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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 71. Hof und Hofstaat.
regis1. Da die Fäden der Reichsverwaltung in der Hand des Königs
zusammenlaufen, ist sein Hof der Brennpunkt der Reichsregierung und
konnte es kommen, dass ursprüngliche Beamte der Hofverwaltung die
wichtigsten Organe der Reichsverwaltung wurden.

Über die Ordnung der Hofverwaltung haben wir aus merowin-
gischer Zeit nur ziemlich spärliche Nachrichten. Dagegen wurde sie
unter den Karolingern Gegenstand einer bedeutsamen litterarischen
Arbeit. Einer der Räte Karls des Grossen, ein Verwandter des karo-
lingischen Hauses, Adalhard, Abt von Corbie2, schrieb einen libellus
de ordine palatii. Diese Schrift, welche uns leider nicht überliefert
ist, hat Erzbischof Hinkmar von Reims einer epistola de ordine pa-
latii zu Grunde gelegt, die er 882 verfasste, um Karlmann, dem
Sohne Ludwigs des Stammlers, und seinen Räten ein Bild der
Hofverwaltung aus der glänzendsten Zeit des fränkischen Reiches vor
Augen zu führen3. Nicht ohne Tendenz geschrieben wie fast alles,
was aus der Feder dieses ehrgeizigen und wenig gewissenhaften Prä-
laten stammt, trug Hinkmars Darstellung in die von ihm verarbeitete
Schrift4 fremdartige Züge hinein, indem sie den Einfluss einzelner
Hofämter und die Stellung der geistlichen Hofleute wahrheitswidrig
erhöhte und wohl auch von Adalhards Ausführungen manches unter-
drückte, was zu Hinkmars hierarchischen Bestrebungen und zu der
Haltung nicht zu passen schien, die er zu den damaligen Verhält-
nissen des westfränkischen Hofes einnahm5.

Für den Hofstaat, d. h. die Gesamtheit der im Hofdienst be-
findlichen und in die domus regia aufgenommenen Personen, finden
sich die Bezeichnungen aulici6, palatini und wohl auch domestici7.

1 In dem bei Waitz, VG III 255, Anm. 1 angeführten lateinischen Gedichte.
In Annales Fuldenses zu 873, MG SS I 385 für den Hoftag. Vita Desiderii Vienn.
§ 9, AA SS Mai V 256: congregata optimatum suorum curia.
2 Geboren 753, gestorben 826. Eine Vita Adalhardi in den Acta SS Juni I,
S. 96--111 und auszugsweise in Mon. Germ. SS II 524 ff. Vgl. über Adalhard,
Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen I5 235 ff. Prou, Hincmar de
ordine Palatii S. 32, Anm. 1. S. 98.
3 Neueste Ausgabe mit Erläuterungen von Prou (1885) in der Bibliotheque
de l'ecole des hautes etudes, fasc. 58. Ausserdem in Walters Corpus iur. germ.
III 761 ff. und bei Migne, Patrologia lat. CXXV 993. Ausgewählte Kapitel mit Kom-
mentar bei Gengler, Rechtsdenkmäler S. 692 ff. Die Mon. Germ. werden Hink-
mars Schrift als Anhang zum 2. Bande der Kapitularien bringen.
4 Cap. I--XI und XXXVII sind ausschliesslich aus Hinkmars Feder.
5 A. Pernice, De comitibus palatii commentatio 1863, S. 47 ff.
6 Siehe die Stellen bei Waitz, VG II 2, Anm. 3, S. 112; III 497, Anm. 3.
7 Wie schon bei den Römern domesticus in allgemeiner Anwendung für den
Hausgenossen gebraucht wird, Mommsen, Observationes epigraphicae Nr. 35, Ephem.

§ 71. Hof und Hofstaat.
regis1. Da die Fäden der Reichsverwaltung in der Hand des Königs
zusammenlaufen, ist sein Hof der Brennpunkt der Reichsregierung und
konnte es kommen, daſs ursprüngliche Beamte der Hofverwaltung die
wichtigsten Organe der Reichsverwaltung wurden.

Über die Ordnung der Hofverwaltung haben wir aus merowin-
gischer Zeit nur ziemlich spärliche Nachrichten. Dagegen wurde sie
unter den Karolingern Gegenstand einer bedeutsamen litterarischen
Arbeit. Einer der Räte Karls des Groſsen, ein Verwandter des karo-
lingischen Hauses, Adalhard, Abt von Corbie2, schrieb einen libellus
de ordine palatii. Diese Schrift, welche uns leider nicht überliefert
ist, hat Erzbischof Hinkmar von Reims einer epistola de ordine pa-
latii zu Grunde gelegt, die er 882 verfaſste, um Karlmann, dem
Sohne Ludwigs des Stammlers, und seinen Räten ein Bild der
Hofverwaltung aus der glänzendsten Zeit des fränkischen Reiches vor
Augen zu führen3. Nicht ohne Tendenz geschrieben wie fast alles,
was aus der Feder dieses ehrgeizigen und wenig gewissenhaften Prä-
laten stammt, trug Hinkmars Darstellung in die von ihm verarbeitete
Schrift4 fremdartige Züge hinein, indem sie den Einfluſs einzelner
Hofämter und die Stellung der geistlichen Hofleute wahrheitswidrig
erhöhte und wohl auch von Adalhards Ausführungen manches unter-
drückte, was zu Hinkmars hierarchischen Bestrebungen und zu der
Haltung nicht zu passen schien, die er zu den damaligen Verhält-
nissen des westfränkischen Hofes einnahm5.

Für den Hofstaat, d. h. die Gesamtheit der im Hofdienst be-
findlichen und in die domus regia aufgenommenen Personen, finden
sich die Bezeichnungen aulici6, palatini und wohl auch domestici7.

1 In dem bei Waitz, VG III 255, Anm. 1 angeführten lateinischen Gedichte.
In Annales Fuldenses zu 873, MG SS I 385 für den Hoftag. Vita Desiderii Vienn.
§ 9, AA SS Mai V 256: congregata optimatum suorum curia.
2 Geboren 753, gestorben 826. Eine Vita Adalhardi in den Acta SS Juni I,
S. 96—111 und auszugsweise in Mon. Germ. SS II 524 ff. Vgl. über Adalhard,
Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen I5 235 ff. Prou, Hincmar de
ordine Palatii S. 32, Anm. 1. S. 98.
3 Neueste Ausgabe mit Erläuterungen von Prou (1885) in der Bibliothèque
de l’école des hautes études, fasc. 58. Auſserdem in Walters Corpus iur. germ.
III 761 ff. und bei Migne, Patrologia lat. CXXV 993. Ausgewählte Kapitel mit Kom-
mentar bei Gengler, Rechtsdenkmäler S. 692 ff. Die Mon. Germ. werden Hink-
mars Schrift als Anhang zum 2. Bande der Kapitularien bringen.
4 Cap. I—XI und XXXVII sind ausschlieſslich aus Hinkmars Feder.
5 A. Pernice, De comitibus palatii commentatio 1863, S. 47 ff.
6 Siehe die Stellen bei Waitz, VG II 2, Anm. 3, S. 112; III 497, Anm. 3.
7 Wie schon bei den Römern domesticus in allgemeiner Anwendung für den
Hausgenossen gebraucht wird, Mommsen, Observationes epigraphicae Nr. 35, Ephem.
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[96/0114] § 71. Hof und Hofstaat. regis 1. Da die Fäden der Reichsverwaltung in der Hand des Königs zusammenlaufen, ist sein Hof der Brennpunkt der Reichsregierung und konnte es kommen, daſs ursprüngliche Beamte der Hofverwaltung die wichtigsten Organe der Reichsverwaltung wurden. Über die Ordnung der Hofverwaltung haben wir aus merowin- gischer Zeit nur ziemlich spärliche Nachrichten. Dagegen wurde sie unter den Karolingern Gegenstand einer bedeutsamen litterarischen Arbeit. Einer der Räte Karls des Groſsen, ein Verwandter des karo- lingischen Hauses, Adalhard, Abt von Corbie 2, schrieb einen libellus de ordine palatii. Diese Schrift, welche uns leider nicht überliefert ist, hat Erzbischof Hinkmar von Reims einer epistola de ordine pa- latii zu Grunde gelegt, die er 882 verfaſste, um Karlmann, dem Sohne Ludwigs des Stammlers, und seinen Räten ein Bild der Hofverwaltung aus der glänzendsten Zeit des fränkischen Reiches vor Augen zu führen 3. Nicht ohne Tendenz geschrieben wie fast alles, was aus der Feder dieses ehrgeizigen und wenig gewissenhaften Prä- laten stammt, trug Hinkmars Darstellung in die von ihm verarbeitete Schrift 4 fremdartige Züge hinein, indem sie den Einfluſs einzelner Hofämter und die Stellung der geistlichen Hofleute wahrheitswidrig erhöhte und wohl auch von Adalhards Ausführungen manches unter- drückte, was zu Hinkmars hierarchischen Bestrebungen und zu der Haltung nicht zu passen schien, die er zu den damaligen Verhält- nissen des westfränkischen Hofes einnahm 5. Für den Hofstaat, d. h. die Gesamtheit der im Hofdienst be- findlichen und in die domus regia aufgenommenen Personen, finden sich die Bezeichnungen aulici 6, palatini und wohl auch domestici 7. 1 In dem bei Waitz, VG III 255, Anm. 1 angeführten lateinischen Gedichte. In Annales Fuldenses zu 873, MG SS I 385 für den Hoftag. Vita Desiderii Vienn. § 9, AA SS Mai V 256: congregata optimatum suorum curia. 2 Geboren 753, gestorben 826. Eine Vita Adalhardi in den Acta SS Juni I, S. 96—111 und auszugsweise in Mon. Germ. SS II 524 ff. Vgl. über Adalhard, Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen I5 235 ff. Prou, Hincmar de ordine Palatii S. 32, Anm. 1. S. 98. 3 Neueste Ausgabe mit Erläuterungen von Prou (1885) in der Bibliothèque de l’école des hautes études, fasc. 58. Auſserdem in Walters Corpus iur. germ. III 761 ff. und bei Migne, Patrologia lat. CXXV 993. Ausgewählte Kapitel mit Kom- mentar bei Gengler, Rechtsdenkmäler S. 692 ff. Die Mon. Germ. werden Hink- mars Schrift als Anhang zum 2. Bande der Kapitularien bringen. 4 Cap. I—XI und XXXVII sind ausschlieſslich aus Hinkmars Feder. 5 A. Pernice, De comitibus palatii commentatio 1863, S. 47 ff. 6 Siehe die Stellen bei Waitz, VG II 2, Anm. 3, S. 112; III 497, Anm. 3. 7 Wie schon bei den Römern domesticus in allgemeiner Anwendung für den Hausgenossen gebraucht wird, Mommsen, Observationes epigraphicae Nr. 35, Ephem.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/114>, abgerufen am 19.04.2024.