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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 87. Wehrpflicht und Heerwesen.

Die Wehrpflicht war im fränkischen Reiche nicht auf die freien
Grundeigentümer beschränkt. Schon in merowingischer Zeit erstreckte
sie sich nachweislich auch auf freie Hintersassen und Freigelassene2.
Dabei war natürlich nicht ausgeschlossen, dass das Aufgebot im ein-
zelnen Falle nur den Hofbesitzer und nicht auch seine wehrhaften
Haussöhne ins Feld rief3. Für die karolingische Zeit steht es ausser
Zweifel, dass grundbesitzlose Personen, die ein gewisses Vermögen
besassen, dem Heerdienste genügen mussten. Auch schloss der Unter-
thaneneid nach der Auslegung, die ihm Karl der Grosse gab, das Ver-
sprechen in sich, dem Heerbann jederzeit Folge zu leisten4.

Die Grundsätze, nach welchen im Falle des einzelnen Aufgebotes
die Wehrpflichtigen heranzuziehen seien, bestimmte der König. Natür-
lich wurde nicht jedesmal die Gesamtheit der freien und wehrhaften
Unterthanen aufgeboten, sondern der Umfang des Aufgebotes richtete
sich nach der Stärke des Gegners, den es zu überwinden galt, nach
der Lage des voraussichtlichen Kriegsschauplatzes und nach der
Leistungsfähigkeit der Unterthanen. Wegen der Kämpfe in Gallien
wurden unter Chlodovechs Nachfolgern austrasische Völker nur selten
aufgeboten. Zog man solche in dringenden Notfällen heran, so heben
es die Quellen als ausserordentliche Massregel hervor. Aus den Nach-
richten über die Feldzüge Karls des Grossen ergiebt sich, dass die
Aufgebote sehr oft nur einzelne Volksstämme aufriefen und bei-
spielsweise die Langobarden in der Regel diesseits der Alpen nicht ver-
wendet wurden5. Von den Sachsen verlangt ein karolingisches Ka-
pitular6 für Kriege in Spanien und Avarien nur den sechsten, bei
Kriegen in Böhmen nur den dritten Mann, während bei Einfällen der
Sorben alle ausrücken sollen.


Dienstgefolge heerpflichtig war, ist seit den Untersuchungen Löbells, Gregor
von Tours, und Roths, Benefizialwesen S. 169 ff., ein überwundener Standpunkt.
2 Greg. Tur. Hist. Franc. V 26. Lex Rib. 65, 2. Vgl. Lex Baiuw. II 7. Dafür spricht
auch die allgemeine Erwägung, dass die Heranziehung der Romanen zum Heer-
dienst nur dann praktischen Erfolg haben konnte, wenn sie nicht auf die ver-
hältnismässig geringe Zahl der possessores beschränkt blieb. Gegen den dinglichen
Charakter der Wehrpflicht, wie ihn Waitz, VG II 2, S. 210 ff., vertritt, siehe
Schröder, RG S. 151, Anm. 15.
3 So erklärt es sich, dass nach form. Andeg. 37 ein Sohn seinen Vater im
Felde vertreten konnte. Der Vater scheint übrigens auf Erbpachtgut gesessen zu
haben. Wenigstens hat der mansellus, den er dem Sohne überträgt, diesen
Charakter. Vgl. Schröder, RG S. 150.
4 Siehe oben S. 63.
5 Boretius, Beiträge S. 135.
6 Cap. de causis diversis v. J. 807 (?), c. 2, I 136.
§ 87. Wehrpflicht und Heerwesen.

Die Wehrpflicht war im fränkischen Reiche nicht auf die freien
Grundeigentümer beschränkt. Schon in merowingischer Zeit erstreckte
sie sich nachweislich auch auf freie Hintersassen und Freigelassene2.
Dabei war natürlich nicht ausgeschlossen, daſs das Aufgebot im ein-
zelnen Falle nur den Hofbesitzer und nicht auch seine wehrhaften
Haussöhne ins Feld rief3. Für die karolingische Zeit steht es auſser
Zweifel, daſs grundbesitzlose Personen, die ein gewisses Vermögen
besaſsen, dem Heerdienste genügen muſsten. Auch schloſs der Unter-
thaneneid nach der Auslegung, die ihm Karl der Groſse gab, das Ver-
sprechen in sich, dem Heerbann jederzeit Folge zu leisten4.

Die Grundsätze, nach welchen im Falle des einzelnen Aufgebotes
die Wehrpflichtigen heranzuziehen seien, bestimmte der König. Natür-
lich wurde nicht jedesmal die Gesamtheit der freien und wehrhaften
Unterthanen aufgeboten, sondern der Umfang des Aufgebotes richtete
sich nach der Stärke des Gegners, den es zu überwinden galt, nach
der Lage des voraussichtlichen Kriegsschauplatzes und nach der
Leistungsfähigkeit der Unterthanen. Wegen der Kämpfe in Gallien
wurden unter Chlodovechs Nachfolgern austrasische Völker nur selten
aufgeboten. Zog man solche in dringenden Notfällen heran, so heben
es die Quellen als auſserordentliche Maſsregel hervor. Aus den Nach-
richten über die Feldzüge Karls des Groſsen ergiebt sich, daſs die
Aufgebote sehr oft nur einzelne Volksstämme aufriefen und bei-
spielsweise die Langobarden in der Regel diesseits der Alpen nicht ver-
wendet wurden5. Von den Sachsen verlangt ein karolingisches Ka-
pitular6 für Kriege in Spanien und Avarien nur den sechsten, bei
Kriegen in Böhmen nur den dritten Mann, während bei Einfällen der
Sorben alle ausrücken sollen.


Dienstgefolge heerpflichtig war, ist seit den Untersuchungen Löbells, Gregor
von Tours, und Roths, Benefizialwesen S. 169 ff., ein überwundener Standpunkt.
2 Greg. Tur. Hist. Franc. V 26. Lex Rib. 65, 2. Vgl. Lex Baiuw. II 7. Dafür spricht
auch die allgemeine Erwägung, daſs die Heranziehung der Romanen zum Heer-
dienst nur dann praktischen Erfolg haben konnte, wenn sie nicht auf die ver-
hältnismäſsig geringe Zahl der possessores beschränkt blieb. Gegen den dinglichen
Charakter der Wehrpflicht, wie ihn Waitz, VG II 2, S. 210 ff., vertritt, siehe
Schröder, RG S. 151, Anm. 15.
3 So erklärt es sich, daſs nach form. Andeg. 37 ein Sohn seinen Vater im
Felde vertreten konnte. Der Vater scheint übrigens auf Erbpachtgut gesessen zu
haben. Wenigstens hat der mansellus, den er dem Sohne überträgt, diesen
Charakter. Vgl. Schröder, RG S. 150.
4 Siehe oben S. 63.
5 Boretius, Beiträge S. 135.
6 Cap. de causis diversis v. J. 807 (?), c. 2, I 136.
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[203/0221] § 87. Wehrpflicht und Heerwesen. Die Wehrpflicht war im fränkischen Reiche nicht auf die freien Grundeigentümer beschränkt. Schon in merowingischer Zeit erstreckte sie sich nachweislich auch auf freie Hintersassen und Freigelassene 2. Dabei war natürlich nicht ausgeschlossen, daſs das Aufgebot im ein- zelnen Falle nur den Hofbesitzer und nicht auch seine wehrhaften Haussöhne ins Feld rief 3. Für die karolingische Zeit steht es auſser Zweifel, daſs grundbesitzlose Personen, die ein gewisses Vermögen besaſsen, dem Heerdienste genügen muſsten. Auch schloſs der Unter- thaneneid nach der Auslegung, die ihm Karl der Groſse gab, das Ver- sprechen in sich, dem Heerbann jederzeit Folge zu leisten 4. Die Grundsätze, nach welchen im Falle des einzelnen Aufgebotes die Wehrpflichtigen heranzuziehen seien, bestimmte der König. Natür- lich wurde nicht jedesmal die Gesamtheit der freien und wehrhaften Unterthanen aufgeboten, sondern der Umfang des Aufgebotes richtete sich nach der Stärke des Gegners, den es zu überwinden galt, nach der Lage des voraussichtlichen Kriegsschauplatzes und nach der Leistungsfähigkeit der Unterthanen. Wegen der Kämpfe in Gallien wurden unter Chlodovechs Nachfolgern austrasische Völker nur selten aufgeboten. Zog man solche in dringenden Notfällen heran, so heben es die Quellen als auſserordentliche Maſsregel hervor. Aus den Nach- richten über die Feldzüge Karls des Groſsen ergiebt sich, daſs die Aufgebote sehr oft nur einzelne Volksstämme aufriefen und bei- spielsweise die Langobarden in der Regel diesseits der Alpen nicht ver- wendet wurden 5. Von den Sachsen verlangt ein karolingisches Ka- pitular 6 für Kriege in Spanien und Avarien nur den sechsten, bei Kriegen in Böhmen nur den dritten Mann, während bei Einfällen der Sorben alle ausrücken sollen. 1 2 Greg. Tur. Hist. Franc. V 26. Lex Rib. 65, 2. Vgl. Lex Baiuw. II 7. Dafür spricht auch die allgemeine Erwägung, daſs die Heranziehung der Romanen zum Heer- dienst nur dann praktischen Erfolg haben konnte, wenn sie nicht auf die ver- hältnismäſsig geringe Zahl der possessores beschränkt blieb. Gegen den dinglichen Charakter der Wehrpflicht, wie ihn Waitz, VG II 2, S. 210 ff., vertritt, siehe Schröder, RG S. 151, Anm. 15. 3 So erklärt es sich, daſs nach form. Andeg. 37 ein Sohn seinen Vater im Felde vertreten konnte. Der Vater scheint übrigens auf Erbpachtgut gesessen zu haben. Wenigstens hat der mansellus, den er dem Sohne überträgt, diesen Charakter. Vgl. Schröder, RG S. 150. 4 Siehe oben S. 63. 5 Boretius, Beiträge S. 135. 6 Cap. de causis diversis v. J. 807 (?), c. 2, I 136. 1 Dienstgefolge heerpflichtig war, ist seit den Untersuchungen Löbells, Gregor von Tours, und Roths, Benefizialwesen S. 169 ff., ein überwundener Standpunkt.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/221>, abgerufen am 25.04.2024.