Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 135. Die Stellung der Kirche zu den peinlichen Strafen.

Nachmals kommt es mitunter vor, dass das des Haares beraubte
Haupt getheert und gefedert wird 36. Von den Quellen der fränkischen
Zeit erwähnen diese Strafe nur die sogenannten Capitula des Bischofs
Remedius von Chur bei Zauberei, sacrilegium und Meineid 37.

Wegen gewisser Missethaten pflegte man, und zwar manchmal
neben der Strafe zu Haut und Haar, eine Brandmarkung zu vollziehen,
um den Verbrecher zu zeichnen 38. Denselben Zweck verfolgte bei
Dieben, die kleinen Diebstahl begingen, das Abschneiden des kleinen
Fingers 39.

Körperliche Züchtigung kennt schon Tacitus als eine an freien
Germanen im Heere von Priesterhand vollzogene Strafe. Zu Zwecken
der militärischen Disziplin lässt sie auch die Lex Baiuwariorum zu 40.
Im übrigen erscheint die Strafe zu Haut oder Haar in den deutschen
Volksrechten -- anders als bei den Westgoten -- als eigentlich
knechtische Strafe. Es ist ein Zeichen der sozialen Entwicklung,
durch die der Stand der Gemeinfreien herabgedrückt wurde, dass
in den Kapitularien die Fälle sich zusehends mehren, in welchen auch
freie Leute mit der Prügelstrafe bedacht werden, wobei denn freilich
in Betracht kommt, dass man sich um Geld Haut und Haar erkaufen
konnte, wenn sie verwirkt waren.

§ 135. Die Stellung der Kirche zu den peinlichen Strafen.

Wilda, Strafrecht S. 525 ff. v. Holtzendorff, Handbuch des deutschen Straf-
rechts I 20. 41 f. Günther, Wiedervergeltung I 263. Fustel de Coulanges, Re-
cherches sur quelques problemes d'histoire S. 470 f. Esmein, Melanges d'histoire
du droit S. 369. Viollet, Histoire S. 381 ff. Über das Asylrecht: Wilda,
Strafrecht S. 537. Grimm, RA S. 886. Gaupp, Recht der alten Sachsen S. 129.
We nhold, Über die deutschen Fried- und Freistätten 1864. Dann, Über den
Ursprung des Asylrechts Z. f. DR III 327. Wachter, in Ersch und Gruber's

goten Dahn, Studien S. 191. Aber auch bei den Franken, wie die Stelle der
Annales Fuld. oben Anm. 25 ergiebt.
36 Grimm, RA S. 725. Dreyer, Nebenstunden S. 185. Schiller und
Lübben WB III 314. Siehe oben S. 470.
37 Cap. Remedii c. 2: scalvetur, mittatur pice capiti eius, ponatur super asinum
et batendo ducatur circiter per vicos; c. 4: fiat battutus et decalvatus missa pice.
Vielleicht steckt solche Ehrenstrafe auch in dem verstümmelten Texte des Cap. de
moneta c. 5, I 299.
38 Siehe oben S. 589, Anm. 12. Liu. 80: decalvet eum et cedat per disci-
plinam, sicut deuit furonem, et ponat ei signum in fronte et faciae.
39 Edmund III 4.
40 Lex. Baiuw. II 4, 3: disciplina hostile subiaceat .., id est 50 percussiones
accipiat.
§ 135. Die Stellung der Kirche zu den peinlichen Strafen.

Nachmals kommt es mitunter vor, daſs das des Haares beraubte
Haupt getheert und gefedert wird 36. Von den Quellen der fränkischen
Zeit erwähnen diese Strafe nur die sogenannten Capitula des Bischofs
Remedius von Chur bei Zauberei, sacrilegium und Meineid 37.

Wegen gewisser Missethaten pflegte man, und zwar manchmal
neben der Strafe zu Haut und Haar, eine Brandmarkung zu vollziehen,
um den Verbrecher zu zeichnen 38. Denselben Zweck verfolgte bei
Dieben, die kleinen Diebstahl begingen, das Abschneiden des kleinen
Fingers 39.

Körperliche Züchtigung kennt schon Tacitus als eine an freien
Germanen im Heere von Priesterhand vollzogene Strafe. Zu Zwecken
der militärischen Disziplin läſst sie auch die Lex Baiuwariorum zu 40.
Im übrigen erscheint die Strafe zu Haut oder Haar in den deutschen
Volksrechten — anders als bei den Westgoten — als eigentlich
knechtische Strafe. Es ist ein Zeichen der sozialen Entwicklung,
durch die der Stand der Gemeinfreien herabgedrückt wurde, daſs
in den Kapitularien die Fälle sich zusehends mehren, in welchen auch
freie Leute mit der Prügelstrafe bedacht werden, wobei denn freilich
in Betracht kommt, daſs man sich um Geld Haut und Haar erkaufen
konnte, wenn sie verwirkt waren.

§ 135. Die Stellung der Kirche zu den peinlichen Strafen.

Wilda, Strafrecht S. 525 ff. v. Holtzendorff, Handbuch des deutschen Straf-
rechts I 20. 41 f. Günther, Wiedervergeltung I 263. Fustel de Coulanges, Re-
cherches sur quelques problèmes d’histoire S. 470 f. Esmein, Mélanges d’histoire
du droit S. 369. Viollet, Histoire S. 381 ff. Über das Asylrecht: Wilda,
Strafrecht S. 537. Grimm, RA S. 886. Gaupp, Recht der alten Sachsen S. 129.
We nhold, Über die deutschen Fried- und Freistätten 1864. Dann, Über den
Ursprung des Asylrechts Z. f. DR III 327. Wachter, in Ersch und Gruber’s

goten Dahn, Studien S. 191. Aber auch bei den Franken, wie die Stelle der
Annales Fuld. oben Anm. 25 ergiebt.
36 Grimm, RA S. 725. Dreyer, Nebenstunden S. 185. Schiller und
Lübben WB III 314. Siehe oben S. 470.
37 Cap. Remedii c. 2: scalvetur, mittatur pice capiti eius, ponatur super asinum
et batendo ducatur circiter per vicos; c. 4: fiat battutus et decalvatus missa pice.
Vielleicht steckt solche Ehrenstrafe auch in dem verstümmelten Texte des Cap. de
moneta c. 5, I 299.
38 Siehe oben S. 589, Anm. 12. Liu. 80: decalvet eum et cedat per disci-
plinam, sicut deuit furonem, et ponat ei signum in fronte et faciae.
39 Edmund III 4.
40 Lex. Baiuw. II 4, 3: disciplina hostile subiaceat .., id est 50 percussiones
accipiat.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0625" n="607"/>
            <fw place="top" type="header">§ 135. Die Stellung der Kirche zu den peinlichen Strafen.</fw><lb/>
            <p>Nachmals kommt es mitunter vor, da&#x017F;s das des Haares beraubte<lb/>
Haupt getheert und gefedert wird <note place="foot" n="36"><hi rendition="#g">Grimm</hi>, RA S. 725. <hi rendition="#g">Dreyer</hi>, Nebenstunden S. 185. <hi rendition="#g">Schiller</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Lübben</hi> WB III 314. Siehe oben S. 470.</note>. Von den Quellen der fränkischen<lb/>
Zeit erwähnen diese Strafe nur die sogenannten Capitula des Bischofs<lb/>
Remedius von Chur bei Zauberei, sacrilegium und Meineid <note place="foot" n="37">Cap. Remedii c. 2: scalvetur, mittatur pice capiti eius, ponatur super asinum<lb/>
et batendo ducatur circiter per vicos; c. 4: fiat battutus et decalvatus missa pice.<lb/>
Vielleicht steckt solche Ehrenstrafe auch in dem verstümmelten Texte des Cap. de<lb/>
moneta c. 5, I 299.</note>.</p><lb/>
            <p>Wegen gewisser Missethaten pflegte man, und zwar manchmal<lb/>
neben der Strafe zu Haut und Haar, eine Brandmarkung zu vollziehen,<lb/>
um den Verbrecher zu zeichnen <note place="foot" n="38">Siehe oben S. 589, Anm. 12. Liu. 80: decalvet eum et cedat per disci-<lb/>
plinam, sicut deuit furonem, et ponat ei signum in fronte et faciae.</note>. Denselben Zweck verfolgte bei<lb/>
Dieben, die kleinen Diebstahl begingen, das Abschneiden des kleinen<lb/>
Fingers <note place="foot" n="39">Edmund III 4.</note>.</p><lb/>
            <p>Körperliche Züchtigung kennt schon Tacitus als eine an freien<lb/>
Germanen im Heere von Priesterhand vollzogene Strafe. Zu Zwecken<lb/>
der militärischen Disziplin lä&#x017F;st sie auch die Lex Baiuwariorum zu <note place="foot" n="40">Lex. Baiuw. II 4, 3: disciplina hostile subiaceat .., id est 50 percussiones<lb/>
accipiat.</note>.<lb/>
Im übrigen erscheint die Strafe zu Haut oder Haar in den deutschen<lb/>
Volksrechten &#x2014; anders als bei den Westgoten &#x2014; als eigentlich<lb/>
knechtische Strafe. Es ist ein Zeichen der sozialen Entwicklung,<lb/>
durch die der Stand der Gemeinfreien herabgedrückt wurde, da&#x017F;s<lb/>
in den Kapitularien die Fälle sich zusehends mehren, in welchen auch<lb/>
freie Leute mit der Prügelstrafe bedacht werden, wobei denn freilich<lb/>
in Betracht kommt, da&#x017F;s man sich um Geld Haut und Haar erkaufen<lb/>
konnte, wenn sie verwirkt waren.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§ 135. <hi rendition="#g">Die Stellung der Kirche zu den peinlichen Strafen</hi>.</head><lb/>
            <p>
              <bibl><hi rendition="#g">Wilda</hi>, Strafrecht S. 525 ff. v. <hi rendition="#g">Holtzendorff</hi>, Handbuch des deutschen Straf-<lb/>
rechts I 20. 41 f. <hi rendition="#g">Günther</hi>, Wiedervergeltung I 263. <hi rendition="#g">Fustel de Coulanges</hi>, Re-<lb/>
cherches sur quelques problèmes d&#x2019;histoire S. 470 f. <hi rendition="#g">Esmein</hi>, Mélanges d&#x2019;histoire<lb/>
du droit S. 369. <hi rendition="#g">Viollet</hi>, Histoire S. 381 ff. Über das Asylrecht: <hi rendition="#g">Wilda</hi>,<lb/>
Strafrecht S. 537. <hi rendition="#g">Grimm</hi>, RA S. 886. <hi rendition="#g">Gaupp</hi>, Recht der alten Sachsen S. 129.<lb/><hi rendition="#g">We nhold</hi>, Über die deutschen Fried- und Freistätten 1864. <hi rendition="#g">Dann</hi>, Über den<lb/>
Ursprung des Asylrechts Z. f. DR III 327. <hi rendition="#g">Wachter</hi>, in Ersch und Gruber&#x2019;s<lb/><note xml:id="seg2pn_142_2" prev="#seg2pn_142_1" place="foot" n="35">goten <hi rendition="#g">Dahn</hi>, Studien S. 191. Aber auch bei den Franken, wie die Stelle der<lb/>
Annales Fuld. oben Anm. 25 ergiebt.</note><lb/></bibl>
            </p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[607/0625] § 135. Die Stellung der Kirche zu den peinlichen Strafen. Nachmals kommt es mitunter vor, daſs das des Haares beraubte Haupt getheert und gefedert wird 36. Von den Quellen der fränkischen Zeit erwähnen diese Strafe nur die sogenannten Capitula des Bischofs Remedius von Chur bei Zauberei, sacrilegium und Meineid 37. Wegen gewisser Missethaten pflegte man, und zwar manchmal neben der Strafe zu Haut und Haar, eine Brandmarkung zu vollziehen, um den Verbrecher zu zeichnen 38. Denselben Zweck verfolgte bei Dieben, die kleinen Diebstahl begingen, das Abschneiden des kleinen Fingers 39. Körperliche Züchtigung kennt schon Tacitus als eine an freien Germanen im Heere von Priesterhand vollzogene Strafe. Zu Zwecken der militärischen Disziplin läſst sie auch die Lex Baiuwariorum zu 40. Im übrigen erscheint die Strafe zu Haut oder Haar in den deutschen Volksrechten — anders als bei den Westgoten — als eigentlich knechtische Strafe. Es ist ein Zeichen der sozialen Entwicklung, durch die der Stand der Gemeinfreien herabgedrückt wurde, daſs in den Kapitularien die Fälle sich zusehends mehren, in welchen auch freie Leute mit der Prügelstrafe bedacht werden, wobei denn freilich in Betracht kommt, daſs man sich um Geld Haut und Haar erkaufen konnte, wenn sie verwirkt waren. § 135. Die Stellung der Kirche zu den peinlichen Strafen. Wilda, Strafrecht S. 525 ff. v. Holtzendorff, Handbuch des deutschen Straf- rechts I 20. 41 f. Günther, Wiedervergeltung I 263. Fustel de Coulanges, Re- cherches sur quelques problèmes d’histoire S. 470 f. Esmein, Mélanges d’histoire du droit S. 369. Viollet, Histoire S. 381 ff. Über das Asylrecht: Wilda, Strafrecht S. 537. Grimm, RA S. 886. Gaupp, Recht der alten Sachsen S. 129. We nhold, Über die deutschen Fried- und Freistätten 1864. Dann, Über den Ursprung des Asylrechts Z. f. DR III 327. Wachter, in Ersch und Gruber’s 35 36 Grimm, RA S. 725. Dreyer, Nebenstunden S. 185. Schiller und Lübben WB III 314. Siehe oben S. 470. 37 Cap. Remedii c. 2: scalvetur, mittatur pice capiti eius, ponatur super asinum et batendo ducatur circiter per vicos; c. 4: fiat battutus et decalvatus missa pice. Vielleicht steckt solche Ehrenstrafe auch in dem verstümmelten Texte des Cap. de moneta c. 5, I 299. 38 Siehe oben S. 589, Anm. 12. Liu. 80: decalvet eum et cedat per disci- plinam, sicut deuit furonem, et ponat ei signum in fronte et faciae. 39 Edmund III 4. 40 Lex. Baiuw. II 4, 3: disciplina hostile subiaceat .., id est 50 percussiones accipiat. 35 goten Dahn, Studien S. 191. Aber auch bei den Franken, wie die Stelle der Annales Fuld. oben Anm. 25 ergiebt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/625
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 607. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/625>, abgerufen am 18.04.2024.