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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 132. Die Acht, ihre Spielarten und Abspaltungen.
§ 132. Die Acht, ihre Spielarten und Abspaltungen.

Siehe die Litteratur zu § 22 oben I 166. v. Amira, Nordgerman. Obligationen-
recht I 141, II 115. Stemann, Den danske Retshistorie S. 608 ff. Wilda, Straf-
recht S. 484 ff. H. Brunner, Abspaltungen der Friedlosigkeit Z2. f. RG XI 62 ff.

Die Acht oder Friedlosigkeit ergriff die Person und das Ver-
mögen des Ächters. Sie war eine sühnbare oder unsühnbare, je nach-
dem der Ächter den in der Rechtsordnung begründeten Anspruch
hatte, den Frieden zu erkaufen oder nicht. Doch schloss auch die
unsühnbare Friedlosigkeit nicht aus, dass Staatsgewalt und Verletzter
den Frieden gewährten, wenn der Ächter bat, ihn erkaufen zu dürfen.
Für die Person des Missethäters bedeutete die Acht die Verwirkung
des Lebens. Die Ächtung hatte insofern den Charakter der sententia
capitalis. Nach der vermögensrechtlichen Seite hin äusserte sich die
Acht als Verwirkung des Vermögens, das gewüstet oder gefront wurde1.

Da die Missethat als solche aus dem Frieden setzte, war bei
handhafter That das Recht des Achtvollzugs ohne vorausgehende
Ächtung gegeben. In den nicht handhaften Fällen war eine Ab-
erkennung des Friedens erforderlich. Gegen den Missethäter, dessen
man nicht habhaft war, bedurfte es einer förmlichen Friedloslegung,
die in der herkömmlichen Ächtungsformel das Verbot der Beherber-
gung und den Matbann aussprach und den Verbrecher der allgemeinen
Verfolgung preisgab. Gegen den dingfesten Missethäter genügte ein
Urteil, das ihm Leben und Vermögen absprach, während jene Ächtungs-
formel entbehrlich war2. Bei den Franken scheint der Aberkennung
des Lebens stets eine förmliche Aberkennung des Friedens voraus-
gegangen zu sein3. War dies anderwärts nicht der Fall, so setzte
doch allenthalben die Lebensstrafe den Verlust des Friedens voraus.
Begrifflich ist die Strafe dieselbe, mag sie nun gegen den anwesenden
oder gegen den abwesenden Missethäter ausgesprochen werden. Dieser

1 Dass die Friedlosigkeit, wie v. Amira, Recht S. 176, sagt, in einem rein
passiven Verhalten der Rechtsordnung besteht und daher staatlicher Einrichtungen
in ältester Zeit nicht bedurfte, um den Missethäter zu treffen, kann ich weder
mit der Fronung und Wüstung, noch mit der Verfolgungspflicht in Einklang
bringen. Siehe oben S. 226, insbesondere Anm. 2.
2 Eine Ausnahme bildete jene Art der Acht, welche von Rechts wegen dahin
abgeschwächt worden war, dass dem Verbrecher Zeit zur Flucht gegönnt werden sollte.
3 Soweit es sich um freie Leute handelte. Ssp. Ldr. III 54, § 4. Siehe
oben I 174.
§ 132. Die Acht, ihre Spielarten und Abspaltungen.
§ 132. Die Acht, ihre Spielarten und Abspaltungen.

Siehe die Litteratur zu § 22 oben I 166. v. Amira, Nordgerman. Obligationen-
recht I 141, II 115. Stemann, Den danske Retshistorie S. 608 ff. Wilda, Straf-
recht S. 484 ff. H. Brunner, Abspaltungen der Friedlosigkeit Z2. f. RG XI 62 ff.

Die Acht oder Friedlosigkeit ergriff die Person und das Ver-
mögen des Ächters. Sie war eine sühnbare oder unsühnbare, je nach-
dem der Ächter den in der Rechtsordnung begründeten Anspruch
hatte, den Frieden zu erkaufen oder nicht. Doch schloſs auch die
unsühnbare Friedlosigkeit nicht aus, daſs Staatsgewalt und Verletzter
den Frieden gewährten, wenn der Ächter bat, ihn erkaufen zu dürfen.
Für die Person des Missethäters bedeutete die Acht die Verwirkung
des Lebens. Die Ächtung hatte insofern den Charakter der sententia
capitalis. Nach der vermögensrechtlichen Seite hin äuſserte sich die
Acht als Verwirkung des Vermögens, das gewüstet oder gefront wurde1.

Da die Missethat als solche aus dem Frieden setzte, war bei
handhafter That das Recht des Achtvollzugs ohne vorausgehende
Ächtung gegeben. In den nicht handhaften Fällen war eine Ab-
erkennung des Friedens erforderlich. Gegen den Missethäter, dessen
man nicht habhaft war, bedurfte es einer förmlichen Friedloslegung,
die in der herkömmlichen Ächtungsformel das Verbot der Beherber-
gung und den Matbann aussprach und den Verbrecher der allgemeinen
Verfolgung preisgab. Gegen den dingfesten Missethäter genügte ein
Urteil, das ihm Leben und Vermögen absprach, während jene Ächtungs-
formel entbehrlich war2. Bei den Franken scheint der Aberkennung
des Lebens stets eine förmliche Aberkennung des Friedens voraus-
gegangen zu sein3. War dies anderwärts nicht der Fall, so setzte
doch allenthalben die Lebensstrafe den Verlust des Friedens voraus.
Begrifflich ist die Strafe dieselbe, mag sie nun gegen den anwesenden
oder gegen den abwesenden Missethäter ausgesprochen werden. Dieser

1 Daſs die Friedlosigkeit, wie v. Amira, Recht S. 176, sagt, in einem rein
passiven Verhalten der Rechtsordnung besteht und daher staatlicher Einrichtungen
in ältester Zeit nicht bedurfte, um den Missethäter zu treffen, kann ich weder
mit der Fronung und Wüstung, noch mit der Verfolgungspflicht in Einklang
bringen. Siehe oben S. 226, insbesondere Anm. 2.
2 Eine Ausnahme bildete jene Art der Acht, welche von Rechts wegen dahin
abgeschwächt worden war, daſs dem Verbrecher Zeit zur Flucht gegönnt werden sollte.
3 Soweit es sich um freie Leute handelte. Ssp. Ldr. III 54, § 4. Siehe
oben I 174.
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[590/0608] § 132. Die Acht, ihre Spielarten und Abspaltungen. § 132. Die Acht, ihre Spielarten und Abspaltungen. Siehe die Litteratur zu § 22 oben I 166. v. Amira, Nordgerman. Obligationen- recht I 141, II 115. Stemann, Den danske Retshistorie S. 608 ff. Wilda, Straf- recht S. 484 ff. H. Brunner, Abspaltungen der Friedlosigkeit Z2. f. RG XI 62 ff. Die Acht oder Friedlosigkeit ergriff die Person und das Ver- mögen des Ächters. Sie war eine sühnbare oder unsühnbare, je nach- dem der Ächter den in der Rechtsordnung begründeten Anspruch hatte, den Frieden zu erkaufen oder nicht. Doch schloſs auch die unsühnbare Friedlosigkeit nicht aus, daſs Staatsgewalt und Verletzter den Frieden gewährten, wenn der Ächter bat, ihn erkaufen zu dürfen. Für die Person des Missethäters bedeutete die Acht die Verwirkung des Lebens. Die Ächtung hatte insofern den Charakter der sententia capitalis. Nach der vermögensrechtlichen Seite hin äuſserte sich die Acht als Verwirkung des Vermögens, das gewüstet oder gefront wurde 1. Da die Missethat als solche aus dem Frieden setzte, war bei handhafter That das Recht des Achtvollzugs ohne vorausgehende Ächtung gegeben. In den nicht handhaften Fällen war eine Ab- erkennung des Friedens erforderlich. Gegen den Missethäter, dessen man nicht habhaft war, bedurfte es einer förmlichen Friedloslegung, die in der herkömmlichen Ächtungsformel das Verbot der Beherber- gung und den Matbann aussprach und den Verbrecher der allgemeinen Verfolgung preisgab. Gegen den dingfesten Missethäter genügte ein Urteil, das ihm Leben und Vermögen absprach, während jene Ächtungs- formel entbehrlich war 2. Bei den Franken scheint der Aberkennung des Lebens stets eine förmliche Aberkennung des Friedens voraus- gegangen zu sein 3. War dies anderwärts nicht der Fall, so setzte doch allenthalben die Lebensstrafe den Verlust des Friedens voraus. Begrifflich ist die Strafe dieselbe, mag sie nun gegen den anwesenden oder gegen den abwesenden Missethäter ausgesprochen werden. Dieser 1 Daſs die Friedlosigkeit, wie v. Amira, Recht S. 176, sagt, in einem rein passiven Verhalten der Rechtsordnung besteht und daher staatlicher Einrichtungen in ältester Zeit nicht bedurfte, um den Missethäter zu treffen, kann ich weder mit der Fronung und Wüstung, noch mit der Verfolgungspflicht in Einklang bringen. Siehe oben S. 226, insbesondere Anm. 2. 2 Eine Ausnahme bildete jene Art der Acht, welche von Rechts wegen dahin abgeschwächt worden war, daſs dem Verbrecher Zeit zur Flucht gegönnt werden sollte. 3 Soweit es sich um freie Leute handelte. Ssp. Ldr. III 54, § 4. Siehe oben I 174.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/608>, abgerufen am 20.04.2024.