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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 71. Hof und Hofstaat.
sistorium principis 49, ohne dass dabei ein besonderes Amt oder ein
geschlossener Beamtenkörper gemeint wäre. Der König fragte viel-
mehr, wen er wollte oder nicht umgehen zu dürfen glaubte. Doch
gab es schon am merowingischen Hofe berufsmässige Räte des Königs,
welche den Amtstitel consiliarii führten und auf die Dauer bestellt
waren 50. Der Amtstitel entstammt der römischen Ämterverfassung 51
und begegnet uns auch im Reiche der Burgunder 52. Ständige
consiliarii finden sich ebenso unter den Karolingern, unter welchen sie
noch deutlicher hervortreten 53. Sie heissen wohl auch consules, sena-
tores 54, consiliarii a secretis 55. Der König wählt sie entweder aus seiner
ständigen Umgebung oder zieht sie von auswärts an seinen Hof. Manch-
mal ist das Amt des consiliarius mit irgend einem der bedeutenderen
Hofämter verbunden 56. Seit Ludwig I. kommt es vor, dass einer der
kaiserlichen Räte am Hofe überragenden Einfluss gewinnt. In solcher
Stellung heisst er wohl summus consiliarius, maximus consiliator 57.
Als erster Berater Karls II. nennt sich Herzog Boso i. J. 876 sacri
palatii archiminister.

Zur feineren Erziehung und höheren Ausbildung pflegten junge
Männer, namentlich Söhne der Grossen, an den Hof gebracht zu wer-
den 58. Nicht selten wurden sie vom Vater dem Könige förmlich com-
mendiert und dadurch in ein dauerndes Schutz- und Dienstverhältnis
gestellt. Zur Zeit Karls des Grossen entstand eine besondere Hof-
schule für den Unterricht der pueri palatini. Da der König aus den
Kreisen der am Hof erzogenen Jugend mit Vorliebe die geistlichen
und weltlichen Ämter besetzte, wurde der Hof die Pflanzschule für
den kirchlichen und politischen Beruf. In der guten karolingischen
Zeit war er dauernder Brennpunkt der Reformideen, durch welche
das Königtum die Einheit und Grösse des Reiches zu fördern und zu
festigen suchte.


49 In der Vita Wandregiseli c. 9, AA SS Juli V 266.
50 Vita Arnulfi c. 7, SS rer. Mer. II 434: domesticum atque consiliarium regis.
Vita Agili c. 1, AA SS Aug. VI 575: regis conviva et consiliarius. Vita Geremari
c. 6, AA SS Sept. VI 699: (Dagobertus) praefecit eum consiliis suis.
51 Mommsen, NA XIV 477 f.
52 Lex Burg. prima constit. § 4; 107, 13.
53 Cap. Ital. c. 2, I 208: qui vero (consiliarii) de propriis potius quam de
communis considerare solent, reiciantur de loco consiliariorum.
54 Waitz, VG III 531.
55 Annales Bertiniani z. J. 868 recens. Waitz 1883, S. 97.
56 Siehe Anm. 50. 55.
57 Waitz, VG III 536.
58 Waitz, VG II 2, S. 108; III 544.

§ 71. Hof und Hofstaat.
sistorium principis 49, ohne daſs dabei ein besonderes Amt oder ein
geschlossener Beamtenkörper gemeint wäre. Der König fragte viel-
mehr, wen er wollte oder nicht umgehen zu dürfen glaubte. Doch
gab es schon am merowingischen Hofe berufsmäſsige Räte des Königs,
welche den Amtstitel consiliarii führten und auf die Dauer bestellt
waren 50. Der Amtstitel entstammt der römischen Ämterverfassung 51
und begegnet uns auch im Reiche der Burgunder 52. Ständige
consiliarii finden sich ebenso unter den Karolingern, unter welchen sie
noch deutlicher hervortreten 53. Sie heiſsen wohl auch consules, sena-
tores 54, consiliarii a secretis 55. Der König wählt sie entweder aus seiner
ständigen Umgebung oder zieht sie von auswärts an seinen Hof. Manch-
mal ist das Amt des consiliarius mit irgend einem der bedeutenderen
Hofämter verbunden 56. Seit Ludwig I. kommt es vor, daſs einer der
kaiserlichen Räte am Hofe überragenden Einfluſs gewinnt. In solcher
Stellung heiſst er wohl summus consiliarius, maximus consiliator 57.
Als erster Berater Karls II. nennt sich Herzog Boso i. J. 876 sacri
palatii archiminister.

Zur feineren Erziehung und höheren Ausbildung pflegten junge
Männer, namentlich Söhne der Groſsen, an den Hof gebracht zu wer-
den 58. Nicht selten wurden sie vom Vater dem Könige förmlich com-
mendiert und dadurch in ein dauerndes Schutz- und Dienstverhältnis
gestellt. Zur Zeit Karls des Groſsen entstand eine besondere Hof-
schule für den Unterricht der pueri palatini. Da der König aus den
Kreisen der am Hof erzogenen Jugend mit Vorliebe die geistlichen
und weltlichen Ämter besetzte, wurde der Hof die Pflanzschule für
den kirchlichen und politischen Beruf. In der guten karolingischen
Zeit war er dauernder Brennpunkt der Reformideen, durch welche
das Königtum die Einheit und Gröſse des Reiches zu fördern und zu
festigen suchte.


49 In der Vita Wandregiseli c. 9, AA SS Juli V 266.
50 Vita Arnulfi c. 7, SS rer. Mer. II 434: domesticum atque consiliarium regis.
Vita Agili c. 1, AA SS Aug. VI 575: regis conviva et consiliarius. Vita Geremari
c. 6, AA SS Sept. VI 699: (Dagobertus) praefecit eum consiliis suis.
51 Mommsen, NA XIV 477 f.
52 Lex Burg. prima constit. § 4; 107, 13.
53 Cap. Ital. c. 2, I 208: qui vero (consiliarii) de propriis potius quam de
communis considerare solent, reiciantur de loco consiliariorum.
54 Waitz, VG III 531.
55 Annales Bertiniani z. J. 868 recens. Waitz 1883, S. 97.
56 Siehe Anm. 50. 55.
57 Waitz, VG III 536.
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[103/0121] § 71. Hof und Hofstaat. sistorium principis 49, ohne daſs dabei ein besonderes Amt oder ein geschlossener Beamtenkörper gemeint wäre. Der König fragte viel- mehr, wen er wollte oder nicht umgehen zu dürfen glaubte. Doch gab es schon am merowingischen Hofe berufsmäſsige Räte des Königs, welche den Amtstitel consiliarii führten und auf die Dauer bestellt waren 50. Der Amtstitel entstammt der römischen Ämterverfassung 51 und begegnet uns auch im Reiche der Burgunder 52. Ständige consiliarii finden sich ebenso unter den Karolingern, unter welchen sie noch deutlicher hervortreten 53. Sie heiſsen wohl auch consules, sena- tores 54, consiliarii a secretis 55. Der König wählt sie entweder aus seiner ständigen Umgebung oder zieht sie von auswärts an seinen Hof. Manch- mal ist das Amt des consiliarius mit irgend einem der bedeutenderen Hofämter verbunden 56. Seit Ludwig I. kommt es vor, daſs einer der kaiserlichen Räte am Hofe überragenden Einfluſs gewinnt. In solcher Stellung heiſst er wohl summus consiliarius, maximus consiliator 57. Als erster Berater Karls II. nennt sich Herzog Boso i. J. 876 sacri palatii archiminister. Zur feineren Erziehung und höheren Ausbildung pflegten junge Männer, namentlich Söhne der Groſsen, an den Hof gebracht zu wer- den 58. Nicht selten wurden sie vom Vater dem Könige förmlich com- mendiert und dadurch in ein dauerndes Schutz- und Dienstverhältnis gestellt. Zur Zeit Karls des Groſsen entstand eine besondere Hof- schule für den Unterricht der pueri palatini. Da der König aus den Kreisen der am Hof erzogenen Jugend mit Vorliebe die geistlichen und weltlichen Ämter besetzte, wurde der Hof die Pflanzschule für den kirchlichen und politischen Beruf. In der guten karolingischen Zeit war er dauernder Brennpunkt der Reformideen, durch welche das Königtum die Einheit und Gröſse des Reiches zu fördern und zu festigen suchte. 49 In der Vita Wandregiseli c. 9, AA SS Juli V 266. 50 Vita Arnulfi c. 7, SS rer. Mer. II 434: domesticum atque consiliarium regis. Vita Agili c. 1, AA SS Aug. VI 575: regis conviva et consiliarius. Vita Geremari c. 6, AA SS Sept. VI 699: (Dagobertus) praefecit eum consiliis suis. 51 Mommsen, NA XIV 477 f. 52 Lex Burg. prima constit. § 4; 107, 13. 53 Cap. Ital. c. 2, I 208: qui vero (consiliarii) de propriis potius quam de communis considerare solent, reiciantur de loco consiliariorum. 54 Waitz, VG III 531. 55 Annales Bertiniani z. J. 868 recens. Waitz 1883, S. 97. 56 Siehe Anm. 50. 55. 57 Waitz, VG III 536. 58 Waitz, VG II 2, S. 108; III 544.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/121>, abgerufen am 25.04.2024.