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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 55. Die Kapitulariensammlungen.
Hinschius, De collectione decretalium et canonum Isidori Merc. § 17. 20 in dessen
Ausgabe der Decretales Pseudo-Isidorianae, 1863, S CXLIII. CLXXXIII. Weiz-
säcker
, Die pseudoisidorische Frage, in v. Sybels Hist. Z 1860 III 42 ff.; der-
selbe
, Der Kampf gegen den Chorepiscopat des fränk. Reichs im 9. Jahrh., 1859.
P. Roth, Z f. RG V 14 ff. Gengler, Rechtsdenkmäler S 59.

Die Kapitularien wurden regelmässig in mehreren Exemplaren
ausgefertigt. Eines kam in das königliche Archiv. Besondere Aus-
fertigungen bekamen die königlichen Beamten, insbesondere die Missi 1.
Dagegen fehlte es für die Kapitularien an Registerbüchern nach Art
der Commentarii der römischen Kaiser, in welche die Abschriften der
einzelnen Stücke eingetragen worden wären. Da die einzelnen im
Archiv aufbewahrten Exemplare nicht leicht in Ordnung zu halten
waren und zum Teil wohl auch in Verlust gerieten, so sah sich der
Hof schon unter Ludwig dem Frommen veranlasst, bei Hinweisungen
auf ältere Kapitularien eine Privatsammlung zu zitieren.

Eine solche veranstaltete der Abt Ansegis von S. Wandrille (Fon-
tanella) in der Diözese Rouen, der aus vornehmer fränkischer Familie
stammte und in nahen Beziehungen zum königlichen Hofe stand 2. Um
die Kapitularien Karls, Ludwigs und Lothars der Vergessenheit zu ent-
reissen, so sagt er in der Vorrede seines Werkes, habe er diejenigen,
die er auftreiben konnte, zusammengestellt. Er vollendete die Samm-
lung im Jahre 827. Den gesammelten Stoff teilte er in vier Bücher,
von welchen das erste die geistlichen Kapitularien Karls, das zweite
die geistlichen Kapitularien Ludwigs 3, das dritte die weltlichen
Kapitularien Karls, das vierte die weltlichen Kapitularien Ludwigs
enthält. Innerhalb jedes Buches ist die chronologische Anordnung der
Kapitularien beabsichtigt, aber nicht strenge durchgeführt. Den vier
Büchern fügte Ansegis drei Anhänge hinzu, welche capitula missorum
und einige Nachträge enthalten. Es ist eine verhältnismässig be-
scheidene Zahl von Kapitularien, welche er in seiner Sammlung ver-
einigte. Trotz der hervorragenden Stellung, die er im fränkischen
Reiche einnahm, war es ihm nur möglich, im ganzen etwa 29 Kapi-
tularien zu verwerten, eine auffällig geringe Summe, wenn man
erwägt, dass die neueste Ausgabe der Kapitularien für die Zeit
vom Regierungsantritt Karls bis zum Jahre 827 nicht weniger wie

1 S. die Stellen bei Waitz, VG III 621 Anm 2. 3.
2 Die Nachrichten über seine Persönlichkeit stellt Boretius, Cap. I 382 f.
in gedrängter Kürze zusammen.
3 Infolge eines Versehens stellte er das Cap. eccles. von 818--19, welches
Ludwig I. angehört, nicht in das 2., sondern in das 1. Buch. Boretius a. O.
S 387. Mühlbacher, Mitth. des Instituts f. österr. Geschichtsforschung I 608 ff.

§ 55. Die Kapitulariensammlungen.
Hinschius, De collectione decretalium et canonum Isidori Merc. § 17. 20 in dessen
Ausgabe der Decretales Pseudo-Isidorianae, 1863, S CXLIII. CLXXXIII. Weiz-
säcker
, Die pseudoisidorische Frage, in v. Sybels Hist. Z 1860 III 42 ff.; der-
selbe
, Der Kampf gegen den Chorepiscopat des fränk. Reichs im 9. Jahrh., 1859.
P. Roth, Z f. RG V 14 ff. Gengler, Rechtsdenkmäler S 59.

Die Kapitularien wurden regelmäſsig in mehreren Exemplaren
ausgefertigt. Eines kam in das königliche Archiv. Besondere Aus-
fertigungen bekamen die königlichen Beamten, insbesondere die Missi 1.
Dagegen fehlte es für die Kapitularien an Registerbüchern nach Art
der Commentarii der römischen Kaiser, in welche die Abschriften der
einzelnen Stücke eingetragen worden wären. Da die einzelnen im
Archiv aufbewahrten Exemplare nicht leicht in Ordnung zu halten
waren und zum Teil wohl auch in Verlust gerieten, so sah sich der
Hof schon unter Ludwig dem Frommen veranlaſst, bei Hinweisungen
auf ältere Kapitularien eine Privatsammlung zu zitieren.

Eine solche veranstaltete der Abt Ansegis von S. Wandrille (Fon-
tanella) in der Diözese Rouen, der aus vornehmer fränkischer Familie
stammte und in nahen Beziehungen zum königlichen Hofe stand 2. Um
die Kapitularien Karls, Ludwigs und Lothars der Vergessenheit zu ent-
reiſsen, so sagt er in der Vorrede seines Werkes, habe er diejenigen,
die er auftreiben konnte, zusammengestellt. Er vollendete die Samm-
lung im Jahre 827. Den gesammelten Stoff teilte er in vier Bücher,
von welchen das erste die geistlichen Kapitularien Karls, das zweite
die geistlichen Kapitularien Ludwigs 3, das dritte die weltlichen
Kapitularien Karls, das vierte die weltlichen Kapitularien Ludwigs
enthält. Innerhalb jedes Buches ist die chronologische Anordnung der
Kapitularien beabsichtigt, aber nicht strenge durchgeführt. Den vier
Büchern fügte Ansegis drei Anhänge hinzu, welche capitula missorum
und einige Nachträge enthalten. Es ist eine verhältnismäſsig be-
scheidene Zahl von Kapitularien, welche er in seiner Sammlung ver-
einigte. Trotz der hervorragenden Stellung, die er im fränkischen
Reiche einnahm, war es ihm nur möglich, im ganzen etwa 29 Kapi-
tularien zu verwerten, eine auffällig geringe Summe, wenn man
erwägt, daſs die neueste Ausgabe der Kapitularien für die Zeit
vom Regierungsantritt Karls bis zum Jahre 827 nicht weniger wie

1 S. die Stellen bei Waitz, VG III 621 Anm 2. 3.
2 Die Nachrichten über seine Persönlichkeit stellt Boretius, Cap. I 382 f.
in gedrängter Kürze zusammen.
3 Infolge eines Versehens stellte er das Cap. eccles. von 818—19, welches
Ludwig I. angehört, nicht in das 2., sondern in das 1. Buch. Boretius a. O.
S 387. Mühlbacher, Mitth. des Instituts f. österr. Geschichtsforschung I 608 ff.
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[383/0401] § 55. Die Kapitulariensammlungen. Hinschius, De collectione decretalium et canonum Isidori Merc. § 17. 20 in dessen Ausgabe der Decretales Pseudo-Isidorianae, 1863, S CXLIII. CLXXXIII. Weiz- säcker, Die pseudoisidorische Frage, in v. Sybels Hist. Z 1860 III 42 ff.; der- selbe, Der Kampf gegen den Chorepiscopat des fränk. Reichs im 9. Jahrh., 1859. P. Roth, Z f. RG V 14 ff. Gengler, Rechtsdenkmäler S 59. Die Kapitularien wurden regelmäſsig in mehreren Exemplaren ausgefertigt. Eines kam in das königliche Archiv. Besondere Aus- fertigungen bekamen die königlichen Beamten, insbesondere die Missi 1. Dagegen fehlte es für die Kapitularien an Registerbüchern nach Art der Commentarii der römischen Kaiser, in welche die Abschriften der einzelnen Stücke eingetragen worden wären. Da die einzelnen im Archiv aufbewahrten Exemplare nicht leicht in Ordnung zu halten waren und zum Teil wohl auch in Verlust gerieten, so sah sich der Hof schon unter Ludwig dem Frommen veranlaſst, bei Hinweisungen auf ältere Kapitularien eine Privatsammlung zu zitieren. Eine solche veranstaltete der Abt Ansegis von S. Wandrille (Fon- tanella) in der Diözese Rouen, der aus vornehmer fränkischer Familie stammte und in nahen Beziehungen zum königlichen Hofe stand 2. Um die Kapitularien Karls, Ludwigs und Lothars der Vergessenheit zu ent- reiſsen, so sagt er in der Vorrede seines Werkes, habe er diejenigen, die er auftreiben konnte, zusammengestellt. Er vollendete die Samm- lung im Jahre 827. Den gesammelten Stoff teilte er in vier Bücher, von welchen das erste die geistlichen Kapitularien Karls, das zweite die geistlichen Kapitularien Ludwigs 3, das dritte die weltlichen Kapitularien Karls, das vierte die weltlichen Kapitularien Ludwigs enthält. Innerhalb jedes Buches ist die chronologische Anordnung der Kapitularien beabsichtigt, aber nicht strenge durchgeführt. Den vier Büchern fügte Ansegis drei Anhänge hinzu, welche capitula missorum und einige Nachträge enthalten. Es ist eine verhältnismäſsig be- scheidene Zahl von Kapitularien, welche er in seiner Sammlung ver- einigte. Trotz der hervorragenden Stellung, die er im fränkischen Reiche einnahm, war es ihm nur möglich, im ganzen etwa 29 Kapi- tularien zu verwerten, eine auffällig geringe Summe, wenn man erwägt, daſs die neueste Ausgabe der Kapitularien für die Zeit vom Regierungsantritt Karls bis zum Jahre 827 nicht weniger wie 1 S. die Stellen bei Waitz, VG III 621 Anm 2. 3. 2 Die Nachrichten über seine Persönlichkeit stellt Boretius, Cap. I 382 f. in gedrängter Kürze zusammen. 3 Infolge eines Versehens stellte er das Cap. eccles. von 818—19, welches Ludwig I. angehört, nicht in das 2., sondern in das 1. Buch. Boretius a. O. S 387. Mühlbacher, Mitth. des Instituts f. österr. Geschichtsforschung I 608 ff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/401>, abgerufen am 19.04.2024.