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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 84. Der Gerichtschreiber. Das Amtsgesinde.
gräflichen Schultheiss haben wir bereits kennen gelernt. Soweit er
vor Gericht dem Grafen zur Seite stand, scheint es wenigstens in
Schwaben seine Sache gewesen zu sein, dass er die Personen, die vor
Gericht zu thun hatten, öffentlich aufrief35. Schultheisse hat zu An-
fang des neunten Jahrhunderts als Immunitätsherr der Bischof von
Chur36. Den grundherrlichen Schultheiss, wie er uns nachmals so
häufig begegnet, bezeugt uns eine Evangelienharmonie des neunten
Jahrhunderts37. Weil der Schultheiss Vollzugsbeamter ist und wohl
auch, weil er in den höheren Gerichten Funktionen wahrnimmt, die
sonst dem Weibel zufielen, vermögen althochdeutsche Glossen praeco
(Gerichtsbüttel) und commentariensis (den Namen eines römischen
Subalternbeamten) mit Schultheiss zu übersetzen38.

§ 84. Der Gerichtschreiber. Das Amtsgesinde.

Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung I 525 ff. H. Brunner, Das Gerichts-
zeugnis, Festgabe für Heffter, S. 171. Derselbe, Zur Rechtsgeschichte der röm.
und germ. Urkunde I 235. 240. 251 f. Harry Bresslau, Urkundenbeweis und
Urkundenschreiber im älteren deutschen Recht, Forschungen XXVI 29 ff. 56.
Derselbe, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien I (1889)
S. 444 ff. R. Schröder, RG I 171.

Das altsalische Recht entbehrte des amtlichen Gerichtschreibers.
Wenn man Urkunden über gerichtliche Akte aufnehmen liess, so war
die Person des Schreibers rechtlich gleichgültig. Die Schreiber, die
an salischen Malstätten Urkunden schrieben, waren Privat-, nicht
Amtspersonen, auch der Notar, den sich etwa der Graf selbst für
seine Amtsgeschäfte hielt. Einen amtlichen Gerichtschreiber kennt
dagegen das ribuarische Recht. Die Lex Ribuaria setzt die regel-
mässige Anwesenheit eines cancellarius im Mallus voraus, welcher da-
selbst die öffentliche Vollziehung von Urkunden besorgt1. Die ribua-
rische Einrichtung drang auch in das salische und in das alamannische

35 Notker hat in seiner Übersetzung von Martianus Capella, De nuptiis inter
Mercurium et Philologiam, Hattemer, Denkmahle III 297, eine darauf hinweisende
Glosse. Die Namen derjenigen, die in Jupiters Pfalz eintreten, ruft Fama aus:
nominatim uocabat fama praeconans; uuanda sei uueibeles unde sculthei-
zen ambaht habeta
. Das Aufrufen muss Funktion des Schultheiss im Grafen-
gerichte, sonst auch des Weibels gewesen sein.
36 Cap. Remedii c. 1. 3. Wartmann I 329, Nr. 354.
37 Tatian ed. Sievers I 209, wo vilicaris mit Schultheiss wiedergegeben wird.
38 Graff, Sprachschatz IV 1090 f.
1 Lex Rib. 59, vgl. 88.

§ 84. Der Gerichtschreiber. Das Amtsgesinde.
gräflichen Schultheiſs haben wir bereits kennen gelernt. Soweit er
vor Gericht dem Grafen zur Seite stand, scheint es wenigstens in
Schwaben seine Sache gewesen zu sein, daſs er die Personen, die vor
Gericht zu thun hatten, öffentlich aufrief35. Schultheiſse hat zu An-
fang des neunten Jahrhunderts als Immunitätsherr der Bischof von
Chur36. Den grundherrlichen Schultheiſs, wie er uns nachmals so
häufig begegnet, bezeugt uns eine Evangelienharmonie des neunten
Jahrhunderts37. Weil der Schultheiſs Vollzugsbeamter ist und wohl
auch, weil er in den höheren Gerichten Funktionen wahrnimmt, die
sonst dem Weibel zufielen, vermögen althochdeutsche Glossen praeco
(Gerichtsbüttel) und commentariensis (den Namen eines römischen
Subalternbeamten) mit Schultheiſs zu übersetzen38.

§ 84. Der Gerichtschreiber. Das Amtsgesinde.

Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung I 525 ff. H. Brunner, Das Gerichts-
zeugnis, Festgabe für Heffter, S. 171. Derselbe, Zur Rechtsgeschichte der röm.
und germ. Urkunde I 235. 240. 251 f. Harry Breſslau, Urkundenbeweis und
Urkundenschreiber im älteren deutschen Recht, Forschungen XXVI 29 ff. 56.
Derselbe, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien I (1889)
S. 444 ff. R. Schröder, RG I 171.

Das altsalische Recht entbehrte des amtlichen Gerichtschreibers.
Wenn man Urkunden über gerichtliche Akte aufnehmen lieſs, so war
die Person des Schreibers rechtlich gleichgültig. Die Schreiber, die
an salischen Malstätten Urkunden schrieben, waren Privat-, nicht
Amtspersonen, auch der Notar, den sich etwa der Graf selbst für
seine Amtsgeschäfte hielt. Einen amtlichen Gerichtschreiber kennt
dagegen das ribuarische Recht. Die Lex Ribuaria setzt die regel-
mäſsige Anwesenheit eines cancellarius im Mallus voraus, welcher da-
selbst die öffentliche Vollziehung von Urkunden besorgt1. Die ribua-
rische Einrichtung drang auch in das salische und in das alamannische

35 Notker hat in seiner Übersetzung von Martianus Capella, De nuptiis inter
Mercurium et Philologiam, Hattemer, Denkmahle III 297, eine darauf hinweisende
Glosse. Die Namen derjenigen, die in Jupiters Pfalz eintreten, ruft Fama aus:
nominatim uocabat fama praeconans; uuanda sî uueibeles unde sculthei-
zen ambaht habeta
. Das Aufrufen muſs Funktion des Schultheiſs im Grafen-
gerichte, sonst auch des Weibels gewesen sein.
36 Cap. Remedii c. 1. 3. Wartmann I 329, Nr. 354.
37 Tatian ed. Sievers I 209, wo vilicaris mit Schultheiſs wiedergegeben wird.
38 Graff, Sprachschatz IV 1090 f.
1 Lex Rib. 59, vgl. 88.
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[185/0203] § 84. Der Gerichtschreiber. Das Amtsgesinde. gräflichen Schultheiſs haben wir bereits kennen gelernt. Soweit er vor Gericht dem Grafen zur Seite stand, scheint es wenigstens in Schwaben seine Sache gewesen zu sein, daſs er die Personen, die vor Gericht zu thun hatten, öffentlich aufrief 35. Schultheiſse hat zu An- fang des neunten Jahrhunderts als Immunitätsherr der Bischof von Chur 36. Den grundherrlichen Schultheiſs, wie er uns nachmals so häufig begegnet, bezeugt uns eine Evangelienharmonie des neunten Jahrhunderts 37. Weil der Schultheiſs Vollzugsbeamter ist und wohl auch, weil er in den höheren Gerichten Funktionen wahrnimmt, die sonst dem Weibel zufielen, vermögen althochdeutsche Glossen praeco (Gerichtsbüttel) und commentariensis (den Namen eines römischen Subalternbeamten) mit Schultheiſs zu übersetzen 38. § 84. Der Gerichtschreiber. Das Amtsgesinde. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung I 525 ff. H. Brunner, Das Gerichts- zeugnis, Festgabe für Heffter, S. 171. Derselbe, Zur Rechtsgeschichte der röm. und germ. Urkunde I 235. 240. 251 f. Harry Breſslau, Urkundenbeweis und Urkundenschreiber im älteren deutschen Recht, Forschungen XXVI 29 ff. 56. Derselbe, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien I (1889) S. 444 ff. R. Schröder, RG I 171. Das altsalische Recht entbehrte des amtlichen Gerichtschreibers. Wenn man Urkunden über gerichtliche Akte aufnehmen lieſs, so war die Person des Schreibers rechtlich gleichgültig. Die Schreiber, die an salischen Malstätten Urkunden schrieben, waren Privat-, nicht Amtspersonen, auch der Notar, den sich etwa der Graf selbst für seine Amtsgeschäfte hielt. Einen amtlichen Gerichtschreiber kennt dagegen das ribuarische Recht. Die Lex Ribuaria setzt die regel- mäſsige Anwesenheit eines cancellarius im Mallus voraus, welcher da- selbst die öffentliche Vollziehung von Urkunden besorgt 1. Die ribua- rische Einrichtung drang auch in das salische und in das alamannische 35 Notker hat in seiner Übersetzung von Martianus Capella, De nuptiis inter Mercurium et Philologiam, Hattemer, Denkmahle III 297, eine darauf hinweisende Glosse. Die Namen derjenigen, die in Jupiters Pfalz eintreten, ruft Fama aus: nominatim uocabat fama praeconans; uuanda sî uueibeles unde sculthei- zen ambaht habeta. Das Aufrufen muſs Funktion des Schultheiſs im Grafen- gerichte, sonst auch des Weibels gewesen sein. 36 Cap. Remedii c. 1. 3. Wartmann I 329, Nr. 354. 37 Tatian ed. Sievers I 209, wo vilicaris mit Schultheiſs wiedergegeben wird. 38 Graff, Sprachschatz IV 1090 f. 1 Lex Rib. 59, vgl. 88.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/203>, abgerufen am 19.04.2024.