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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 65. Königsfriede.
§ 65. Königsfriede.

Wilda, Strafrecht S. 253 ff. Schmid, Gesetze der Angelsachsen S. 584. Karl
Lehmann
, Der Königsfriede der Nordgermanen 1886. Sohm, Die Entstehung
des deutschen Städtewesens 1890, S. 34 ff.

Die Auffassung, dass der gemeine Friede Königsfriede sei, reicht
bei den Franken in hohes Altertum zurück 1. Schon die Lex Salica
bezeichnet die Friedloslegung, welche im Ungehorsamsverfahren durch
den König erfolgt, als extra sermonem regis, extra sermonem domini-
cum ponere 2, eine Wendung, in welcher das Wort sermo Frieden be-
deutet 3. Die Stellung des Königs zum Landfrieden beruht auf Volks-
recht, nicht auf Königsrecht. Das heisst, der gemeine Friede ist
Königsfriede nicht etwa in dem Sinne als ob er durch ein vom Volks-
rechte sich abhebendes besonderes Königsrecht geschützt würde, son-
dern der König handelt in Bewahrung des Friedens und bei der
Friedloslegung nur als volksrechtliches Organ der Friedens- und
Rechtsgenossenschaft. Als solches bezieht er auch die Friedensgelder
und hat er den Anspruch auf das eingezogene Gut des Friedlosen.

Nicht bei allen Stämmen des fränkischen Reiches war der Land-
friede Königsfriede in der gedachten Bedeutung. In Schwaben und
Baiern war zur Zeit des Stammesherzogtums nicht der König, son-
dern der Herzog Träger des gemeinen Friedens. Die Gerichtsverfas-
sung der unterworfenen Sachsen kannte zur Zeit Karls des Grossen
eine Erledigung der Rechtshändel durch die Gerichtsgemeinden, von

1 Sie findet sich auch bei den Angelsachsen, bei welchen die königliche Ge-
walt thatsächlich bedeutend schwächer ist als bei den Franken. Schmid, Ges.
der Ags. 584. v. Amira, Recht S. 129. Vgl. Gierke, RG der deutschen Ge-
nossenschaft I 109 f. Anm. 46. 51.
2 Lex Sal. 56, 5: (rex) extra sermonem suum ponat eum (Cod. 3: extra ser-
monem dominicam, Herold und Emend. extra sermonem suum esse diiudicet).
Lex Sal. 78, 9: et ipsum mittemus foras nostro sermone; 106, 9: rex eum extra
sermonem suum ponat. Nach Frensdorff, Recht und Rede in den historischen
Aufsätzen für Waitz S. 476 ff., läge hier nur eine Übersetzung des später be-
gegnenden Ausdruckes farzalan, verzellen (verrufen) vor. Allein das suum, domini-
cam, nostro enthält eine bestimmte Beziehung zum König, die sich aus der ab-
strakten Bedeutung von verzellen nicht gewinnen lässt. Es bleibt immer des Königs
sermo, also des Königs Friede, der entzogen wird. Die von Zöpfl, RG II 190
Anm. 3, Heusler, Instit. I 111, citierte Stelle der Leges Edwardi Confess. c. 6,
§ 1: utlagabit eum rex de verbo oris sui, kann nicht mit Sicherheit herangezogen
werden; denn sie lautet bei Schmid, Ges. der Ags. S. 494 nach Cod. Harleianus:
ore suo utlagabit eum rex, nach dem Text des Roger von Hoveden: utlagabit eum
rex verbo oris sui.
3 Siehe oben I 147.
§ 65. Königsfriede.
§ 65. Königsfriede.

Wilda, Strafrecht S. 253 ff. Schmid, Gesetze der Angelsachsen S. 584. Karl
Lehmann
, Der Königsfriede der Nordgermanen 1886. Sohm, Die Entstehung
des deutschen Städtewesens 1890, S. 34 ff.

Die Auffassung, daſs der gemeine Friede Königsfriede sei, reicht
bei den Franken in hohes Altertum zurück 1. Schon die Lex Salica
bezeichnet die Friedloslegung, welche im Ungehorsamsverfahren durch
den König erfolgt, als extra sermonem regis, extra sermonem domini-
cum ponere 2, eine Wendung, in welcher das Wort sermo Frieden be-
deutet 3. Die Stellung des Königs zum Landfrieden beruht auf Volks-
recht, nicht auf Königsrecht. Das heiſst, der gemeine Friede ist
Königsfriede nicht etwa in dem Sinne als ob er durch ein vom Volks-
rechte sich abhebendes besonderes Königsrecht geschützt würde, son-
dern der König handelt in Bewahrung des Friedens und bei der
Friedloslegung nur als volksrechtliches Organ der Friedens- und
Rechtsgenossenschaft. Als solches bezieht er auch die Friedensgelder
und hat er den Anspruch auf das eingezogene Gut des Friedlosen.

Nicht bei allen Stämmen des fränkischen Reiches war der Land-
friede Königsfriede in der gedachten Bedeutung. In Schwaben und
Baiern war zur Zeit des Stammesherzogtums nicht der König, son-
dern der Herzog Träger des gemeinen Friedens. Die Gerichtsverfas-
sung der unterworfenen Sachsen kannte zur Zeit Karls des Groſsen
eine Erledigung der Rechtshändel durch die Gerichtsgemeinden, von

1 Sie findet sich auch bei den Angelsachsen, bei welchen die königliche Ge-
walt thatsächlich bedeutend schwächer ist als bei den Franken. Schmid, Ges.
der Ags. 584. v. Amira, Recht S. 129. Vgl. Gierke, RG der deutschen Ge-
nossenschaft I 109 f. Anm. 46. 51.
2 Lex Sal. 56, 5: (rex) extra sermonem suum ponat eum (Cod. 3: extra ser-
monem dominicam, Herold und Emend. extra sermonem suum esse diiudicet).
Lex Sal. 78, 9: et ipsum mittemus foras nostro sermone; 106, 9: rex eum extra
sermonem suum ponat. Nach Frensdorff, Recht und Rede in den historischen
Aufsätzen für Waitz S. 476 ff., läge hier nur eine Übersetzung des später be-
gegnenden Ausdruckes farzalan, verzellen (verrufen) vor. Allein das suum, domini-
cam, nostro enthält eine bestimmte Beziehung zum König, die sich aus der ab-
strakten Bedeutung von verzellen nicht gewinnen läſst. Es bleibt immer des Königs
sermo, also des Königs Friede, der entzogen wird. Die von Zöpfl, RG II 190
Anm. 3, Heusler, Instit. I 111, citierte Stelle der Leges Edwardi Confess. c. 6,
§ 1: utlagabit eum rex de verbo oris sui, kann nicht mit Sicherheit herangezogen
werden; denn sie lautet bei Schmid, Ges. der Ags. S. 494 nach Cod. Harleianus:
ore suo utlagabit eum rex, nach dem Text des Roger von Hoveden: utlagabit eum
rex verbo oris sui.
3 Siehe oben I 147.
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[42/0060] § 65. Königsfriede. § 65. Königsfriede. Wilda, Strafrecht S. 253 ff. Schmid, Gesetze der Angelsachsen S. 584. Karl Lehmann, Der Königsfriede der Nordgermanen 1886. Sohm, Die Entstehung des deutschen Städtewesens 1890, S. 34 ff. Die Auffassung, daſs der gemeine Friede Königsfriede sei, reicht bei den Franken in hohes Altertum zurück 1. Schon die Lex Salica bezeichnet die Friedloslegung, welche im Ungehorsamsverfahren durch den König erfolgt, als extra sermonem regis, extra sermonem domini- cum ponere 2, eine Wendung, in welcher das Wort sermo Frieden be- deutet 3. Die Stellung des Königs zum Landfrieden beruht auf Volks- recht, nicht auf Königsrecht. Das heiſst, der gemeine Friede ist Königsfriede nicht etwa in dem Sinne als ob er durch ein vom Volks- rechte sich abhebendes besonderes Königsrecht geschützt würde, son- dern der König handelt in Bewahrung des Friedens und bei der Friedloslegung nur als volksrechtliches Organ der Friedens- und Rechtsgenossenschaft. Als solches bezieht er auch die Friedensgelder und hat er den Anspruch auf das eingezogene Gut des Friedlosen. Nicht bei allen Stämmen des fränkischen Reiches war der Land- friede Königsfriede in der gedachten Bedeutung. In Schwaben und Baiern war zur Zeit des Stammesherzogtums nicht der König, son- dern der Herzog Träger des gemeinen Friedens. Die Gerichtsverfas- sung der unterworfenen Sachsen kannte zur Zeit Karls des Groſsen eine Erledigung der Rechtshändel durch die Gerichtsgemeinden, von 1 Sie findet sich auch bei den Angelsachsen, bei welchen die königliche Ge- walt thatsächlich bedeutend schwächer ist als bei den Franken. Schmid, Ges. der Ags. 584. v. Amira, Recht S. 129. Vgl. Gierke, RG der deutschen Ge- nossenschaft I 109 f. Anm. 46. 51. 2 Lex Sal. 56, 5: (rex) extra sermonem suum ponat eum (Cod. 3: extra ser- monem dominicam, Herold und Emend. extra sermonem suum esse diiudicet). Lex Sal. 78, 9: et ipsum mittemus foras nostro sermone; 106, 9: rex eum extra sermonem suum ponat. Nach Frensdorff, Recht und Rede in den historischen Aufsätzen für Waitz S. 476 ff., läge hier nur eine Übersetzung des später be- gegnenden Ausdruckes farzalan, verzellen (verrufen) vor. Allein das suum, domini- cam, nostro enthält eine bestimmte Beziehung zum König, die sich aus der ab- strakten Bedeutung von verzellen nicht gewinnen läſst. Es bleibt immer des Königs sermo, also des Königs Friede, der entzogen wird. Die von Zöpfl, RG II 190 Anm. 3, Heusler, Instit. I 111, citierte Stelle der Leges Edwardi Confess. c. 6, § 1: utlagabit eum rex de verbo oris sui, kann nicht mit Sicherheit herangezogen werden; denn sie lautet bei Schmid, Ges. der Ags. S. 494 nach Cod. Harleianus: ore suo utlagabit eum rex, nach dem Text des Roger von Hoveden: utlagabit eum rex verbo oris sui. 3 Siehe oben I 147.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/60>, abgerufen am 29.03.2024.