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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 74. Die königliche Kanzlei.
§ 74. Die königliche Kanzlei.

Waitz, VG II 2, S. 80 f. III 512 ff. Th. Sickel, Acta regum et imperatorum
Karol. I 72. 215. 320. Derselbe, Beiträge zur Diplomatik I, II, VII (Wiener
Sitzungsberichte XXXVI, XXXIX, XCIII). Mühlbacher, Die Regesten des Kaiser-
reichs unter den Karolingern I (1889), Vorbemerkungen p. LXXXV ff. Derselbe,
Die Urkunden Karls III. (Wiener Sitzungsberichte XCII). Stumpf, Historische
Zeitschr. XXIX 343 ff. Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für
Deutschland und Italien I (1889), S. 259 ff. Gerhard Seeliger, Erzkanzler und
Reichskanzleien 1889. Mommsen, Ostgothische Studien, Neues Archiv XIV 478 f.
482. Schupfer, Istituzioni politiche Langob. 1863, S. 258 ff. Chroust, Unter-
suchungen über die langobardischen Königs- und Herzogsurkunden 1888.

Das königliche Kanzleiwesen stand in merowingischer Zeit unter
Hofbeamten, welche Referendare hiessen. Titel und Amt, auch den
Ostgoten1 und Langobarden bekannt, stammen aus den Ordnungen des
römischen Reiches, wo der Referendar zuerst 427 genannt wird2 und
die Funktion hat, dem Kaiser über die einlaufenden Bittgesuche zu
referieren und dessen Bescheide mitzuteilen3.

Der fränkische Referendar hatte für die Ausfertigung der Königs-
urkunden zu sorgen. Doch pflegte er die Urkunde nicht selbst nieder-
zuschreiben, sondern höchstens den Wortlaut zu diktieren. Vor der
Ausfertigung hatte er das Schriftstück zu prüfen und dann unter Bei-
fügung seines Namens mit einem Vermerk zu versehen, durch den er
konstatierte, dass er die Verantwortlichkeit für den Wortlaut der Ur-
kunde übernehme und für deren Echtheit einstehe, die er, wenn be-
stritten, erhärten musste. Urkunden, welche der König unterzeich-
nete, legte ihm jener zur Unterzeichnung vor, indem er sie mit der
Formel 'obtulit' kontrasignierte. Der Vermerk 'obtulit' wurde aber
schliesslich durch den Vermerk 'recognovit' verdrängt4, der anfänglich
nur bei den vom König nicht unterzeichneten Urkunden zur Anwen-
dung gekommen war5.

Der Referendar bewahrte den königlichen Siegelring und hatte

1 Cassiodori Var. VI 17.
2 In der Inscriptio einer Constitution des Theodosius, Cod. Just. I 50, 2.
3 Nach Mommsen, Ostgoth. Studien S. 482, sind die referendarii, zuerst in
der Umgangssprache so genannt, identisch mit den magistri scriniorum.
4 Th. Sickel, Acta I 216.
5 So trägt Childeberts II. Decretio v. J. 596, Cap. I 17, vom König nicht
unterschrieben, den Vermerk: Asclipiodus recognovit. In dem Edicte Chlothars II.
von 614, welches Chlothars Unterschrift trägt, ist hinter Hamingus, dem Namen
des Referendars, obtulit zu ergänzen.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 8
§ 74. Die königliche Kanzlei.
§ 74. Die königliche Kanzlei.

Waitz, VG II 2, S. 80 f. III 512 ff. Th. Sickel, Acta regum et imperatorum
Karol. I 72. 215. 320. Derselbe, Beiträge zur Diplomatik I, II, VII (Wiener
Sitzungsberichte XXXVI, XXXIX, XCIII). Mühlbacher, Die Regesten des Kaiser-
reichs unter den Karolingern I (1889), Vorbemerkungen p. LXXXV ff. Derselbe,
Die Urkunden Karls III. (Wiener Sitzungsberichte XCII). Stumpf, Historische
Zeitschr. XXIX 343 ff. Harry Breſslau, Handbuch der Urkundenlehre für
Deutschland und Italien I (1889), S. 259 ff. Gerhard Seeliger, Erzkanzler und
Reichskanzleien 1889. Mommsen, Ostgothische Studien, Neues Archiv XIV 478 f.
482. Schupfer, Istituzioni politiche Langob. 1863, S. 258 ff. Chroust, Unter-
suchungen über die langobardischen Königs- und Herzogsurkunden 1888.

Das königliche Kanzleiwesen stand in merowingischer Zeit unter
Hofbeamten, welche Referendare hieſsen. Titel und Amt, auch den
Ostgoten1 und Langobarden bekannt, stammen aus den Ordnungen des
römischen Reiches, wo der Referendar zuerst 427 genannt wird2 und
die Funktion hat, dem Kaiser über die einlaufenden Bittgesuche zu
referieren und dessen Bescheide mitzuteilen3.

Der fränkische Referendar hatte für die Ausfertigung der Königs-
urkunden zu sorgen. Doch pflegte er die Urkunde nicht selbst nieder-
zuschreiben, sondern höchstens den Wortlaut zu diktieren. Vor der
Ausfertigung hatte er das Schriftstück zu prüfen und dann unter Bei-
fügung seines Namens mit einem Vermerk zu versehen, durch den er
konstatierte, daſs er die Verantwortlichkeit für den Wortlaut der Ur-
kunde übernehme und für deren Echtheit einstehe, die er, wenn be-
stritten, erhärten muſste. Urkunden, welche der König unterzeich-
nete, legte ihm jener zur Unterzeichnung vor, indem er sie mit der
Formel ‘obtulit’ kontrasignierte. Der Vermerk ‘obtulit’ wurde aber
schlieſslich durch den Vermerk ‘recognovit’ verdrängt4, der anfänglich
nur bei den vom König nicht unterzeichneten Urkunden zur Anwen-
dung gekommen war5.

Der Referendar bewahrte den königlichen Siegelring und hatte

1 Cassiodori Var. VI 17.
2 In der Inscriptio einer Constitution des Theodosius, Cod. Just. I 50, 2.
3 Nach Mommsen, Ostgoth. Studien S. 482, sind die referendarii, zuerst in
der Umgangssprache so genannt, identisch mit den magistri scriniorum.
4 Th. Sickel, Acta I 216.
5 So trägt Childeberts II. Decretio v. J. 596, Cap. I 17, vom König nicht
unterschrieben, den Vermerk: Asclipiodus recognovit. In dem Edicte Chlothars II.
von 614, welches Chlothars Unterschrift trägt, ist hinter Hamingus, dem Namen
des Referendars, obtulit zu ergänzen.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 8
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[113/0131] § 74. Die königliche Kanzlei. § 74. Die königliche Kanzlei. Waitz, VG II 2, S. 80 f. III 512 ff. Th. Sickel, Acta regum et imperatorum Karol. I 72. 215. 320. Derselbe, Beiträge zur Diplomatik I, II, VII (Wiener Sitzungsberichte XXXVI, XXXIX, XCIII). Mühlbacher, Die Regesten des Kaiser- reichs unter den Karolingern I (1889), Vorbemerkungen p. LXXXV ff. Derselbe, Die Urkunden Karls III. (Wiener Sitzungsberichte XCII). Stumpf, Historische Zeitschr. XXIX 343 ff. Harry Breſslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien I (1889), S. 259 ff. Gerhard Seeliger, Erzkanzler und Reichskanzleien 1889. Mommsen, Ostgothische Studien, Neues Archiv XIV 478 f. 482. Schupfer, Istituzioni politiche Langob. 1863, S. 258 ff. Chroust, Unter- suchungen über die langobardischen Königs- und Herzogsurkunden 1888. Das königliche Kanzleiwesen stand in merowingischer Zeit unter Hofbeamten, welche Referendare hieſsen. Titel und Amt, auch den Ostgoten 1 und Langobarden bekannt, stammen aus den Ordnungen des römischen Reiches, wo der Referendar zuerst 427 genannt wird 2 und die Funktion hat, dem Kaiser über die einlaufenden Bittgesuche zu referieren und dessen Bescheide mitzuteilen 3. Der fränkische Referendar hatte für die Ausfertigung der Königs- urkunden zu sorgen. Doch pflegte er die Urkunde nicht selbst nieder- zuschreiben, sondern höchstens den Wortlaut zu diktieren. Vor der Ausfertigung hatte er das Schriftstück zu prüfen und dann unter Bei- fügung seines Namens mit einem Vermerk zu versehen, durch den er konstatierte, daſs er die Verantwortlichkeit für den Wortlaut der Ur- kunde übernehme und für deren Echtheit einstehe, die er, wenn be- stritten, erhärten muſste. Urkunden, welche der König unterzeich- nete, legte ihm jener zur Unterzeichnung vor, indem er sie mit der Formel ‘obtulit’ kontrasignierte. Der Vermerk ‘obtulit’ wurde aber schlieſslich durch den Vermerk ‘recognovit’ verdrängt 4, der anfänglich nur bei den vom König nicht unterzeichneten Urkunden zur Anwen- dung gekommen war 5. Der Referendar bewahrte den königlichen Siegelring und hatte 1 Cassiodori Var. VI 17. 2 In der Inscriptio einer Constitution des Theodosius, Cod. Just. I 50, 2. 3 Nach Mommsen, Ostgoth. Studien S. 482, sind die referendarii, zuerst in der Umgangssprache so genannt, identisch mit den magistri scriniorum. 4 Th. Sickel, Acta I 216. 5 So trägt Childeberts II. Decretio v. J. 596, Cap. I 17, vom König nicht unterschrieben, den Vermerk: Asclipiodus recognovit. In dem Edicte Chlothars II. von 614, welches Chlothars Unterschrift trägt, ist hinter Hamingus, dem Namen des Referendars, obtulit zu ergänzen. Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 8

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/131>, abgerufen am 23.04.2024.