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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 64. Der Königsbann.
imistischen Reichsverwaltung ist das persönliche Schutzverhältnis zu
unterscheiden, in welches der unmündige König von dem nächsten
männlichen Verwandten aufgenommen werden konnte 8, und ebenso
die Pflegschaft, in welche der Mündel seiner Mutter oder einem beson-
deren Erzieher übergeben war 9.

Als die Hausmeier die Führung der fränkischen Aristokratie
gewonnen hatten, waren sie es, welche während der Unmündigkeit des
Königs das Reich verwalteten. Schliesslich wurde die Verwaltung des
Reiches durch den Hausmeier auch auf die Zeit der Mündigkeit des
Königs ausgedehnt. Der Ausgang der merowingischen Periode kenn-
zeichnet sich dadurch, dass der König thatsächlich niemals mündig
wird, das Königtum als solches ein unmündiges bleibt. Denn der
König ist auf jene Funktionen beschränkt, wie sie der Unmündige
leistet, auf die äusserliche Repräsentation des Königtums, während die
Regierung ohne Rücksicht auf das Alter des Königs vom Hausmeier
geführt wird 10.

Im Hause der Karolinger stand die interimistische Reichsver-
waltung und die Vormundschaft über die Person des Mündels dem
nächsten Schwertmagen zu.

§ 64. Der Königsbann.

Waitz, VG II 1, S. 210. 286; III 113. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung
S. 103. v. Amira, Recht in Pauls Grundriss II 2, S. 180. v. Woringen, Bei-
träge zur Geschichte des deutsch. Strafrechts S. 124 ff. Wilda, Strafrecht S. 469.
Derselbe, Artikel Bann in Weiske's Rechtslexicon. W. Sickel, Zur Geschichte
des Bannes, Marburg 1886. Ficker, Forschungen I 62.

Bann, bannus, in seiner Grundbedeutung feierliches Wort 1, ist
der obrigkeitliche Befehl 2. Bann heisst zweitens die Busse 3, welche

matre regnaturum. Ihr Name steht neben dem ihres unmündigen Sohnes in dessen
Urkunden, Pertz, Dipl. M. 33. 38. 39. 40. In ähnlicher Stellung erscheint bereits
Nantehilde, die Mutter Chlodovaeus' II. Dipl. M. 18. Gesta abb. Fontanell. ed.
S. Loewenfeld I 8, S. 16: edita est (auctoritas) iussu regis et reginae.
8 So stand Childebert II. im Schutze Guntchrams, seines Oheims, während in
Austrasien die Grossen das Regiment führten. Greg. Tur. Hist. Franc. VII 8. 13.
V 17. VI 24. Im Reiche Chlothars II., den er gleichfalls in seinen Schutz auf-
genommen hatte, liess Guntchram sich den Treueid leisten. Greg. Tur. Hist. Franc.
VII 7. W. Sickel a. O. S. 974 ff.
9 Waitz, VG II 1, S. 171. II 2, S. 107.
10 W. Sickel a. O. S. 981.
1 Siehe oben I 147.
2 Belege aus den Rechtsquellen sind entbehrlich. Im Heliand heisst es
Vers 339 f.: thuo warth fan Rumuburg . . Oktavianes ban endi bodscepi kuman.
3 Schon Gregor von Tours (Hist. Franc. V 26) kennt diese Anwendung des

§ 64. Der Königsbann.
imistischen Reichsverwaltung ist das persönliche Schutzverhältnis zu
unterscheiden, in welches der unmündige König von dem nächsten
männlichen Verwandten aufgenommen werden konnte 8, und ebenso
die Pflegschaft, in welche der Mündel seiner Mutter oder einem beson-
deren Erzieher übergeben war 9.

Als die Hausmeier die Führung der fränkischen Aristokratie
gewonnen hatten, waren sie es, welche während der Unmündigkeit des
Königs das Reich verwalteten. Schlieſslich wurde die Verwaltung des
Reiches durch den Hausmeier auch auf die Zeit der Mündigkeit des
Königs ausgedehnt. Der Ausgang der merowingischen Periode kenn-
zeichnet sich dadurch, daſs der König thatsächlich niemals mündig
wird, das Königtum als solches ein unmündiges bleibt. Denn der
König ist auf jene Funktionen beschränkt, wie sie der Unmündige
leistet, auf die äuſserliche Repräsentation des Königtums, während die
Regierung ohne Rücksicht auf das Alter des Königs vom Hausmeier
geführt wird 10.

Im Hause der Karolinger stand die interimistische Reichsver-
waltung und die Vormundschaft über die Person des Mündels dem
nächsten Schwertmagen zu.

§ 64. Der Königsbann.

Waitz, VG II 1, S. 210. 286; III 113. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung
S. 103. v. Amira, Recht in Pauls Grundriss II 2, S. 180. v. Woringen, Bei-
träge zur Geschichte des deutsch. Strafrechts S. 124 ff. Wilda, Strafrecht S. 469.
Derselbe, Artikel Bann in Weiske’s Rechtslexicon. W. Sickel, Zur Geschichte
des Bannes, Marburg 1886. Ficker, Forschungen I 62.

Bann, bannus, in seiner Grundbedeutung feierliches Wort 1, ist
der obrigkeitliche Befehl 2. Bann heiſst zweitens die Buſse 3, welche

matre regnaturum. Ihr Name steht neben dem ihres unmündigen Sohnes in dessen
Urkunden, Pertz, Dipl. M. 33. 38. 39. 40. In ähnlicher Stellung erscheint bereits
Nantehilde, die Mutter Chlodovaeus’ II. Dipl. M. 18. Gesta abb. Fontanell. ed.
S. Loewenfeld I 8, S. 16: edita est (auctoritas) iussu regis et reginae.
8 So stand Childebert II. im Schutze Guntchrams, seines Oheims, während in
Austrasien die Groſsen das Regiment führten. Greg. Tur. Hist. Franc. VII 8. 13.
V 17. VI 24. Im Reiche Chlothars II., den er gleichfalls in seinen Schutz auf-
genommen hatte, lieſs Guntchram sich den Treueid leisten. Greg. Tur. Hist. Franc.
VII 7. W. Sickel a. O. S. 974 ff.
9 Waitz, VG II 1, S. 171. II 2, S. 107.
10 W. Sickel a. O. S. 981.
1 Siehe oben I 147.
2 Belege aus den Rechtsquellen sind entbehrlich. Im Heliand heiſst es
Vers 339 f.: thuo warth fan Rumuburg . . Oktaviânes ban endi bodscepi kuman.
3 Schon Gregor von Tours (Hist. Franc. V 26) kennt diese Anwendung des
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[34/0052] § 64. Der Königsbann. imistischen Reichsverwaltung ist das persönliche Schutzverhältnis zu unterscheiden, in welches der unmündige König von dem nächsten männlichen Verwandten aufgenommen werden konnte 8, und ebenso die Pflegschaft, in welche der Mündel seiner Mutter oder einem beson- deren Erzieher übergeben war 9. Als die Hausmeier die Führung der fränkischen Aristokratie gewonnen hatten, waren sie es, welche während der Unmündigkeit des Königs das Reich verwalteten. Schlieſslich wurde die Verwaltung des Reiches durch den Hausmeier auch auf die Zeit der Mündigkeit des Königs ausgedehnt. Der Ausgang der merowingischen Periode kenn- zeichnet sich dadurch, daſs der König thatsächlich niemals mündig wird, das Königtum als solches ein unmündiges bleibt. Denn der König ist auf jene Funktionen beschränkt, wie sie der Unmündige leistet, auf die äuſserliche Repräsentation des Königtums, während die Regierung ohne Rücksicht auf das Alter des Königs vom Hausmeier geführt wird 10. Im Hause der Karolinger stand die interimistische Reichsver- waltung und die Vormundschaft über die Person des Mündels dem nächsten Schwertmagen zu. § 64. Der Königsbann. Waitz, VG II 1, S. 210. 286; III 113. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung S. 103. v. Amira, Recht in Pauls Grundriss II 2, S. 180. v. Woringen, Bei- träge zur Geschichte des deutsch. Strafrechts S. 124 ff. Wilda, Strafrecht S. 469. Derselbe, Artikel Bann in Weiske’s Rechtslexicon. W. Sickel, Zur Geschichte des Bannes, Marburg 1886. Ficker, Forschungen I 62. Bann, bannus, in seiner Grundbedeutung feierliches Wort 1, ist der obrigkeitliche Befehl 2. Bann heiſst zweitens die Buſse 3, welche 7 8 So stand Childebert II. im Schutze Guntchrams, seines Oheims, während in Austrasien die Groſsen das Regiment führten. Greg. Tur. Hist. Franc. VII 8. 13. V 17. VI 24. Im Reiche Chlothars II., den er gleichfalls in seinen Schutz auf- genommen hatte, lieſs Guntchram sich den Treueid leisten. Greg. Tur. Hist. Franc. VII 7. W. Sickel a. O. S. 974 ff. 9 Waitz, VG II 1, S. 171. II 2, S. 107. 10 W. Sickel a. O. S. 981. 1 Siehe oben I 147. 2 Belege aus den Rechtsquellen sind entbehrlich. Im Heliand heiſst es Vers 339 f.: thuo warth fan Rumuburg . . Oktaviânes ban endi bodscepi kuman. 3 Schon Gregor von Tours (Hist. Franc. V 26) kennt diese Anwendung des 7 matre regnaturum. Ihr Name steht neben dem ihres unmündigen Sohnes in dessen Urkunden, Pertz, Dipl. M. 33. 38. 39. 40. In ähnlicher Stellung erscheint bereits Nantehilde, die Mutter Chlodovaeus’ II. Dipl. M. 18. Gesta abb. Fontanell. ed. S. Loewenfeld I 8, S. 16: edita est (auctoritas) iussu regis et reginae.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/52>, abgerufen am 19.04.2024.