Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 39. Die Lex Salica.
mit der Vorlage konkordieren, während die den Nachsatz (das culpabilis
iudicetur) aussprechende Antwort ein selbständiges Gepräge erhielt.
Die Verwertung westgotischer Vorlagen macht es wahrscheinlich, dass
das Frankenreich damals bereits mit dem Reiche der Westgoten
grenzte und schliesst jedenfalls die Zeit vor Chlodovech aus. Anderer-
seits sprechen manche Züge für ein hohes Alter der Lex, so dass wir
sie jedenfalls nicht aus der Zeit nach Chlodovech datieren können.
Zwar werden schon Römer als Unterthanen genannt, allein sie bilden
noch keinen Teil des Volksheeres45), während sie bereits unter
Chlodovechs Söhnen als wehrpflichtig erscheinen46). Auch wenn sie in
besonderen Königsdienst und in den Haushalt des Königs aufgenommen
sind, gehören sie noch nicht zur königlichen Trustis47). Der königliche
Beamte, der noch als grafio und nicht mit dem später üblichen Titel
comes bezeichnet wird, hat nur erst die Funktionen der Exekutiv-
gewalt, aber noch nicht den Vorsitz im Mallus.

Nach alledem wird man annehmen müssen, dass die Lex Salica
die in den ältesten Texten vorliegende Grundform -- auch wenn wir
von allen noch erkenntlichen Zusätzen absehen wollen -- erst unter
Chlodovech und zwar nach der Reichsgründung erhalten hat. Bei den
Satzungen, durch die sie zustande kam, scheint man Aufzeichnungen
älterer Weistümer benutzt, zum Teil wohl auch unverändert über-
nommen zu haben. Die Erinnerung an solche der Zeit des Heiden-
tums und der Vielherrschaft angehörige Rechtweisungen spiegelt sich,
wie wir vermuten dürfen, in den Nachrichten der Prologe.

Unter Chlodovechs Nachfolgern entstand eine Anzahl von Novellen,
welche die Neueren als Kapitularien zur Lex Salica zusammenfassen.
Einige, die nicht viel jünger sein mögen wie die Lex48), rühren viel-
leicht noch von Chlodovech her. Die Handschriften fügen die Novellen
als Nachträge an; nur ausnahmsweise sind noch einzelne Rechtssätze

45) Das folgt aus Lex Sal. 63, 1 Cod. 1. 3. 4, während die jüngeren Texte
und ein Zusatz des Cod. 2 der Anwesenheit von Römern im Heere durch Änderung
des Wortlauts Rechnung tragen.
46) Roth, Beneficialwesen S 179 ff.
47) In Lex Sal. 41, 3. 5 wird der Römer als conviva regis von demjenigen
unterschieden, der in truste dominica ist. Vgl. 63, 2. Die Trustis ist ein militärisch
organisiertes Gefolge.
48) So der ältere Bestandteil des ersten Kapitulars (Behrend-Boretius,
Lex Sal. S 89), nämlich c. 1--4 mit mallbergischer Glosse und Bussenberechnung
nach Denaren und solidi. Vgl. Brunner, Mithio und Sperantes, in der Festgabe
für Beseler S 22 Anm 1. Hohes Alter verrät auch Cap. 6, Behrend-Boretius
S 110, welches gleichfalls die Rechnung nach Denaren und mallbergische Glossen
enthält.

§ 39. Die Lex Salica.
mit der Vorlage konkordieren, während die den Nachsatz (das culpabilis
iudicetur) aussprechende Antwort ein selbständiges Gepräge erhielt.
Die Verwertung westgotischer Vorlagen macht es wahrscheinlich, daſs
das Frankenreich damals bereits mit dem Reiche der Westgoten
grenzte und schlieſst jedenfalls die Zeit vor Chlodovech aus. Anderer-
seits sprechen manche Züge für ein hohes Alter der Lex, so daſs wir
sie jedenfalls nicht aus der Zeit nach Chlodovech datieren können.
Zwar werden schon Römer als Unterthanen genannt, allein sie bilden
noch keinen Teil des Volksheeres45), während sie bereits unter
Chlodovechs Söhnen als wehrpflichtig erscheinen46). Auch wenn sie in
besonderen Königsdienst und in den Haushalt des Königs aufgenommen
sind, gehören sie noch nicht zur königlichen Trustis47). Der königliche
Beamte, der noch als grafio und nicht mit dem später üblichen Titel
comes bezeichnet wird, hat nur erst die Funktionen der Exekutiv-
gewalt, aber noch nicht den Vorsitz im Mallus.

Nach alledem wird man annehmen müssen, daſs die Lex Salica
die in den ältesten Texten vorliegende Grundform — auch wenn wir
von allen noch erkenntlichen Zusätzen absehen wollen — erst unter
Chlodovech und zwar nach der Reichsgründung erhalten hat. Bei den
Satzungen, durch die sie zustande kam, scheint man Aufzeichnungen
älterer Weistümer benutzt, zum Teil wohl auch unverändert über-
nommen zu haben. Die Erinnerung an solche der Zeit des Heiden-
tums und der Vielherrschaft angehörige Rechtweisungen spiegelt sich,
wie wir vermuten dürfen, in den Nachrichten der Prologe.

Unter Chlodovechs Nachfolgern entstand eine Anzahl von Novellen,
welche die Neueren als Kapitularien zur Lex Salica zusammenfassen.
Einige, die nicht viel jünger sein mögen wie die Lex48), rühren viel-
leicht noch von Chlodovech her. Die Handschriften fügen die Novellen
als Nachträge an; nur ausnahmsweise sind noch einzelne Rechtssätze

45) Das folgt aus Lex Sal. 63, 1 Cod. 1. 3. 4, während die jüngeren Texte
und ein Zusatz des Cod. 2 der Anwesenheit von Römern im Heere durch Änderung
des Wortlauts Rechnung tragen.
46) Roth, Beneficialwesen S 179 ff.
47) In Lex Sal. 41, 3. 5 wird der Römer als conviva regis von demjenigen
unterschieden, der in truste dominica ist. Vgl. 63, 2. Die Trustis ist ein militärisch
organisiertes Gefolge.
48) So der ältere Bestandteil des ersten Kapitulars (Behrend-Boretius,
Lex Sal. S 89), nämlich c. 1—4 mit mallbergischer Glosse und Buſsenberechnung
nach Denaren und solidi. Vgl. Brunner, Mithio und Sperantes, in der Festgabe
für Beseler S 22 Anm 1. Hohes Alter verrät auch Cap. 6, Behrend-Boretius
S 110, welches gleichfalls die Rechnung nach Denaren und mallbergische Glossen
enthält.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0320" n="302"/><fw place="top" type="header">§ 39. Die Lex Salica.</fw><lb/>
mit der Vorlage konkordieren, während die den Nachsatz (das culpabilis<lb/>
iudicetur) aussprechende Antwort ein selbständiges Gepräge erhielt.<lb/>
Die Verwertung westgotischer Vorlagen macht es wahrscheinlich, da&#x017F;s<lb/>
das Frankenreich damals bereits mit dem Reiche der Westgoten<lb/>
grenzte und schlie&#x017F;st jedenfalls die Zeit vor Chlodovech aus. Anderer-<lb/>
seits sprechen manche Züge für ein hohes Alter der Lex, so da&#x017F;s wir<lb/>
sie jedenfalls nicht aus der Zeit nach Chlodovech datieren können.<lb/>
Zwar werden schon Römer als Unterthanen genannt, allein sie bilden<lb/>
noch keinen Teil des Volksheeres<note place="foot" n="45)">Das folgt aus Lex Sal. 63, 1 Cod. 1. 3. 4, während die jüngeren Texte<lb/>
und ein Zusatz des Cod. 2 der Anwesenheit von Römern im Heere durch Änderung<lb/>
des Wortlauts Rechnung tragen.</note>, während sie bereits unter<lb/>
Chlodovechs Söhnen als wehrpflichtig erscheinen<note place="foot" n="46)"><hi rendition="#g">Roth</hi>, Beneficialwesen S 179 ff.</note>. Auch wenn sie in<lb/>
besonderen Königsdienst und in den Haushalt des Königs aufgenommen<lb/>
sind, gehören sie noch nicht zur königlichen Trustis<note place="foot" n="47)">In Lex Sal. 41, 3. 5 wird der Römer als conviva regis von demjenigen<lb/>
unterschieden, der in truste dominica ist. Vgl. 63, 2. Die Trustis ist ein militärisch<lb/>
organisiertes Gefolge.</note>. Der königliche<lb/>
Beamte, der noch als grafio und nicht mit dem später üblichen Titel<lb/>
comes bezeichnet wird, hat nur erst die Funktionen der Exekutiv-<lb/>
gewalt, aber noch nicht den Vorsitz im Mallus.</p><lb/>
            <p>Nach alledem wird man annehmen müssen, da&#x017F;s die Lex Salica<lb/>
die in den ältesten Texten vorliegende Grundform &#x2014; auch wenn wir<lb/>
von allen noch erkenntlichen Zusätzen absehen wollen &#x2014; erst unter<lb/>
Chlodovech und zwar nach der Reichsgründung erhalten hat. Bei den<lb/>
Satzungen, durch die sie zustande kam, scheint man Aufzeichnungen<lb/>
älterer Weistümer benutzt, zum Teil wohl auch unverändert über-<lb/>
nommen zu haben. Die Erinnerung an solche der Zeit des Heiden-<lb/>
tums und der Vielherrschaft angehörige Rechtweisungen spiegelt sich,<lb/>
wie wir vermuten dürfen, in den Nachrichten der Prologe.</p><lb/>
            <p>Unter Chlodovechs Nachfolgern entstand eine Anzahl von Novellen,<lb/>
welche die Neueren als Kapitularien zur Lex Salica zusammenfassen.<lb/>
Einige, die nicht viel jünger sein mögen wie die Lex<note place="foot" n="48)">So der ältere Bestandteil des ersten Kapitulars (<hi rendition="#g">Behrend-Boretius</hi>,<lb/>
Lex Sal. S 89), nämlich c. 1&#x2014;4 mit mallbergischer Glosse und Bu&#x017F;senberechnung<lb/>
nach Denaren und solidi. Vgl. <hi rendition="#g">Brunner</hi>, Mithio und Sperantes, in der Festgabe<lb/>
für Beseler S 22 Anm 1. Hohes Alter verrät auch Cap. 6, <hi rendition="#g">Behrend-Boretius</hi><lb/>
S 110, welches gleichfalls die Rechnung nach Denaren und mallbergische Glossen<lb/>
enthält.</note>, rühren viel-<lb/>
leicht noch von Chlodovech her. Die Handschriften fügen die Novellen<lb/>
als Nachträge an; nur ausnahmsweise sind noch einzelne Rechtssätze<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[302/0320] § 39. Die Lex Salica. mit der Vorlage konkordieren, während die den Nachsatz (das culpabilis iudicetur) aussprechende Antwort ein selbständiges Gepräge erhielt. Die Verwertung westgotischer Vorlagen macht es wahrscheinlich, daſs das Frankenreich damals bereits mit dem Reiche der Westgoten grenzte und schlieſst jedenfalls die Zeit vor Chlodovech aus. Anderer- seits sprechen manche Züge für ein hohes Alter der Lex, so daſs wir sie jedenfalls nicht aus der Zeit nach Chlodovech datieren können. Zwar werden schon Römer als Unterthanen genannt, allein sie bilden noch keinen Teil des Volksheeres 45), während sie bereits unter Chlodovechs Söhnen als wehrpflichtig erscheinen 46). Auch wenn sie in besonderen Königsdienst und in den Haushalt des Königs aufgenommen sind, gehören sie noch nicht zur königlichen Trustis 47). Der königliche Beamte, der noch als grafio und nicht mit dem später üblichen Titel comes bezeichnet wird, hat nur erst die Funktionen der Exekutiv- gewalt, aber noch nicht den Vorsitz im Mallus. Nach alledem wird man annehmen müssen, daſs die Lex Salica die in den ältesten Texten vorliegende Grundform — auch wenn wir von allen noch erkenntlichen Zusätzen absehen wollen — erst unter Chlodovech und zwar nach der Reichsgründung erhalten hat. Bei den Satzungen, durch die sie zustande kam, scheint man Aufzeichnungen älterer Weistümer benutzt, zum Teil wohl auch unverändert über- nommen zu haben. Die Erinnerung an solche der Zeit des Heiden- tums und der Vielherrschaft angehörige Rechtweisungen spiegelt sich, wie wir vermuten dürfen, in den Nachrichten der Prologe. Unter Chlodovechs Nachfolgern entstand eine Anzahl von Novellen, welche die Neueren als Kapitularien zur Lex Salica zusammenfassen. Einige, die nicht viel jünger sein mögen wie die Lex 48), rühren viel- leicht noch von Chlodovech her. Die Handschriften fügen die Novellen als Nachträge an; nur ausnahmsweise sind noch einzelne Rechtssätze 45) Das folgt aus Lex Sal. 63, 1 Cod. 1. 3. 4, während die jüngeren Texte und ein Zusatz des Cod. 2 der Anwesenheit von Römern im Heere durch Änderung des Wortlauts Rechnung tragen. 46) Roth, Beneficialwesen S 179 ff. 47) In Lex Sal. 41, 3. 5 wird der Römer als conviva regis von demjenigen unterschieden, der in truste dominica ist. Vgl. 63, 2. Die Trustis ist ein militärisch organisiertes Gefolge. 48) So der ältere Bestandteil des ersten Kapitulars (Behrend-Boretius, Lex Sal. S 89), nämlich c. 1—4 mit mallbergischer Glosse und Buſsenberechnung nach Denaren und solidi. Vgl. Brunner, Mithio und Sperantes, in der Festgabe für Beseler S 22 Anm 1. Hohes Alter verrät auch Cap. 6, Behrend-Boretius S 110, welches gleichfalls die Rechnung nach Denaren und mallbergische Glossen enthält.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/320
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/320>, abgerufen am 19.04.2024.