Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 145. Zauberei, Meineid und Walraub.
eide unabhängige Bestrafung des falschen Zeugnisses kennt das bur-
gundische Recht, da es im Falle der gelungenen Zeugenschelte die
Busse von 300 Solidi nicht nur jenem Zeugen auferlegt, der vor dem
Zweikampfe geschworen hatte, sondern auch allen Zeugen, qui se pro-
miserant juraturos 36. Als das karolingische Königsrecht die Zeugen
vor dem Eidgange verhören und den Widerspruch zwischen Zeugen
und Gegenzeugen durch Gottesurteil erledigen liess, ergab sich eine
Verschiedenheit in der Behandlung des beschworenen und des un-
beschworenen Zeugnisses. Der falsche Zeuge, der als ausgewählter
Kämpe das Zeugnis beschworen hatte, verlor die rechte Hand. Seine
Genossen, die nicht geschworen hatten, zahlten eine compositio, die
der Lösungsbusse der Hand entsprach 37.

3. Der Walraub.

Die Beraubung eines toten Menschen, ahd. walaraupa 38, ags.
waelreaf 39, nord. valrof 40, wurde unter heidnisch-religiösen Gesichts-
punkten als eine eigenartige Missethat behandelt, deren Begriff mit
den Anschauungen über das Fortleben nach dem Tode zusammenhing.

Der Walraub war Blutraub oder Reraub. Blutraub beging man
an einem Menschen, den man selbst getötet hatte, mochte nun der
Todschlag um des Raubes willen verübt worden sein oder nicht. Dem
Getöteten soll man, so sagt eine angelsächsische Quelle aus normanni-
scher Zeit, nichts nehmen, sondern den Leichnam auf den Schild legen,
das Haupt nach Westen, die Füsse nach Osten gerichtet 41. Auf
Blutraub setzen die meisten Rechte eine Busse, die in Fällen erlaubten
Todschlags selbständig, sonst aber neben der Sühne der rechtswidrigen
Tötung bezahlt wird. Die Lex Salica hat dafür 621/2 Solidi, die
Busse qualifizierten Raubes 42. Nach langobardischem Rechte 43 betrug

36 Lex Burg. 45.
37 Cap. legibus add. 818/9, c. 10, I 283. Über die Bestrafung der Meinrüge
siehe oben S. 492 f.
38 Lex Baiuw. XIX 4. Von wala caedes, strages, cadaver. Vergl. Walhalla,
Walstatt.
39 Schmid, Ges. der Ags. Anhang 15. Leges Henrici primi 83, 4: weilref dici-
mus, si quis mortuum refabit (zu reafian rauben) armis aut vestibus aut prorsus
aliquibus aut tumulatum aut tumulandum.
40 Gulathingslög 178. Jydske Lov III 24. Skanelagen 107. Sunesen 48
(S. 281).
41 Leges Henrici primi 83, § 6. Vgl. v. Amira, Vollstr.. S 16 f.
42 Lex Sal. 55, 1. Septem Causae IV 3. So ist wohl auch Lex Sal. 61, 2,
Cod. 1 zu verstehen. Über die dilatura siehe oben S. 624 f. Das ribuarische Recht
scheint wie das langobardische den Blutraub gleich dem Reraube zu behandeln.
43 Rothari 14, wo der Ausdruck plodraup überliefert ist.

§ 145. Zauberei, Meineid und Walraub.
eide unabhängige Bestrafung des falschen Zeugnisses kennt das bur-
gundische Recht, da es im Falle der gelungenen Zeugenschelte die
Buſse von 300 Solidi nicht nur jenem Zeugen auferlegt, der vor dem
Zweikampfe geschworen hatte, sondern auch allen Zeugen, qui se pro-
miserant juraturos 36. Als das karolingische Königsrecht die Zeugen
vor dem Eidgange verhören und den Widerspruch zwischen Zeugen
und Gegenzeugen durch Gottesurteil erledigen lieſs, ergab sich eine
Verschiedenheit in der Behandlung des beschworenen und des un-
beschworenen Zeugnisses. Der falsche Zeuge, der als ausgewählter
Kämpe das Zeugnis beschworen hatte, verlor die rechte Hand. Seine
Genossen, die nicht geschworen hatten, zahlten eine compositio, die
der Lösungsbuſse der Hand entsprach 37.

3. Der Walraub.

Die Beraubung eines toten Menschen, ahd. walaraupa 38, ags.
wælréaf 39, nord. valrof 40, wurde unter heidnisch-religiösen Gesichts-
punkten als eine eigenartige Missethat behandelt, deren Begriff mit
den Anschauungen über das Fortleben nach dem Tode zusammenhing.

Der Walraub war Blutraub oder Reraub. Blutraub beging man
an einem Menschen, den man selbst getötet hatte, mochte nun der
Todschlag um des Raubes willen verübt worden sein oder nicht. Dem
Getöteten soll man, so sagt eine angelsächsische Quelle aus normanni-
scher Zeit, nichts nehmen, sondern den Leichnam auf den Schild legen,
das Haupt nach Westen, die Füſse nach Osten gerichtet 41. Auf
Blutraub setzen die meisten Rechte eine Buſse, die in Fällen erlaubten
Todschlags selbständig, sonst aber neben der Sühne der rechtswidrigen
Tötung bezahlt wird. Die Lex Salica hat dafür 62½ Solidi, die
Buſse qualifizierten Raubes 42. Nach langobardischem Rechte 43 betrug

36 Lex Burg. 45.
37 Cap. legibus add. 818/9, c. 10, I 283. Über die Bestrafung der Meinrüge
siehe oben S. 492 f.
38 Lex Baiuw. XIX 4. Von wala caedes, strages, cadaver. Vergl. Walhalla,
Walstatt.
39 Schmid, Ges. der Ags. Anhang 15. Leges Henrici primi 83, 4: weilref dici-
mus, si quis mortuum refabit (zu réafian rauben) armis aut vestibus aut prorsus
aliquibus aut tumulatum aut tumulandum.
40 Gulaþíngslög 178. Jydske Lov III 24. Skånelagen 107. Sunesen 48
(S. 281).
41 Leges Henrici primi 83, § 6. Vgl. v. Amira, Vollstr.. S 16 f.
42 Lex Sal. 55, 1. Septem Causae IV 3. So ist wohl auch Lex Sal. 61, 2,
Cod. 1 zu verstehen. Über die dilatura siehe oben S. 624 f. Das ribuarische Recht
scheint wie das langobardische den Blutraub gleich dem Reraube zu behandeln.
43 Rothari 14, wo der Ausdruck plodraup überliefert ist.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0701" n="683"/><fw place="top" type="header">§ 145. Zauberei, Meineid und Walraub.</fw><lb/>
eide unabhängige Bestrafung des falschen Zeugnisses kennt das bur-<lb/>
gundische Recht, da es im Falle der gelungenen Zeugenschelte die<lb/>
Bu&#x017F;se von 300 Solidi nicht nur jenem Zeugen auferlegt, der vor dem<lb/>
Zweikampfe geschworen hatte, sondern auch allen Zeugen, qui se pro-<lb/>
miserant juraturos <note place="foot" n="36">Lex Burg. 45.</note>. Als das karolingische Königsrecht die Zeugen<lb/>
vor dem Eidgange verhören und den Widerspruch zwischen Zeugen<lb/>
und Gegenzeugen durch Gottesurteil erledigen lie&#x017F;s, ergab sich eine<lb/>
Verschiedenheit in der Behandlung des beschworenen und des un-<lb/>
beschworenen Zeugnisses. Der falsche Zeuge, der als ausgewählter<lb/>
Kämpe das Zeugnis beschworen hatte, verlor die rechte Hand. Seine<lb/>
Genossen, die nicht geschworen hatten, zahlten eine compositio, die<lb/>
der Lösungsbu&#x017F;se der Hand entsprach <note place="foot" n="37">Cap. legibus add. 818/9, c. 10, I 283. Über die Bestrafung der Meinrüge<lb/>
siehe oben S. 492 f.</note>.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>3. Der Walraub.</head><lb/>
              <p>Die Beraubung eines toten Menschen, ahd. walaraupa <note place="foot" n="38">Lex Baiuw. XIX 4. Von wala caedes, strages, cadaver. Vergl. Walhalla,<lb/>
Walstatt.</note>, ags.<lb/>
wælréaf <note place="foot" n="39">Schmid, Ges. der Ags. Anhang 15. Leges Henrici primi 83, 4: weilref dici-<lb/>
mus, si quis mortuum refabit (zu réafian rauben) armis aut vestibus aut prorsus<lb/>
aliquibus aut <hi rendition="#g">tumulatum</hi> aut <hi rendition="#g">tumulandum</hi>.</note>, nord. valrof <note place="foot" n="40">Gulaþíngslög 178. Jydske Lov III 24. Skånelagen 107. Sunesen 48<lb/>
(S. 281).</note>, wurde unter heidnisch-religiösen Gesichts-<lb/>
punkten als eine eigenartige Missethat behandelt, deren Begriff mit<lb/>
den Anschauungen über das Fortleben nach dem Tode zusammenhing.</p><lb/>
              <p>Der Walraub war Blutraub oder Reraub. Blutraub beging man<lb/>
an einem Menschen, den man selbst getötet hatte, mochte nun der<lb/>
Todschlag um des Raubes willen verübt worden sein oder nicht. Dem<lb/>
Getöteten soll man, so sagt eine angelsächsische Quelle aus normanni-<lb/>
scher Zeit, nichts nehmen, sondern den Leichnam auf den Schild legen,<lb/>
das Haupt nach Westen, die Fü&#x017F;se nach Osten gerichtet <note place="foot" n="41">Leges Henrici primi 83, § 6. Vgl. v. <hi rendition="#g">Amira</hi>, Vollstr.. S 16 f.</note>. Auf<lb/>
Blutraub setzen die meisten Rechte eine Bu&#x017F;se, die in Fällen erlaubten<lb/>
Todschlags selbständig, sonst aber neben der Sühne der rechtswidrigen<lb/>
Tötung bezahlt wird. Die Lex Salica hat dafür 62½ Solidi, die<lb/>
Bu&#x017F;se qualifizierten Raubes <note place="foot" n="42">Lex Sal. 55, 1. Septem Causae IV 3. So ist wohl auch Lex Sal. 61, 2,<lb/>
Cod. 1 zu verstehen. Über die dilatura siehe oben S. 624 f. Das ribuarische Recht<lb/>
scheint wie das langobardische den Blutraub gleich dem Reraube zu behandeln.</note>. Nach langobardischem Rechte <note place="foot" n="43">Rothari 14, wo der Ausdruck plodraup überliefert ist.</note> betrug<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[683/0701] § 145. Zauberei, Meineid und Walraub. eide unabhängige Bestrafung des falschen Zeugnisses kennt das bur- gundische Recht, da es im Falle der gelungenen Zeugenschelte die Buſse von 300 Solidi nicht nur jenem Zeugen auferlegt, der vor dem Zweikampfe geschworen hatte, sondern auch allen Zeugen, qui se pro- miserant juraturos 36. Als das karolingische Königsrecht die Zeugen vor dem Eidgange verhören und den Widerspruch zwischen Zeugen und Gegenzeugen durch Gottesurteil erledigen lieſs, ergab sich eine Verschiedenheit in der Behandlung des beschworenen und des un- beschworenen Zeugnisses. Der falsche Zeuge, der als ausgewählter Kämpe das Zeugnis beschworen hatte, verlor die rechte Hand. Seine Genossen, die nicht geschworen hatten, zahlten eine compositio, die der Lösungsbuſse der Hand entsprach 37. 3. Der Walraub. Die Beraubung eines toten Menschen, ahd. walaraupa 38, ags. wælréaf 39, nord. valrof 40, wurde unter heidnisch-religiösen Gesichts- punkten als eine eigenartige Missethat behandelt, deren Begriff mit den Anschauungen über das Fortleben nach dem Tode zusammenhing. Der Walraub war Blutraub oder Reraub. Blutraub beging man an einem Menschen, den man selbst getötet hatte, mochte nun der Todschlag um des Raubes willen verübt worden sein oder nicht. Dem Getöteten soll man, so sagt eine angelsächsische Quelle aus normanni- scher Zeit, nichts nehmen, sondern den Leichnam auf den Schild legen, das Haupt nach Westen, die Füſse nach Osten gerichtet 41. Auf Blutraub setzen die meisten Rechte eine Buſse, die in Fällen erlaubten Todschlags selbständig, sonst aber neben der Sühne der rechtswidrigen Tötung bezahlt wird. Die Lex Salica hat dafür 62½ Solidi, die Buſse qualifizierten Raubes 42. Nach langobardischem Rechte 43 betrug 36 Lex Burg. 45. 37 Cap. legibus add. 818/9, c. 10, I 283. Über die Bestrafung der Meinrüge siehe oben S. 492 f. 38 Lex Baiuw. XIX 4. Von wala caedes, strages, cadaver. Vergl. Walhalla, Walstatt. 39 Schmid, Ges. der Ags. Anhang 15. Leges Henrici primi 83, 4: weilref dici- mus, si quis mortuum refabit (zu réafian rauben) armis aut vestibus aut prorsus aliquibus aut tumulatum aut tumulandum. 40 Gulaþíngslög 178. Jydske Lov III 24. Skånelagen 107. Sunesen 48 (S. 281). 41 Leges Henrici primi 83, § 6. Vgl. v. Amira, Vollstr.. S 16 f. 42 Lex Sal. 55, 1. Septem Causae IV 3. So ist wohl auch Lex Sal. 61, 2, Cod. 1 zu verstehen. Über die dilatura siehe oben S. 624 f. Das ribuarische Recht scheint wie das langobardische den Blutraub gleich dem Reraube zu behandeln. 43 Rothari 14, wo der Ausdruck plodraup überliefert ist.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/701
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/701>, abgerufen am 25.04.2024.