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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 87. Wehrpflicht und Heerwesen.
IV. Die Leistungen der Unterthanen und die einzelnen Zweige
der Verwaltung.
§ 87. Wehrpflicht und Heerwesen.

Waitz, VG II 2, S. 205 ff. IV 531 ff. Roth, Benefizialwesen S. 169 ff. 392 ff.
Derselbe, Feudalität und Unterthanverband S. 322 ff. Schröder, RG S. 148.
381. Alfred Boretius, Beiträge zur Kapitularienkritik 1874, S. 71 ff. Balda-
mus
, Das Heerwesen unter den späteren Karolingern, 1879, in Gierke's Unter-
suchungen IV. Baltzer, Zur Geschichte des deutschen Kriegswesens in der Zeit
von den letzten Karolingern bis auf Kaiser Friedrich II., 1877. H. Brunner,
Der Reiterdienst und die Anfänge des Lehnwesens, Z2 f. RG VIII 1. A. Pren-
zel
, Beiträge zur Gesch. der Kriegsverfassung unter den Karolingern von der
Mitte des 8. bis zum Ende des 9. Jahrhunderts 1887. Boutaric, Institutions mili-
taires de la France avant les armees permanentes 1863. Viollet, Histoire I 436 ff.
W. Sickel in den Gött. gel. Anzeigen 1890, S. 246. 590 ff.

Der germanische Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht aller
freien und wehrhaften Volksgenossen behielt im fränkischen Reiche
seine Geltung. Da eine verfassungsmässige Aufhebung der allgemeinen
Wehrpflicht nicht erfolgte, hat sie theoretisch bis zur Auflösung der
fränkischen Monarchie bestanden. Nichtsdestoweniger vollzog sich in
den vier Jahrhunderten, welche die Geschichte des fränkischen Reiches
ausfüllen, eine folgenschwere Umwandlung des Heerwesens, die man
mit dem Schlagworte 'Feudalisierung' bezeichnen darf. Mit Volks-
heeren, die als Fusstruppen ausgerüstet waren, vollbrachten die Sal-
franken die Gründung des Reiches. Die letzten Schlachten der Franken-
könige wurden von Heeren geschlagen, deren Kern aus berittenen
Vassallen bestand. Die Ursachen des Übergangs vom Volksheer zum
Lehnsheer lagen in der zunehmenden Dienstunfähigkeit der Frei-
bauern, in der veränderten Technik der Kriegführung und in dem
Bedürfnis, den sogenannten Seniorat für die Zwecke des Heerwesens
zu verwerten.

Das fränkische Reichsrecht nahm bei der Geltendmachung der
allgemeinen Wehrpflicht keine Rücksicht auf den Unterschied der
Nationalität. Die Franken standen den römischen Provinzialen nicht
wie die Ostgoten und Vandalen als ein stammfremder Wehrstand
gegenüber, sondern die römische Bevölkerung wurde, sobald einiger-
massen geordnete Zustände eingetreten waren, spätestens unter den
Söhnen Chlodovechs, in das fränkische Heer eingereiht1.


1 Siehe oben I 302 und W. Sickel in den Götting. gel. Anz. 1890, S. 246 ff.
Die in der älteren Litteratur vertretene Ansicht, dass bei den Franken nur das
§ 87. Wehrpflicht und Heerwesen.
IV. Die Leistungen der Unterthanen und die einzelnen Zweige
der Verwaltung.
§ 87. Wehrpflicht und Heerwesen.

Waitz, VG II 2, S. 205 ff. IV 531 ff. Roth, Benefizialwesen S. 169 ff. 392 ff.
Derselbe, Feudalität und Unterthanverband S. 322 ff. Schröder, RG S. 148.
381. Alfred Boretius, Beiträge zur Kapitularienkritik 1874, S. 71 ff. Balda-
mus
, Das Heerwesen unter den späteren Karolingern, 1879, in Gierke’s Unter-
suchungen IV. Baltzer, Zur Geschichte des deutschen Kriegswesens in der Zeit
von den letzten Karolingern bis auf Kaiser Friedrich II., 1877. H. Brunner,
Der Reiterdienst und die Anfänge des Lehnwesens, Z2 f. RG VIII 1. A. Pren-
zel
, Beiträge zur Gesch. der Kriegsverfassung unter den Karolingern von der
Mitte des 8. bis zum Ende des 9. Jahrhunderts 1887. Boutaric, Institutions mili-
taires de la France avant les armées permanentes 1863. Viollet, Histoire I 436 ff.
W. Sickel in den Gött. gel. Anzeigen 1890, S. 246. 590 ff.

Der germanische Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht aller
freien und wehrhaften Volksgenossen behielt im fränkischen Reiche
seine Geltung. Da eine verfassungsmäſsige Aufhebung der allgemeinen
Wehrpflicht nicht erfolgte, hat sie theoretisch bis zur Auflösung der
fränkischen Monarchie bestanden. Nichtsdestoweniger vollzog sich in
den vier Jahrhunderten, welche die Geschichte des fränkischen Reiches
ausfüllen, eine folgenschwere Umwandlung des Heerwesens, die man
mit dem Schlagworte ‘Feudalisierung’ bezeichnen darf. Mit Volks-
heeren, die als Fuſstruppen ausgerüstet waren, vollbrachten die Sal-
franken die Gründung des Reiches. Die letzten Schlachten der Franken-
könige wurden von Heeren geschlagen, deren Kern aus berittenen
Vassallen bestand. Die Ursachen des Übergangs vom Volksheer zum
Lehnsheer lagen in der zunehmenden Dienstunfähigkeit der Frei-
bauern, in der veränderten Technik der Kriegführung und in dem
Bedürfnis, den sogenannten Seniorat für die Zwecke des Heerwesens
zu verwerten.

Das fränkische Reichsrecht nahm bei der Geltendmachung der
allgemeinen Wehrpflicht keine Rücksicht auf den Unterschied der
Nationalität. Die Franken standen den römischen Provinzialen nicht
wie die Ostgoten und Vandalen als ein stammfremder Wehrstand
gegenüber, sondern die römische Bevölkerung wurde, sobald einiger-
maſsen geordnete Zustände eingetreten waren, spätestens unter den
Söhnen Chlodovechs, in das fränkische Heer eingereiht1.


1 Siehe oben I 302 und W. Sickel in den Götting. gel. Anz. 1890, S. 246 ff.
Die in der älteren Litteratur vertretene Ansicht, daſs bei den Franken nur das
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[202/0220] § 87. Wehrpflicht und Heerwesen. IV. Die Leistungen der Unterthanen und die einzelnen Zweige der Verwaltung. § 87. Wehrpflicht und Heerwesen. Waitz, VG II 2, S. 205 ff. IV 531 ff. Roth, Benefizialwesen S. 169 ff. 392 ff. Derselbe, Feudalität und Unterthanverband S. 322 ff. Schröder, RG S. 148. 381. Alfred Boretius, Beiträge zur Kapitularienkritik 1874, S. 71 ff. Balda- mus, Das Heerwesen unter den späteren Karolingern, 1879, in Gierke’s Unter- suchungen IV. Baltzer, Zur Geschichte des deutschen Kriegswesens in der Zeit von den letzten Karolingern bis auf Kaiser Friedrich II., 1877. H. Brunner, Der Reiterdienst und die Anfänge des Lehnwesens, Z2 f. RG VIII 1. A. Pren- zel, Beiträge zur Gesch. der Kriegsverfassung unter den Karolingern von der Mitte des 8. bis zum Ende des 9. Jahrhunderts 1887. Boutaric, Institutions mili- taires de la France avant les armées permanentes 1863. Viollet, Histoire I 436 ff. W. Sickel in den Gött. gel. Anzeigen 1890, S. 246. 590 ff. Der germanische Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht aller freien und wehrhaften Volksgenossen behielt im fränkischen Reiche seine Geltung. Da eine verfassungsmäſsige Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht nicht erfolgte, hat sie theoretisch bis zur Auflösung der fränkischen Monarchie bestanden. Nichtsdestoweniger vollzog sich in den vier Jahrhunderten, welche die Geschichte des fränkischen Reiches ausfüllen, eine folgenschwere Umwandlung des Heerwesens, die man mit dem Schlagworte ‘Feudalisierung’ bezeichnen darf. Mit Volks- heeren, die als Fuſstruppen ausgerüstet waren, vollbrachten die Sal- franken die Gründung des Reiches. Die letzten Schlachten der Franken- könige wurden von Heeren geschlagen, deren Kern aus berittenen Vassallen bestand. Die Ursachen des Übergangs vom Volksheer zum Lehnsheer lagen in der zunehmenden Dienstunfähigkeit der Frei- bauern, in der veränderten Technik der Kriegführung und in dem Bedürfnis, den sogenannten Seniorat für die Zwecke des Heerwesens zu verwerten. Das fränkische Reichsrecht nahm bei der Geltendmachung der allgemeinen Wehrpflicht keine Rücksicht auf den Unterschied der Nationalität. Die Franken standen den römischen Provinzialen nicht wie die Ostgoten und Vandalen als ein stammfremder Wehrstand gegenüber, sondern die römische Bevölkerung wurde, sobald einiger- maſsen geordnete Zustände eingetreten waren, spätestens unter den Söhnen Chlodovechs, in das fränkische Heer eingereiht 1. 1 Siehe oben I 302 und W. Sickel in den Götting. gel. Anz. 1890, S. 246 ff. Die in der älteren Litteratur vertretene Ansicht, daſs bei den Franken nur das

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/220>, abgerufen am 28.03.2024.