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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 73. Die Pfalzgrafen.
Beisitzer im Königsgericht. Seine Anwesenheit ist erforderlich, weil
er Zeugnis abzustatten hat über die am Königshofe vorgenommenen
gerichtlichen Handlungen. Er bezeugt die Ableistung eines Parteieides 2,
die Durchführung eines Zeugenbeweises 3, das konstatierte Ausbleiben
(die Solsadierung) einer Prozesspartei 4, das Ergebnis einer Gerichts-
verhandlung 5. Sache des Pfalzgrafen ist es insbesondere, durch sein
Zeugnis die Ausstellung der königlichen Placita zu vermitteln 6. Diese
lag in merowingischer Zeit nicht dem Pfalzgrafen ob, sondern dem
königlichen Kanzleibeamten, dem Referendar. Er fertigte die Placita
aus auf Grund eines mündlichen, vom Pfalzgrafen erstatteten Referats.
Da der Pfalzgraf und nicht der Kanzleibeamte für die Richtigkeit der
in der Urkunde berichteten Thatsachen verantwortlich war, so wird in
den Placita auf sein Zeugnis ausdrücklich Bezug genommen durch die
typische Klausel: in quantum comes palatii nostri testimoniavit 7. An
das bezeugte Ergebnis des prozessualischen Vorgangs schliesst sich
dann mit dem Worte iubemus oder decrevimus das Rechtsgebot des
Königs an 8.


2 Pertz, Dipl. M. Nr. 49: Amalgarius . . ipso sacramento . . in quantum in-
luster vir Dructoaldus comes palati nostri testimuniavit, ligibus visus fuit adimplis-
set . . Propteria iobimus . .
3 Pertz, Dipl. M. Nr. 78.
4 Pertz, Dipl. M. Nr. 60. Marculf I 37.
5 Ein pfalzgräfliches Zeugnis über eine frühere Gerichtsverhandlung scheint
vorzuliegen in Pertz, Dipl. M. Nr. 35: sed in quantum i. v. Chadoloaldus comis
palati nostri nobis re[tulit ve]l teste[moniavit quod] . .
6 Siehe oben I 394.
7 In der Urkunde Sigiberts II. v. J. 648, NA XIII 157, Hübner Nr. 23 fehlt
sie. Die Urkunde ist wahrscheinlich verstümmelt und der Passus, der das testi-
monium comitis palatii enthielt, ausgefallen, wie die Vergleichung mit Marculf I 37
ergiebt. Statt supa una nostis ist natürlich supra (40) noctes zu lesen.
8 Dieses testimonium comitis palatii bildet nicht etwa einen Bestandteil des
Verfahrens im Königsgerichte; es wird vielmehr nach Abschluss der Gerichtsver-
handlung ausserhalb des Königsgerichtes abgegeben. Pertz, Dipl. M. Nr. 41: pro-
inde nos taliter una cum nostris proceribus, in quantum inluster vir A. comes pa-
latii nostri testimoniavit, constitit decrevisse. Pertz, Dipl. M. Nr. 70: sic ei a
superscriptis viris, domnis episcopis vel optematibus nostris, in quantum ipse i. v.
H. comis palacii noster testimuniavit, nuscitur iudecasse vel definisse. Das Zeugnis
bezieht sich auf das bereits zustande gekommene Urteil und setzt dieses als in sich
vollendet voraus. In Marculf I 37 bezeugt der Pfalzgraf die erfolgte solsadia.
Daran schliesst sich nicht ein Erkenntnis, sondern des Königs Befehl an den
ordentlichen Richter, zu thun, was die lex loci gebietet. In Marculf I 38 ver-
mittelt das testimonium des Pfalzgrafen nur die Ausstellung der notitiae pariclae.
Zu einem königlichen Rechtsgebot ist hier kein Anlass. Nach dem Wortlaut der
Urkunden wird nicht die gerichtliche Entscheidung, sondern nur das schriftliche

§ 73. Die Pfalzgrafen.
Beisitzer im Königsgericht. Seine Anwesenheit ist erforderlich, weil
er Zeugnis abzustatten hat über die am Königshofe vorgenommenen
gerichtlichen Handlungen. Er bezeugt die Ableistung eines Parteieides 2,
die Durchführung eines Zeugenbeweises 3, das konstatierte Ausbleiben
(die Solsadierung) einer Prozeſspartei 4, das Ergebnis einer Gerichts-
verhandlung 5. Sache des Pfalzgrafen ist es insbesondere, durch sein
Zeugnis die Ausstellung der königlichen Placita zu vermitteln 6. Diese
lag in merowingischer Zeit nicht dem Pfalzgrafen ob, sondern dem
königlichen Kanzleibeamten, dem Referendar. Er fertigte die Placita
aus auf Grund eines mündlichen, vom Pfalzgrafen erstatteten Referats.
Da der Pfalzgraf und nicht der Kanzleibeamte für die Richtigkeit der
in der Urkunde berichteten Thatsachen verantwortlich war, so wird in
den Placita auf sein Zeugnis ausdrücklich Bezug genommen durch die
typische Klausel: in quantum comes palatii nostri testimoniavit 7. An
das bezeugte Ergebnis des prozessualischen Vorgangs schlieſst sich
dann mit dem Worte iubemus oder decrevimus das Rechtsgebot des
Königs an 8.


2 Pertz, Dipl. M. Nr. 49: Amalgarius . . ipso sacramento . . in quantum in-
luster vir Dructoaldus comes palati nostri testimuniavit, ligibus visus fuit adimplis-
set . . Propteria iobimus . .
3 Pertz, Dipl. M. Nr. 78.
4 Pertz, Dipl. M. Nr. 60. Marculf I 37.
5 Ein pfalzgräfliches Zeugnis über eine frühere Gerichtsverhandlung scheint
vorzuliegen in Pertz, Dipl. M. Nr. 35: sed in quantum i. v. Chadoloaldus comis
palati nostri nobis re[tulit ve]l teste[moniavit quod] . .
6 Siehe oben I 394.
7 In der Urkunde Sigiberts II. v. J. 648, NA XIII 157, Hübner Nr. 23 fehlt
sie. Die Urkunde ist wahrscheinlich verstümmelt und der Passus, der das testi-
monium comitis palatii enthielt, ausgefallen, wie die Vergleichung mit Marculf I 37
ergiebt. Statt supa una nostis ist natürlich supra (40) noctes zu lesen.
8 Dieses testimonium comitis palatii bildet nicht etwa einen Bestandteil des
Verfahrens im Königsgerichte; es wird vielmehr nach Abschluſs der Gerichtsver-
handlung auſserhalb des Königsgerichtes abgegeben. Pertz, Dipl. M. Nr. 41: pro-
inde nos taliter una cum nostris proceribus, in quantum inluster vir A. comes pa-
latii nostri testimoniavit, constitit decrevisse. Pertz, Dipl. M. Nr. 70: sic ei a
superscriptis viris, domnis episcopis vel optematibus nostris, in quantum ipse i. v.
H. comis palacii noster testimuniavit, nuscitur iudecasse vel definisse. Das Zeugnis
bezieht sich auf das bereits zustande gekommene Urteil und setzt dieses als in sich
vollendet voraus. In Marculf I 37 bezeugt der Pfalzgraf die erfolgte solsadia.
Daran schlieſst sich nicht ein Erkenntnis, sondern des Königs Befehl an den
ordentlichen Richter, zu thun, was die lex loci gebietet. In Marculf I 38 ver-
mittelt das testimonium des Pfalzgrafen nur die Ausstellung der notitiae pariclae.
Zu einem königlichen Rechtsgebot ist hier kein Anlaſs. Nach dem Wortlaut der
Urkunden wird nicht die gerichtliche Entscheidung, sondern nur das schriftliche
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[109/0127] § 73. Die Pfalzgrafen. Beisitzer im Königsgericht. Seine Anwesenheit ist erforderlich, weil er Zeugnis abzustatten hat über die am Königshofe vorgenommenen gerichtlichen Handlungen. Er bezeugt die Ableistung eines Parteieides 2, die Durchführung eines Zeugenbeweises 3, das konstatierte Ausbleiben (die Solsadierung) einer Prozeſspartei 4, das Ergebnis einer Gerichts- verhandlung 5. Sache des Pfalzgrafen ist es insbesondere, durch sein Zeugnis die Ausstellung der königlichen Placita zu vermitteln 6. Diese lag in merowingischer Zeit nicht dem Pfalzgrafen ob, sondern dem königlichen Kanzleibeamten, dem Referendar. Er fertigte die Placita aus auf Grund eines mündlichen, vom Pfalzgrafen erstatteten Referats. Da der Pfalzgraf und nicht der Kanzleibeamte für die Richtigkeit der in der Urkunde berichteten Thatsachen verantwortlich war, so wird in den Placita auf sein Zeugnis ausdrücklich Bezug genommen durch die typische Klausel: in quantum comes palatii nostri testimoniavit 7. An das bezeugte Ergebnis des prozessualischen Vorgangs schlieſst sich dann mit dem Worte iubemus oder decrevimus das Rechtsgebot des Königs an 8. 2 Pertz, Dipl. M. Nr. 49: Amalgarius . . ipso sacramento . . in quantum in- luster vir Dructoaldus comes palati nostri testimuniavit, ligibus visus fuit adimplis- set . . Propteria iobimus . . 3 Pertz, Dipl. M. Nr. 78. 4 Pertz, Dipl. M. Nr. 60. Marculf I 37. 5 Ein pfalzgräfliches Zeugnis über eine frühere Gerichtsverhandlung scheint vorzuliegen in Pertz, Dipl. M. Nr. 35: sed in quantum i. v. Chadoloaldus comis palati nostri nobis re[tulit ve]l teste[moniavit quod] . . 6 Siehe oben I 394. 7 In der Urkunde Sigiberts II. v. J. 648, NA XIII 157, Hübner Nr. 23 fehlt sie. Die Urkunde ist wahrscheinlich verstümmelt und der Passus, der das testi- monium comitis palatii enthielt, ausgefallen, wie die Vergleichung mit Marculf I 37 ergiebt. Statt supa una nostis ist natürlich supra (40) noctes zu lesen. 8 Dieses testimonium comitis palatii bildet nicht etwa einen Bestandteil des Verfahrens im Königsgerichte; es wird vielmehr nach Abschluſs der Gerichtsver- handlung auſserhalb des Königsgerichtes abgegeben. Pertz, Dipl. M. Nr. 41: pro- inde nos taliter una cum nostris proceribus, in quantum inluster vir A. comes pa- latii nostri testimoniavit, constitit decrevisse. Pertz, Dipl. M. Nr. 70: sic ei a superscriptis viris, domnis episcopis vel optematibus nostris, in quantum ipse i. v. H. comis palacii noster testimuniavit, nuscitur iudecasse vel definisse. Das Zeugnis bezieht sich auf das bereits zustande gekommene Urteil und setzt dieses als in sich vollendet voraus. In Marculf I 37 bezeugt der Pfalzgraf die erfolgte solsadia. Daran schlieſst sich nicht ein Erkenntnis, sondern des Königs Befehl an den ordentlichen Richter, zu thun, was die lex loci gebietet. In Marculf I 38 ver- mittelt das testimonium des Pfalzgrafen nur die Ausstellung der notitiae pariclae. Zu einem königlichen Rechtsgebot ist hier kein Anlaſs. Nach dem Wortlaut der Urkunden wird nicht die gerichtliche Entscheidung, sondern nur das schriftliche

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/127>, abgerufen am 25.04.2024.