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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 71. Hof und Hofstaat.
auf die Anwendung des römischen Rechtes noch nicht gezogen. Doch
findet sich in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts in kirch-
lichen Kreisen bereits die Ansicht, die später der mächtigste Hebel
für die Aufnahme des römischen Rechtes werden sollte, dass die Lex
Romana ein Gesetz sei, welches die Vorgänger der Karolinger, die
römischen Imperatoren, gegeben hätten52 und welches daher für die
Nachfolger verbindliche Kraft besitze.

II. Der Hof des Königs und die Reichsverwaltung.
§ 71. Hof und Hofstaat.

Waitz, VG II 2, S. 69 ff. III 493. Hüllmann, Geschichte des Ursprungs der
Stände in Deutschland, 1830, S. 77 ff. Phillips, Deutsche Geschichte I 479.
Maurer, Fronhöfe I 189. Schröder, RG S. 135 ff. Dahn, Urgeschichte IV
63 ff. Digot, Histoire d'Austrasie II 186 ff. Guerard, Polyptique d'Irminon
I 436 ff. Viollet, Histoire S. 228. Glasson II 297. Fustel de Coulanges,
Monarchie franque S. 135. Deloche, La Trustis et l'Antrustion royal sous les
deux premieres races 1873. H. Brunner, Zur Geschichte des Gefolgswesens, Z2
f. RG IX 210 ff. Vgl. unten die Litteratur zu § 92.

Eine ständige Residenz hatte weder der merowingische noch der
karolingische König. Ebensowenig gab es eine eigentliche Hauptstadt
des Reiches. Ein dauernder städtischer Mittelpunkt hätte dem ganzen
Zuschnitt der fränkischen Reichsverwaltung widersprochen. Ihren ge-
wöhnlichen Aufenthalt nahmen die Könige auf den Pfalzen, die sich
in verschiedenen Gebieten des Reiches auf königlichen Besitzungen
befanden. In merowingischer Zeit hatten zwar Paris und Soissons,
bei den austrasischen Königen Reims und Metz als Königssitze be-
sondere Bedeutung. Allein die Mehrzahl der merowingischen Königs-
urkunden ist in kleineren königlichen Pfalzen ausgestellt. Karl der
Grosse verweilte mit Vorliebe in den Pfalzen zu Heristal, Worms,
Ingelheim und zu Aachen, welches in seinen späteren Regierungs-
jahren und unter Ludwig I. als Hauptsitz des fränkischen Reiches galt.

Der Hof des Königs heisst domus, palatium, aula regis. Gegen
Ende der karolingischen Zeit findet sich vereinzelt auch schon curia

52 Sie findet sich bei Hinkmar von Reims, der das Constitutum gekannt
hat (De ordine palatii c. 13). In Opera I 636 (Migne CXXV 700) begründet er,
dass der Nachfolger im Königtum an Verfügungen des Vorgängers gebunden sei,
da ja auch der Erbe die von dem Erblasser erhobene Klage durchzuführen (?)
habe: secundum legem Romanam, quam praedecessores eorum (principum nostrorum)
imperatores et reges condiderunt et servaverunt. Vgl. Savigny II 280, Anm. a.

§ 71. Hof und Hofstaat.
auf die Anwendung des römischen Rechtes noch nicht gezogen. Doch
findet sich in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts in kirch-
lichen Kreisen bereits die Ansicht, die später der mächtigste Hebel
für die Aufnahme des römischen Rechtes werden sollte, daſs die Lex
Romana ein Gesetz sei, welches die Vorgänger der Karolinger, die
römischen Imperatoren, gegeben hätten52 und welches daher für die
Nachfolger verbindliche Kraft besitze.

II. Der Hof des Königs und die Reichsverwaltung.
§ 71. Hof und Hofstaat.

Waitz, VG II 2, S. 69 ff. III 493. Hüllmann, Geschichte des Ursprungs der
Stände in Deutschland, 1830, S. 77 ff. Phillips, Deutsche Geschichte I 479.
Maurer, Fronhöfe I 189. Schröder, RG S. 135 ff. Dahn, Urgeschichte IV
63 ff. Digot, Histoire d’Austrasie II 186 ff. Guérard, Polyptique d’Irminon
I 436 ff. Viollet, Histoire S. 228. Glasson II 297. Fustel de Coulanges,
Monarchie franque S. 135. Deloche, La Trustis et l’Antrustion royal sous les
deux premières races 1873. H. Brunner, Zur Geschichte des Gefolgswesens, Z2
f. RG IX 210 ff. Vgl. unten die Litteratur zu § 92.

Eine ständige Residenz hatte weder der merowingische noch der
karolingische König. Ebensowenig gab es eine eigentliche Hauptstadt
des Reiches. Ein dauernder städtischer Mittelpunkt hätte dem ganzen
Zuschnitt der fränkischen Reichsverwaltung widersprochen. Ihren ge-
wöhnlichen Aufenthalt nahmen die Könige auf den Pfalzen, die sich
in verschiedenen Gebieten des Reiches auf königlichen Besitzungen
befanden. In merowingischer Zeit hatten zwar Paris und Soissons,
bei den austrasischen Königen Reims und Metz als Königssitze be-
sondere Bedeutung. Allein die Mehrzahl der merowingischen Königs-
urkunden ist in kleineren königlichen Pfalzen ausgestellt. Karl der
Groſse verweilte mit Vorliebe in den Pfalzen zu Heristal, Worms,
Ingelheim und zu Aachen, welches in seinen späteren Regierungs-
jahren und unter Ludwig I. als Hauptsitz des fränkischen Reiches galt.

Der Hof des Königs heiſst domus, palatium, aula regis. Gegen
Ende der karolingischen Zeit findet sich vereinzelt auch schon curia

52 Sie findet sich bei Hinkmar von Reims, der das Constitutum gekannt
hat (De ordine palatii c. 13). In Opera I 636 (Migne CXXV 700) begründet er,
daſs der Nachfolger im Königtum an Verfügungen des Vorgängers gebunden sei,
da ja auch der Erbe die von dem Erblasser erhobene Klage durchzuführen (?)
habe: secundum legem Romanam, quam praedecessores eorum (principum nostrorum)
imperatores et reges condiderunt et servaverunt. Vgl. Savigny II 280, Anm. a.
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[95/0113] § 71. Hof und Hofstaat. auf die Anwendung des römischen Rechtes noch nicht gezogen. Doch findet sich in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts in kirch- lichen Kreisen bereits die Ansicht, die später der mächtigste Hebel für die Aufnahme des römischen Rechtes werden sollte, daſs die Lex Romana ein Gesetz sei, welches die Vorgänger der Karolinger, die römischen Imperatoren, gegeben hätten 52 und welches daher für die Nachfolger verbindliche Kraft besitze. II. Der Hof des Königs und die Reichsverwaltung. § 71. Hof und Hofstaat. Waitz, VG II 2, S. 69 ff. III 493. Hüllmann, Geschichte des Ursprungs der Stände in Deutschland, 1830, S. 77 ff. Phillips, Deutsche Geschichte I 479. Maurer, Fronhöfe I 189. Schröder, RG S. 135 ff. Dahn, Urgeschichte IV 63 ff. Digot, Histoire d’Austrasie II 186 ff. Guérard, Polyptique d’Irminon I 436 ff. Viollet, Histoire S. 228. Glasson II 297. Fustel de Coulanges, Monarchie franque S. 135. Deloche, La Trustis et l’Antrustion royal sous les deux premières races 1873. H. Brunner, Zur Geschichte des Gefolgswesens, Z2 f. RG IX 210 ff. Vgl. unten die Litteratur zu § 92. Eine ständige Residenz hatte weder der merowingische noch der karolingische König. Ebensowenig gab es eine eigentliche Hauptstadt des Reiches. Ein dauernder städtischer Mittelpunkt hätte dem ganzen Zuschnitt der fränkischen Reichsverwaltung widersprochen. Ihren ge- wöhnlichen Aufenthalt nahmen die Könige auf den Pfalzen, die sich in verschiedenen Gebieten des Reiches auf königlichen Besitzungen befanden. In merowingischer Zeit hatten zwar Paris und Soissons, bei den austrasischen Königen Reims und Metz als Königssitze be- sondere Bedeutung. Allein die Mehrzahl der merowingischen Königs- urkunden ist in kleineren königlichen Pfalzen ausgestellt. Karl der Groſse verweilte mit Vorliebe in den Pfalzen zu Heristal, Worms, Ingelheim und zu Aachen, welches in seinen späteren Regierungs- jahren und unter Ludwig I. als Hauptsitz des fränkischen Reiches galt. Der Hof des Königs heiſst domus, palatium, aula regis. Gegen Ende der karolingischen Zeit findet sich vereinzelt auch schon curia 52 Sie findet sich bei Hinkmar von Reims, der das Constitutum gekannt hat (De ordine palatii c. 13). In Opera I 636 (Migne CXXV 700) begründet er, daſs der Nachfolger im Königtum an Verfügungen des Vorgängers gebunden sei, da ja auch der Erbe die von dem Erblasser erhobene Klage durchzuführen (?) habe: secundum legem Romanam, quam praedecessores eorum (principum nostrorum) imperatores et reges condiderunt et servaverunt. Vgl. Savigny II 280, Anm. a.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/113>, abgerufen am 29.03.2024.