gegensatz von Volksrecht und Amtsrecht ist von Sohm, Reichs- und

§ 36. Volksrecht und Königsrecht.
geltenden Gewohnheitsrechte die Form und Kraft der Satzung giebt.
Die volksrechtliche Satzung schlieſst eine Teilnahme des Königtums
nicht aus. Einen Rechtszustand, wie er z. B. bis ins dreizehnte
Jahrhundert bei den Schweden galt, wo der König keinerlei Mit-
wirkungsrecht bei der Gesetzgebung besaſs, vermögen wir für die
gotischen und für die deutschen Stämme, die unter Königen
standen, nicht nachzuweisen. Vielmehr ist der König allenthalben
bereits ein mitwirkender Faktor der Schaffung des Rechtes. Aber
auch nicht mehr wie dies: denn begrifflich steht das Recht der
Satzung bei dem Volke. Selbst wenn sie aus der Initiative des
Königs hervorging und im Namen desselben erfolgte, muſste die Zu-
stimmung des Volkes hinzutreten, damit Volksrecht entstehe. Durch
die Satzung als den Ausdruck des Volkswillens wurden die Organe
der Rechtsprechung unmittelbar gebunden. Denn die Satzung erklärt,
daſs in diesem oder jenem Falle so und so geurteilt werden solle.
Die älteste typische Form der Satzung bewegt sich daher innerhalb
des Schemas: si quis fecerit, iudicetur.

Die frühzeitige Erstarkung der königlichen Gewalt, das Vorhanden-
sein eines Königsgerichtes, die Handhabung des Friedens, die Aus-
dehnung der Banngewalt, die Besetzung der höheren Richterstellen
mit königlichen Beamten setzten das fränkische Königtum in die Lage,
unabhängig vom Willen des Volkes Verordnungen zu erlassen. So-
weit die königliche Verordnung neue Rechtssätze einführt, werden sie
nicht durch die Organe der volksgerichtlichen Urteilfindung, sondern
durch den König und sein Beamtentum zur Anwendung gebracht.
Nicht der Urteilfinder des Volksgerichtes, sondern die Exekutivgewalt
wacht über die Handhabung der königlichen Verordnung.

Das Recht, welches der unmittelbaren Teilnahme des Volkes an
der Rechtsanwendung und an der Rechtssatzung seine Entstehung
verdankt, nennen wir Volksrecht. Das Recht, welches in der Amts-
gewalt des Königs und seiner Beamten seinen Ausgangspunkt hat,
darf als Königsrecht bezeichnet werden. Wie das Volksrecht das auf
dem Willen des Volkes, ist das Königsrecht das auf dem Willen des
Königs beruhende Recht. Wie das Volksrecht ist auch das Königs-
recht zum Teile Gewohnheitsrecht, zum Teile Satzung. Um den
Dualismus im deutschen Rechte der fränkischen Zeit in Parallele zu
bringen mit der aus der römischen Rechtsgeschichte bekannten Unter-
scheidung von ius civile und ius honorarium hat man das Königsrecht
auch als Amtsrecht bezeichnet 1.

1 Der Gegensatz von Volksrecht und Amtsrecht ist von Sohm, Reichs- und
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[278/0296] § 36. Volksrecht und Königsrecht. geltenden Gewohnheitsrechte die Form und Kraft der Satzung giebt. Die volksrechtliche Satzung schlieſst eine Teilnahme des Königtums nicht aus. Einen Rechtszustand, wie er z. B. bis ins dreizehnte Jahrhundert bei den Schweden galt, wo der König keinerlei Mit- wirkungsrecht bei der Gesetzgebung besaſs, vermögen wir für die gotischen und für die deutschen Stämme, die unter Königen standen, nicht nachzuweisen. Vielmehr ist der König allenthalben bereits ein mitwirkender Faktor der Schaffung des Rechtes. Aber auch nicht mehr wie dies: denn begrifflich steht das Recht der Satzung bei dem Volke. Selbst wenn sie aus der Initiative des Königs hervorging und im Namen desselben erfolgte, muſste die Zu- stimmung des Volkes hinzutreten, damit Volksrecht entstehe. Durch die Satzung als den Ausdruck des Volkswillens wurden die Organe der Rechtsprechung unmittelbar gebunden. Denn die Satzung erklärt, daſs in diesem oder jenem Falle so und so geurteilt werden solle. Die älteste typische Form der Satzung bewegt sich daher innerhalb des Schemas: si quis fecerit, iudicetur. Die frühzeitige Erstarkung der königlichen Gewalt, das Vorhanden- sein eines Königsgerichtes, die Handhabung des Friedens, die Aus- dehnung der Banngewalt, die Besetzung der höheren Richterstellen mit königlichen Beamten setzten das fränkische Königtum in die Lage, unabhängig vom Willen des Volkes Verordnungen zu erlassen. So- weit die königliche Verordnung neue Rechtssätze einführt, werden sie nicht durch die Organe der volksgerichtlichen Urteilfindung, sondern durch den König und sein Beamtentum zur Anwendung gebracht. Nicht der Urteilfinder des Volksgerichtes, sondern die Exekutivgewalt wacht über die Handhabung der königlichen Verordnung. Das Recht, welches der unmittelbaren Teilnahme des Volkes an der Rechtsanwendung und an der Rechtssatzung seine Entstehung verdankt, nennen wir Volksrecht. Das Recht, welches in der Amts- gewalt des Königs und seiner Beamten seinen Ausgangspunkt hat, darf als Königsrecht bezeichnet werden. Wie das Volksrecht das auf dem Willen des Volkes, ist das Königsrecht das auf dem Willen des Königs beruhende Recht. Wie das Volksrecht ist auch das Königs- recht zum Teile Gewohnheitsrecht, zum Teile Satzung. Um den Dualismus im deutschen Rechte der fränkischen Zeit in Parallele zu bringen mit der aus der römischen Rechtsgeschichte bekannten Unter- scheidung von ius civile und ius honorarium hat man das Königsrecht auch als Amtsrecht bezeichnet 1. 1 Der Gegensatz von Volksrecht und Amtsrecht ist von Sohm, Reichs- und

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/296>, abgerufen am 29.03.2024.