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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 89. Polizeidienst und öffentliche Fronden.
fränkischen Periode, die sich eines genaueren Sprachgebrauches be-
fleissigen, werden Urteil und Rechtsgebot deutlich unterschieden 35.
Daneben findet sich allerdings ein laxerer Sprachgebrauch, der die
Thätigkeit der Urteiler und des Richters unter dem Ausdruck iudi-
care zusammenfasst 36.

§ 89. Polizeidienst und öffentliche Fronden.

Zöpfl, D. RG II 60 f. 200. 208. 234. H. Brunner, Abspaltungen der Fried-
losigkeit, Z2 f. RG XI 62 ff. W. Sickel, Zum Ursprung des mittelalterlichen
Staats, Mitth. des Inst. f. österr. Gf., Ergänzungsband II 226. Waitz, VG II 2,
S. 295 ff., IV 15 ff. v. Inama Sternegg, Deutsche Wirtschaftsgesch. I 441 ff.
Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben I 809 ff. Post, Über das Fodrum,
Beitrag zur Gesch. des ital. und des Reichssteuerwesens im Mittelalter 1880.
K. Lehmann, Abhandl. zur germanischen, insbes. nordischen Rechtsgesch. 1888,
I: die Gastung der germ. Könige. v. Amira in den Götting. gel. Anzeigen 1889,
S. 266 ff. Guerard, Poliptyque de l'abbe Irminon I 793 ff.

Wer durch ein Verbrechen oder durch dauernden Ungehorsam
gegen das Gericht den allgemeinen Frieden verwirkt hatte, war nach
germanischer Rechtsanschauung Feind des gesamten Volkes und seiner
Götter. Den Ächter, den Verbrecher zu verfolgen und die Fried-
losigkeit an ihm zu vollstrecken, erschien daher als allgemeine Pflicht
der Volksgenossen. Wie der Freie zum Heerdienst gegen die äusseren,
so war er zum Polizeidienst gegen die inneren Feinde des Volks-
friedens, gegen die Verbrecher, berufen und verpflichtet. Da dem
Gemeinwesen eine organisierte Polizeimannschaft fehlte, fungierte jeder
einzelne Volksgenosse als Organ der öffentlichen Polizei 1.

Die Pflicht der Verfolgung ging nicht soweit, dass dem einzelnen
zugemutet wurde, den Verbrecher mit augenscheinlicher Gefährdung

gheboden doet, die mit scepenen vonnes ghevesticht worden van aldair te spreken
recht te heysschen ende te antwoirden.
35 Form. Senon. rec. 3: per iuditium ad ipsas personas per iussionem illius
comite ... evindicabat. A. O. Nr. 6: per iussionem inlustri viro illo comite et
per iudicium ad ipsas personas. Dronke, Cod. dipl. Fuld. S. 226: praecipiente comite
et scabinis iudicantibus. Vaissete II 135: per voluntatem ipsius comitis et arbitrium
iudicum. Ein Musterplacitum ist Meichelbeck Nr. 470, wo Urteilfrage, Urteil-
findung, Vollwort und richterliches Rechtsgebot deutlich geschieden sind.
36 Form. Senon. 4, Bignon. 9, Lindenbrog 19, Meichelbeck Nr. 122. Germer
Durand, Cart. de Nimes S. 22, H. 278.
1 Beaumanoir, ein französischer Jurist des dreizehnten Jahrhunderts, sagt in
seinen Coutumes du Beauvoisis 31, 14: c'est li communs porfis, que cascuns soit
sergans et ait pooir de penre et d'arrester les malfeteurs.

§ 89. Polizeidienst und öffentliche Fronden.
fränkischen Periode, die sich eines genaueren Sprachgebrauches be-
fleiſsigen, werden Urteil und Rechtsgebot deutlich unterschieden 35.
Daneben findet sich allerdings ein laxerer Sprachgebrauch, der die
Thätigkeit der Urteiler und des Richters unter dem Ausdruck iudi-
care zusammenfaſst 36.

§ 89. Polizeidienst und öffentliche Fronden.

Zöpfl, D. RG II 60 f. 200. 208. 234. H. Brunner, Abspaltungen der Fried-
losigkeit, Z2 f. RG XI 62 ff. W. Sickel, Zum Ursprung des mittelalterlichen
Staats, Mitth. des Inst. f. österr. Gf., Ergänzungsband II 226. Waitz, VG II 2,
S. 295 ff., IV 15 ff. v. Inama Sternegg, Deutsche Wirtschaftsgesch. I 441 ff.
Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben I 809 ff. Post, Über das Fodrum,
Beitrag zur Gesch. des ital. und des Reichssteuerwesens im Mittelalter 1880.
K. Lehmann, Abhandl. zur germanischen, insbes. nordischen Rechtsgesch. 1888,
I: die Gastung der germ. Könige. v. Amira in den Götting. gel. Anzeigen 1889,
S. 266 ff. Guérard, Poliptyque de l’abbé Irminon I 793 ff.

Wer durch ein Verbrechen oder durch dauernden Ungehorsam
gegen das Gericht den allgemeinen Frieden verwirkt hatte, war nach
germanischer Rechtsanschauung Feind des gesamten Volkes und seiner
Götter. Den Ächter, den Verbrecher zu verfolgen und die Fried-
losigkeit an ihm zu vollstrecken, erschien daher als allgemeine Pflicht
der Volksgenossen. Wie der Freie zum Heerdienst gegen die äuſseren,
so war er zum Polizeidienst gegen die inneren Feinde des Volks-
friedens, gegen die Verbrecher, berufen und verpflichtet. Da dem
Gemeinwesen eine organisierte Polizeimannschaft fehlte, fungierte jeder
einzelne Volksgenosse als Organ der öffentlichen Polizei 1.

Die Pflicht der Verfolgung ging nicht soweit, daſs dem einzelnen
zugemutet wurde, den Verbrecher mit augenscheinlicher Gefährdung

gheboden doet, die mit scepenen vonnes ghevesticht worden van aldair te spreken
recht te heysschen ende te antwoirden.
35 Form. Senon. rec. 3: per iuditium ad ipsas personas per iussionem illius
comite … evindicabat. A. O. Nr. 6: per iussionem inlustri viro illo comite et
per iudicium ad ipsas personas. Dronke, Cod. dipl. Fuld. S. 226: praecipiente comite
et scabinis iudicantibus. Vaissete II 135: per voluntatem ipsius comitis et arbitrium
iudicum. Ein Musterplacitum ist Meichelbeck Nr. 470, wo Urteilfrage, Urteil-
findung, Vollwort und richterliches Rechtsgebot deutlich geschieden sind.
36 Form. Senon. 4, Bignon. 9, Lindenbrog 19, Meichelbeck Nr. 122. Germer
Durand, Cart. de Nimes S. 22, H. 278.
1 Beaumanoir, ein französischer Jurist des dreizehnten Jahrhunderts, sagt in
seinen Coutumes du Beauvoisis 31, 14: c’est li communs porfis, que çascuns soit
sergans et ait pooir de penre et d’arrester les malfeteurs.
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[226/0244] § 89. Polizeidienst und öffentliche Fronden. fränkischen Periode, die sich eines genaueren Sprachgebrauches be- fleiſsigen, werden Urteil und Rechtsgebot deutlich unterschieden 35. Daneben findet sich allerdings ein laxerer Sprachgebrauch, der die Thätigkeit der Urteiler und des Richters unter dem Ausdruck iudi- care zusammenfaſst 36. § 89. Polizeidienst und öffentliche Fronden. Zöpfl, D. RG II 60 f. 200. 208. 234. H. Brunner, Abspaltungen der Fried- losigkeit, Z2 f. RG XI 62 ff. W. Sickel, Zum Ursprung des mittelalterlichen Staats, Mitth. des Inst. f. österr. Gf., Ergänzungsband II 226. Waitz, VG II 2, S. 295 ff., IV 15 ff. v. Inama Sternegg, Deutsche Wirtschaftsgesch. I 441 ff. Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben I 809 ff. Post, Über das Fodrum, Beitrag zur Gesch. des ital. und des Reichssteuerwesens im Mittelalter 1880. K. Lehmann, Abhandl. zur germanischen, insbes. nordischen Rechtsgesch. 1888, I: die Gastung der germ. Könige. v. Amira in den Götting. gel. Anzeigen 1889, S. 266 ff. Guérard, Poliptyque de l’abbé Irminon I 793 ff. Wer durch ein Verbrechen oder durch dauernden Ungehorsam gegen das Gericht den allgemeinen Frieden verwirkt hatte, war nach germanischer Rechtsanschauung Feind des gesamten Volkes und seiner Götter. Den Ächter, den Verbrecher zu verfolgen und die Fried- losigkeit an ihm zu vollstrecken, erschien daher als allgemeine Pflicht der Volksgenossen. Wie der Freie zum Heerdienst gegen die äuſseren, so war er zum Polizeidienst gegen die inneren Feinde des Volks- friedens, gegen die Verbrecher, berufen und verpflichtet. Da dem Gemeinwesen eine organisierte Polizeimannschaft fehlte, fungierte jeder einzelne Volksgenosse als Organ der öffentlichen Polizei 1. Die Pflicht der Verfolgung ging nicht soweit, daſs dem einzelnen zugemutet wurde, den Verbrecher mit augenscheinlicher Gefährdung 34 35 Form. Senon. rec. 3: per iuditium ad ipsas personas per iussionem illius comite … evindicabat. A. O. Nr. 6: per iussionem inlustri viro illo comite et per iudicium ad ipsas personas. Dronke, Cod. dipl. Fuld. S. 226: praecipiente comite et scabinis iudicantibus. Vaissete II 135: per voluntatem ipsius comitis et arbitrium iudicum. Ein Musterplacitum ist Meichelbeck Nr. 470, wo Urteilfrage, Urteil- findung, Vollwort und richterliches Rechtsgebot deutlich geschieden sind. 36 Form. Senon. 4, Bignon. 9, Lindenbrog 19, Meichelbeck Nr. 122. Germer Durand, Cart. de Nimes S. 22, H. 278. 1 Beaumanoir, ein französischer Jurist des dreizehnten Jahrhunderts, sagt in seinen Coutumes du Beauvoisis 31, 14: c’est li communs porfis, que çascuns soit sergans et ait pooir de penre et d’arrester les malfeteurs. 34 gheboden doet, die mit scepenen vonnes ghevesticht worden van aldair te spreken recht te heysschen ende te antwoirden.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/244>, abgerufen am 29.03.2024.