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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 72. Der Hausmeier.
die Ernennung des Hausmeiers und haben ihn wohl geradezu ge-
wählt 21. Gegen Ende der merowingischen Zeit treten an die Stelle
der früher unter den Teilkönigen ausgefochtenen Thronstreitigkeiten
die Kämpfe um die Hausmeierwürde. Nach dem Siege von Tertri,
durch den Pippin, der Herzog von Austrasien, im Jahre 687 den
neustrischen Hausmeier Berchar überwand, behandelten die Arnul-
finger das Hausmeieramt als Erbgut ihres Geschlechtes. So ernannte
Pippin nach dem Tode seines Sohnes, des Hausmeiers Grimoald (714),
einen unmündigen und unehelichen Sohn desselben zum Nachfolger
in Neustrien. Karl Martell teilte 741 mit Zustimmung der Grossen
die Hausmeierwürde über das Reich und damit die Reichsverwaltung
unter seine beiden ehelichen Söhne, indem Karlmann, der ältere,
Austrasien, Schwaben und Thüringen, Pippin, der jüngere, Neustrien,
Burgund und die Provence erhielt 22.

Die weltgeschichtliche Bedeutung, die das Hausmeiertum erlangte,
erwuchs aus seiner Verbindung mit dem austrasischen Dukat der
Arnulfinger. Wie die Geschichte der burgundischen und der neustri-
schen Hausmeier zeigt, wären die Hausmeier mit den Machtmitteln
ihres Amtes kaum imstande gewesen, sich die fränkischen Grossen
völlig zu unterwerfen, während hinwiederum das austrasische Herzog-
tum als eine bloss territoriale Gewalt seinen Inhabern keinen Rechts-
titel gewährt hätte, sich über die anderen territorialen Gewalten des
Reiches emporzuheben. Erst als die Arnulfinger mit dem Dukat das
Hausmeiertum vereinigten, hatten sie einerseits die Macht, andererseits
das Recht, die Reichseinheit und die Staatsgewalt wiederherzustellen.

Das Hausmeiertum ist in seiner letzten Zeit nicht mehr ein Amt,
sondern die Form der Reichsregierung. Es heisst von den Haus-
meiern, dass sie den Hof und das Reich regieren. Als principes
Francorum, als subreguli werden sie bezeichnet 23. Vom achten Jahr-
hundert ab führen sie an Stelle des Königs den Vorsitz im Hof-
gerichte 24. Sie schenken und verleihen Fiskalgut, stellen Schutz-
und Immunitätsbriefe aus und üben das Recht der Ämterbesetzung 25.

21 Nach dem Tode Warnachars wurde auf Wunsch der burgundischen Grossen
kein Hausmeier bestellt. Fredegar IV, c. 54. Erst während der Minderjährigkeit
des Königs Chlodovaeus II. kam es zur Wahl Flachoads. Fredegar IV, c. 89.
22 Fredegarii Cont. 7 (104). 23 (110). Liber hist. Franc. 50. Siehe oben
S. 27.
23 Digot III 284.
24 Pertz, Dipl. M. Nr. 78 v. J. 710. Mühlbacher, Nr. 35. 49. 55.
25 Das folgt u. a. aus der Nachricht des sogen. Fredegar IV, c. 89, dass
Flachoad den Grossen schriftlich und eidlich versprochen habe, sie in ihren Ämtern
und Würden zu belassen.

§ 72. Der Hausmeier.
die Ernennung des Hausmeiers und haben ihn wohl geradezu ge-
wählt 21. Gegen Ende der merowingischen Zeit treten an die Stelle
der früher unter den Teilkönigen ausgefochtenen Thronstreitigkeiten
die Kämpfe um die Hausmeierwürde. Nach dem Siege von Tertri,
durch den Pippin, der Herzog von Austrasien, im Jahre 687 den
neustrischen Hausmeier Berchar überwand, behandelten die Arnul-
finger das Hausmeieramt als Erbgut ihres Geschlechtes. So ernannte
Pippin nach dem Tode seines Sohnes, des Hausmeiers Grimoald (714),
einen unmündigen und unehelichen Sohn desselben zum Nachfolger
in Neustrien. Karl Martell teilte 741 mit Zustimmung der Groſsen
die Hausmeierwürde über das Reich und damit die Reichsverwaltung
unter seine beiden ehelichen Söhne, indem Karlmann, der ältere,
Austrasien, Schwaben und Thüringen, Pippin, der jüngere, Neustrien,
Burgund und die Provence erhielt 22.

Die weltgeschichtliche Bedeutung, die das Hausmeiertum erlangte,
erwuchs aus seiner Verbindung mit dem austrasischen Dukat der
Arnulfinger. Wie die Geschichte der burgundischen und der neustri-
schen Hausmeier zeigt, wären die Hausmeier mit den Machtmitteln
ihres Amtes kaum imstande gewesen, sich die fränkischen Groſsen
völlig zu unterwerfen, während hinwiederum das austrasische Herzog-
tum als eine bloſs territoriale Gewalt seinen Inhabern keinen Rechts-
titel gewährt hätte, sich über die anderen territorialen Gewalten des
Reiches emporzuheben. Erst als die Arnulfinger mit dem Dukat das
Hausmeiertum vereinigten, hatten sie einerseits die Macht, andererseits
das Recht, die Reichseinheit und die Staatsgewalt wiederherzustellen.

Das Hausmeiertum ist in seiner letzten Zeit nicht mehr ein Amt,
sondern die Form der Reichsregierung. Es heiſst von den Haus-
meiern, daſs sie den Hof und das Reich regieren. Als principes
Francorum, als subreguli werden sie bezeichnet 23. Vom achten Jahr-
hundert ab führen sie an Stelle des Königs den Vorsitz im Hof-
gerichte 24. Sie schenken und verleihen Fiskalgut, stellen Schutz-
und Immunitätsbriefe aus und üben das Recht der Ämterbesetzung 25.

21 Nach dem Tode Warnachars wurde auf Wunsch der burgundischen Groſsen
kein Hausmeier bestellt. Fredegar IV, c. 54. Erst während der Minderjährigkeit
des Königs Chlodovaeus II. kam es zur Wahl Flachoads. Fredegar IV, c. 89.
22 Fredegarii Cont. 7 (104). 23 (110). Liber hist. Franc. 50. Siehe oben
S. 27.
23 Digot III 284.
24 Pertz, Dipl. M. Nr. 78 v. J. 710. Mühlbacher, Nr. 35. 49. 55.
25 Das folgt u. a. aus der Nachricht des sogen. Fredegar IV, c. 89, daſs
Flachoad den Groſsen schriftlich und eidlich versprochen habe, sie in ihren Ämtern
und Würden zu belassen.
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[107/0125] § 72. Der Hausmeier. die Ernennung des Hausmeiers und haben ihn wohl geradezu ge- wählt 21. Gegen Ende der merowingischen Zeit treten an die Stelle der früher unter den Teilkönigen ausgefochtenen Thronstreitigkeiten die Kämpfe um die Hausmeierwürde. Nach dem Siege von Tertri, durch den Pippin, der Herzog von Austrasien, im Jahre 687 den neustrischen Hausmeier Berchar überwand, behandelten die Arnul- finger das Hausmeieramt als Erbgut ihres Geschlechtes. So ernannte Pippin nach dem Tode seines Sohnes, des Hausmeiers Grimoald (714), einen unmündigen und unehelichen Sohn desselben zum Nachfolger in Neustrien. Karl Martell teilte 741 mit Zustimmung der Groſsen die Hausmeierwürde über das Reich und damit die Reichsverwaltung unter seine beiden ehelichen Söhne, indem Karlmann, der ältere, Austrasien, Schwaben und Thüringen, Pippin, der jüngere, Neustrien, Burgund und die Provence erhielt 22. Die weltgeschichtliche Bedeutung, die das Hausmeiertum erlangte, erwuchs aus seiner Verbindung mit dem austrasischen Dukat der Arnulfinger. Wie die Geschichte der burgundischen und der neustri- schen Hausmeier zeigt, wären die Hausmeier mit den Machtmitteln ihres Amtes kaum imstande gewesen, sich die fränkischen Groſsen völlig zu unterwerfen, während hinwiederum das austrasische Herzog- tum als eine bloſs territoriale Gewalt seinen Inhabern keinen Rechts- titel gewährt hätte, sich über die anderen territorialen Gewalten des Reiches emporzuheben. Erst als die Arnulfinger mit dem Dukat das Hausmeiertum vereinigten, hatten sie einerseits die Macht, andererseits das Recht, die Reichseinheit und die Staatsgewalt wiederherzustellen. Das Hausmeiertum ist in seiner letzten Zeit nicht mehr ein Amt, sondern die Form der Reichsregierung. Es heiſst von den Haus- meiern, daſs sie den Hof und das Reich regieren. Als principes Francorum, als subreguli werden sie bezeichnet 23. Vom achten Jahr- hundert ab führen sie an Stelle des Königs den Vorsitz im Hof- gerichte 24. Sie schenken und verleihen Fiskalgut, stellen Schutz- und Immunitätsbriefe aus und üben das Recht der Ämterbesetzung 25. 21 Nach dem Tode Warnachars wurde auf Wunsch der burgundischen Groſsen kein Hausmeier bestellt. Fredegar IV, c. 54. Erst während der Minderjährigkeit des Königs Chlodovaeus II. kam es zur Wahl Flachoads. Fredegar IV, c. 89. 22 Fredegarii Cont. 7 (104). 23 (110). Liber hist. Franc. 50. Siehe oben S. 27. 23 Digot III 284. 24 Pertz, Dipl. M. Nr. 78 v. J. 710. Mühlbacher, Nr. 35. 49. 55. 25 Das folgt u. a. aus der Nachricht des sogen. Fredegar IV, c. 89, daſs Flachoad den Groſsen schriftlich und eidlich versprochen habe, sie in ihren Ämtern und Würden zu belassen.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/125>, abgerufen am 28.03.2024.