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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum
seinen letzten Regierungsjahren eine schlaffere geworden 26. Unter
Ludwig I. begann dann das Provinzialbeamtentum üppig auszuwuchern.
In einem öffentlichen Aktenstücke anerkannte Ludwig I., dass die öffent-
liche Gewalt zwischen Königtum und Beamtentum, und zwar kraft
göttlichen und weltlichen Rechtes, geteilt sei 27. Dem ursprünglichen
Charakter des vom König verliehenen Amtes widersprechend, kenn-
zeichnet diese Auffassung die im Zuge begriffene Umwandlung des
Amtes in ein Lehen, welche die Amtsbefugnisse zu einem Eigenrechte
des Beamten gestaltete. Den Anstoss zu dieser Entwicklung gab die
Ausdehnung der Vassallität auf das höhere Beamtentum, eine Mass-
regel, die zwar anfänglich ihren ursprünglichen Zweck, nämlich eine
grössere Abhängigkeit des Beamten herbeizuführen, erfüllte, aber in
ihrem schliesslichen Ergebnisse das Gegenteil bewirkte.

Die Verleihung des Amtes erfolgte in karolingischer Zeit für
Lebenszeit des Verleihers und des Beamten, wodurch nicht aus-
geschlossen war, dass der Beamte sein Amt durch die Art der Amts-
führung verwirkte. Andererseits kam es häufig vor, dass das Amt bei
Thronwechsel dem Inhaber verblieb, und nach dem Tode des Inhabers
einem seiner Nachkommen zu teil wurde, eine Praxis, welche zu-
nächst in Westfrancien eine thatsächliche Vererbung gewisser höherer
Ämter der Provinzialverwaltung zur Folge hatte.

Neben den ordentlichen Beamten gab es von je ausserordentliche,
die nicht mit einem ständigen Amte, sondern nur mit einem vorüber-
gehenden Kommissorium betraut waren. Solche ausserordentliche Be-
amte fasst der Name der königlichen Missi zusammen. Als das Haus-
meieramt mit Anbruch, das Herzogsamt im Laufe der karolingischen
Zeit verschwunden war, diente die von Karl dem Grossen organisierte
Einrichtung der Missi als wesentliches Mittel die Verwaltung im Sinne
des Königs zu lenken und den Missbräuchen und Übergriffen der
ordentlichen Beamten zu steuern. Unter Ludwig I. und seinen Nach-
folgern verfiel die segensreiche Neuerung und haben nicht selten

26 Mühlbacher, Deutsche Geschichte unter den Karolingern S. 214.
27 Die Admonitio ad omnes regni ordines von 823--825, Cap. I 303, c. 2
erklärt es für die Aufgabe der Reichsverwaltung, dass die Kirche geschützt und
erhöht, der Friede bewahrt und das Recht gehandhabt werde. Sed quamquam,
fährt Ludwig in c. 3 fort, summa huius ministerii in nostra persona consistere videatur,
tamen et divina auctoritate et humana ordinatione ita per partes di-
visum
esse cognoscitur, ut unusquisque vestrum in suo loco et ordine partem
nostri ministerii habere cognoscatur ... Nec enim ignoramus, quid unicuique
vestrum in sibi commissa portione conveniat
.. A. O. c. 14: et quoniam,
sicut diximus, unusquisque vestrum partem ministerii nostri per partes habere di-
noscitur ...

§ 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum
seinen letzten Regierungsjahren eine schlaffere geworden 26. Unter
Ludwig I. begann dann das Provinzialbeamtentum üppig auszuwuchern.
In einem öffentlichen Aktenstücke anerkannte Ludwig I., daſs die öffent-
liche Gewalt zwischen Königtum und Beamtentum, und zwar kraft
göttlichen und weltlichen Rechtes, geteilt sei 27. Dem ursprünglichen
Charakter des vom König verliehenen Amtes widersprechend, kenn-
zeichnet diese Auffassung die im Zuge begriffene Umwandlung des
Amtes in ein Lehen, welche die Amtsbefugnisse zu einem Eigenrechte
des Beamten gestaltete. Den Anstoſs zu dieser Entwicklung gab die
Ausdehnung der Vassallität auf das höhere Beamtentum, eine Maſs-
regel, die zwar anfänglich ihren ursprünglichen Zweck, nämlich eine
gröſsere Abhängigkeit des Beamten herbeizuführen, erfüllte, aber in
ihrem schlieſslichen Ergebnisse das Gegenteil bewirkte.

Die Verleihung des Amtes erfolgte in karolingischer Zeit für
Lebenszeit des Verleihers und des Beamten, wodurch nicht aus-
geschlossen war, daſs der Beamte sein Amt durch die Art der Amts-
führung verwirkte. Andererseits kam es häufig vor, daſs das Amt bei
Thronwechsel dem Inhaber verblieb, und nach dem Tode des Inhabers
einem seiner Nachkommen zu teil wurde, eine Praxis, welche zu-
nächst in Westfrancien eine thatsächliche Vererbung gewisser höherer
Ämter der Provinzialverwaltung zur Folge hatte.

Neben den ordentlichen Beamten gab es von je auſserordentliche,
die nicht mit einem ständigen Amte, sondern nur mit einem vorüber-
gehenden Kommissorium betraut waren. Solche auſserordentliche Be-
amte faſst der Name der königlichen Missi zusammen. Als das Haus-
meieramt mit Anbruch, das Herzogsamt im Laufe der karolingischen
Zeit verschwunden war, diente die von Karl dem Groſsen organisierte
Einrichtung der Missi als wesentliches Mittel die Verwaltung im Sinne
des Königs zu lenken und den Miſsbräuchen und Übergriffen der
ordentlichen Beamten zu steuern. Unter Ludwig I. und seinen Nach-
folgern verfiel die segensreiche Neuerung und haben nicht selten

26 Mühlbacher, Deutsche Geschichte unter den Karolingern S. 214.
27 Die Admonitio ad omnes regni ordines von 823—825, Cap. I 303, c. 2
erklärt es für die Aufgabe der Reichsverwaltung, daſs die Kirche geschützt und
erhöht, der Friede bewahrt und das Recht gehandhabt werde. Sed quamquam,
fährt Ludwig in c. 3 fort, summa huius ministerii in nostra persona consistere videatur,
tamen et divina auctoritate et humana ordinatione ita per partes di-
visum
esse cognoscitur, ut unusquisque vestrum in suo loco et ordine partem
nostri ministerii habere cognoscatur … Nec enim ignoramus, quid unicuique
vestrum in sibi commissa portione conveniat
.. A. O. c. 14: et quoniam,
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noscitur …
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[82/0100] § 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum seinen letzten Regierungsjahren eine schlaffere geworden 26. Unter Ludwig I. begann dann das Provinzialbeamtentum üppig auszuwuchern. In einem öffentlichen Aktenstücke anerkannte Ludwig I., daſs die öffent- liche Gewalt zwischen Königtum und Beamtentum, und zwar kraft göttlichen und weltlichen Rechtes, geteilt sei 27. Dem ursprünglichen Charakter des vom König verliehenen Amtes widersprechend, kenn- zeichnet diese Auffassung die im Zuge begriffene Umwandlung des Amtes in ein Lehen, welche die Amtsbefugnisse zu einem Eigenrechte des Beamten gestaltete. Den Anstoſs zu dieser Entwicklung gab die Ausdehnung der Vassallität auf das höhere Beamtentum, eine Maſs- regel, die zwar anfänglich ihren ursprünglichen Zweck, nämlich eine gröſsere Abhängigkeit des Beamten herbeizuführen, erfüllte, aber in ihrem schlieſslichen Ergebnisse das Gegenteil bewirkte. Die Verleihung des Amtes erfolgte in karolingischer Zeit für Lebenszeit des Verleihers und des Beamten, wodurch nicht aus- geschlossen war, daſs der Beamte sein Amt durch die Art der Amts- führung verwirkte. Andererseits kam es häufig vor, daſs das Amt bei Thronwechsel dem Inhaber verblieb, und nach dem Tode des Inhabers einem seiner Nachkommen zu teil wurde, eine Praxis, welche zu- nächst in Westfrancien eine thatsächliche Vererbung gewisser höherer Ämter der Provinzialverwaltung zur Folge hatte. Neben den ordentlichen Beamten gab es von je auſserordentliche, die nicht mit einem ständigen Amte, sondern nur mit einem vorüber- gehenden Kommissorium betraut waren. Solche auſserordentliche Be- amte faſst der Name der königlichen Missi zusammen. Als das Haus- meieramt mit Anbruch, das Herzogsamt im Laufe der karolingischen Zeit verschwunden war, diente die von Karl dem Groſsen organisierte Einrichtung der Missi als wesentliches Mittel die Verwaltung im Sinne des Königs zu lenken und den Miſsbräuchen und Übergriffen der ordentlichen Beamten zu steuern. Unter Ludwig I. und seinen Nach- folgern verfiel die segensreiche Neuerung und haben nicht selten 26 Mühlbacher, Deutsche Geschichte unter den Karolingern S. 214. 27 Die Admonitio ad omnes regni ordines von 823—825, Cap. I 303, c. 2 erklärt es für die Aufgabe der Reichsverwaltung, daſs die Kirche geschützt und erhöht, der Friede bewahrt und das Recht gehandhabt werde. Sed quamquam, fährt Ludwig in c. 3 fort, summa huius ministerii in nostra persona consistere videatur, tamen et divina auctoritate et humana ordinatione ita per partes di- visum esse cognoscitur, ut unusquisque vestrum in suo loco et ordine partem nostri ministerii habere cognoscatur … Nec enim ignoramus, quid unicuique vestrum in sibi commissa portione conveniat .. A. O. c. 14: et quoniam, sicut diximus, unusquisque vestrum partem ministerii nostri per partes habere di- noscitur …

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/100>, abgerufen am 25.04.2024.