Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 103. Die allgemeinen Grundsätze, insbesondere die Beweisrolle.
plus debet esse servus .. quam ingenuus 28. In einem Rechtsstreit
um eine Mühle, die der Beklagte als Erbschaft seines Vaters ver-
teidigt, liegt ihm ob, zu schwören, quod suus debet esse molinus pro
ereditate patris sui (plus) quam Gualtario 29. Berief sich der Beklagte
auf dreissigjährigen Besitz, so lautete das Thema seines Eides, dass
er das Grundstück mit seinen Vorfahren durch dreissig Jahre besessen
et secundum legem plus est mihi debita habendi quam ipsi homini
reddendi 30.

Zu den Beweismitteln der germanischen Zeit, den Eiden und
Ordalien, tritt in der fränkischen Periode ein neues, die Urkunde,
hinzu. Als privilegierte, dem Königsgerichte und der Anordnung des
Königs vorbehaltene Beweismittel erscheinen das Gerichtszeugnis und
der Inquisitionsbeweis.

Das Beweismittel, wie es auf Grund der Rechtsordnung der Prozess-
partei nachgelassen ist, heisst lex, lag, Recht. Diese Bezeichnung, die
uns nachmals insbesondere in den Quellen des normannischen Rechtes
begegnet 31, ist schon in fränkischer Zeit für einzelne Beweismittel
beglaubigt. Lex 32, lex Dei 33 bedeutet den Zweikampf, lex wohl
auch den Kesselfang 34 und den Eid des Beklagten 35. Jüngere
Quellen nennen den Eid schlechtweg Recht, rechtlos den, der das
Eidesrecht entbehrt, und das Gottesurteil Gottesrecht.


28 Perard S. 34, Nr. 16, H. 226.
29 Bernard, Chartes de Cluny I 34, Nr. 29 v. J. 887, H. 424.
30 Form. Turon. 40. Vgl. noch Carta Senon. 21. In einem Rechtsfall, in
dem der Kläger bestritt, dass die Beklagte rechtes Eheweib des Erblassers ge-
wesen sei, Bernard, Chartes de Cluny I 247, Nr. 256, v. J. 926, H. 496, schwören
die Zeugen: sic legibus eam A. ipsam feminam accepit, quod ipsas res vel alias,
quas ipse (A.) dimiserit, ipsa vel heres suus hereditare debebant (plus) quam alicui
reddere. Im Jahre 876 lässt Ludwig III. (der Jüngere) vor seinem Kampfe mit
Karl II. ein Gottesurteil vornehmen, ut deus .. declararet, si plus per rectum ille
habere deberet portionem de regno .. Annales Bertiniani z. J. 876, ed. Waitz,
S. 132.
31 H. Brunner, Entstehung der Schwurgerichte S. 177. Du Cange (Hen-
schel) IV 88.
32 Liu. 118 sagt vom Zweikampf: propter consuitutinem gentis nostrae Lango-
bardorum legem ipsam vetare non possumus.
33 Liu. 21: purificet se ad legem Dei.
34 Argum. Lex Sal. 56, 1: si nec de conpositione nec hineo nec de ulla
legem fidem facere voluerit, wo lex das Reinigungsmittel zu bezeichnen und den
Kesselfang in sich zu schliessen scheint.
35 Bernard, Chartes de Cluny v. J. 887, I 34, Nr. 29: quod deffendere se de-
buisset A. cum sua requimonia (l. testimonia) et cum sua lege. Et ecce aramivit
ad iurare .. cum sua lege.

§ 103. Die allgemeinen Grundsätze, insbesondere die Beweisrolle.
plus debet esse servus .. quam ingenuus 28. In einem Rechtsstreit
um eine Mühle, die der Beklagte als Erbschaft seines Vaters ver-
teidigt, liegt ihm ob, zu schwören, quod suus debet esse molinus pro
ereditate patris sui (plus) quam Gualtario 29. Berief sich der Beklagte
auf dreiſsigjährigen Besitz, so lautete das Thema seines Eides, daſs
er das Grundstück mit seinen Vorfahren durch dreiſsig Jahre besessen
et secundum legem plus est mihi debita habendi quam ipsi homini
reddendi 30.

Zu den Beweismitteln der germanischen Zeit, den Eiden und
Ordalien, tritt in der fränkischen Periode ein neues, die Urkunde,
hinzu. Als privilegierte, dem Königsgerichte und der Anordnung des
Königs vorbehaltene Beweismittel erscheinen das Gerichtszeugnis und
der Inquisitionsbeweis.

Das Beweismittel, wie es auf Grund der Rechtsordnung der Prozeſs-
partei nachgelassen ist, heiſst lex, lag, Recht. Diese Bezeichnung, die
uns nachmals insbesondere in den Quellen des normannischen Rechtes
begegnet 31, ist schon in fränkischer Zeit für einzelne Beweismittel
beglaubigt. Lex 32, lex Dei 33 bedeutet den Zweikampf, lex wohl
auch den Kesselfang 34 und den Eid des Beklagten 35. Jüngere
Quellen nennen den Eid schlechtweg Recht, rechtlos den, der das
Eidesrecht entbehrt, und das Gottesurteil Gottesrecht.


28 Pérard S. 34, Nr. 16, H. 226.
29 Bernard, Chartes de Cluny I 34, Nr. 29 v. J. 887, H. 424.
30 Form. Turon. 40. Vgl. noch Carta Senon. 21. In einem Rechtsfall, in
dem der Kläger bestritt, daſs die Beklagte rechtes Eheweib des Erblassers ge-
wesen sei, Bernard, Chartes de Cluny I 247, Nr. 256, v. J. 926, H. 496, schwören
die Zeugen: sic legibus eam A. ipsam feminam accepit, quod ipsas res vel alias,
quas ipse (A.) dimiserit, ipsa vel heres suus hereditare debebant (plus) quam alicui
reddere. Im Jahre 876 läſst Ludwig III. (der Jüngere) vor seinem Kampfe mit
Karl II. ein Gottesurteil vornehmen, ut deus .. declararet, si plus per rectum ille
habere deberet portionem de regno .. Annales Bertiniani z. J. 876, ed. Waitz,
S. 132.
31 H. Brunner, Entstehung der Schwurgerichte S. 177. Du Cange (Hen-
schel) IV 88.
32 Liu. 118 sagt vom Zweikampf: propter consuitutinem gentis nostrae Lango-
bardorum legem ipsam vetare non possumus.
33 Liu. 21: purificet se ad legem Dei.
34 Argum. Lex Sal. 56, 1: si nec de conpositione nec hineo nec de ulla
legem fidem facere voluerit, wo lex das Reinigungsmittel zu bezeichnen und den
Kesselfang in sich zu schlieſsen scheint.
35 Bernard, Chartes de Cluny v. J. 887, I 34, Nr. 29: quod deffendere se de-
buisset A. cum sua requimonia (l. testimonia) et cum sua lege. Et ecce aramivit
ad iurare .. cum sua lege.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0394" n="376"/><fw place="top" type="header">§ 103. Die allgemeinen Grundsätze, insbesondere die Beweisrolle.</fw><lb/>
plus debet esse servus .. quam ingenuus <note place="foot" n="28">Pérard S. 34, Nr. 16, H. 226.</note>. In einem Rechtsstreit<lb/>
um eine Mühle, die der Beklagte als Erbschaft seines Vaters ver-<lb/>
teidigt, liegt ihm ob, zu schwören, quod suus debet esse molinus pro<lb/>
ereditate patris sui (plus) quam Gualtario <note place="foot" n="29">Bernard, Chartes de Cluny I 34, Nr. 29 v. J. 887, H. 424.</note>. Berief sich der Beklagte<lb/>
auf drei&#x017F;sigjährigen Besitz, so lautete das Thema seines Eides, da&#x017F;s<lb/>
er das Grundstück mit seinen Vorfahren durch drei&#x017F;sig Jahre besessen<lb/>
et secundum legem plus est mihi debita habendi quam ipsi homini<lb/>
reddendi <note place="foot" n="30">Form. Turon. 40. Vgl. noch Carta Senon. 21. In einem Rechtsfall, in<lb/>
dem der Kläger bestritt, da&#x017F;s die Beklagte rechtes Eheweib des Erblassers ge-<lb/>
wesen sei, Bernard, Chartes de Cluny I 247, Nr. 256, v. J. 926, H. 496, schwören<lb/>
die Zeugen: sic legibus eam A. ipsam feminam accepit, quod ipsas res vel alias,<lb/>
quas ipse (A.) dimiserit, ipsa vel heres suus hereditare debebant (plus) quam alicui<lb/>
reddere. Im Jahre 876 lä&#x017F;st Ludwig III. (der Jüngere) vor seinem Kampfe mit<lb/>
Karl II. ein Gottesurteil vornehmen, ut deus .. declararet, si plus per rectum ille<lb/>
habere deberet portionem de regno .. Annales Bertiniani z. J. 876, ed. Waitz,<lb/>
S. 132.</note>.</p><lb/>
              <p>Zu den Beweismitteln der germanischen Zeit, den Eiden und<lb/>
Ordalien, tritt in der fränkischen Periode ein neues, die Urkunde,<lb/>
hinzu. Als privilegierte, dem Königsgerichte und der Anordnung des<lb/>
Königs vorbehaltene Beweismittel erscheinen das Gerichtszeugnis und<lb/>
der Inquisitionsbeweis.</p><lb/>
              <p>Das Beweismittel, wie es auf Grund der Rechtsordnung der Proze&#x017F;s-<lb/>
partei nachgelassen ist, hei&#x017F;st lex, lag, Recht. Diese Bezeichnung, die<lb/>
uns nachmals insbesondere in den Quellen des normannischen Rechtes<lb/>
begegnet <note place="foot" n="31">H. <hi rendition="#g">Brunner</hi>, Entstehung der Schwurgerichte S. 177. <hi rendition="#g">Du Cange</hi> (Hen-<lb/>
schel) IV 88.</note>, ist schon in fränkischer Zeit für einzelne Beweismittel<lb/>
beglaubigt. Lex <note place="foot" n="32">Liu. 118 sagt vom Zweikampf: propter consuitutinem gentis nostrae Lango-<lb/>
bardorum <hi rendition="#g">legem</hi> ipsam vetare non possumus.</note>, lex Dei <note place="foot" n="33">Liu. 21: purificet se ad legem Dei.</note> bedeutet den Zweikampf, lex wohl<lb/>
auch den Kesselfang <note place="foot" n="34">Argum. Lex Sal. 56, 1: si nec de conpositione nec hineo nec de <hi rendition="#g">ulla</hi><lb/>
legem fidem facere voluerit, wo lex das Reinigungsmittel zu bezeichnen und den<lb/>
Kesselfang in sich zu schlie&#x017F;sen scheint.</note> und den Eid des Beklagten <note place="foot" n="35">Bernard, Chartes de Cluny v. J. 887, I 34, Nr. 29: quod deffendere se de-<lb/>
buisset A. cum sua requimonia (l. testimonia) et cum sua lege. Et ecce aramivit<lb/>
ad iurare .. cum sua lege.</note>. Jüngere<lb/>
Quellen nennen den Eid schlechtweg Recht, rechtlos den, der das<lb/>
Eidesrecht entbehrt, und das Gottesurteil Gottesrecht.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[376/0394] § 103. Die allgemeinen Grundsätze, insbesondere die Beweisrolle. plus debet esse servus .. quam ingenuus 28. In einem Rechtsstreit um eine Mühle, die der Beklagte als Erbschaft seines Vaters ver- teidigt, liegt ihm ob, zu schwören, quod suus debet esse molinus pro ereditate patris sui (plus) quam Gualtario 29. Berief sich der Beklagte auf dreiſsigjährigen Besitz, so lautete das Thema seines Eides, daſs er das Grundstück mit seinen Vorfahren durch dreiſsig Jahre besessen et secundum legem plus est mihi debita habendi quam ipsi homini reddendi 30. Zu den Beweismitteln der germanischen Zeit, den Eiden und Ordalien, tritt in der fränkischen Periode ein neues, die Urkunde, hinzu. Als privilegierte, dem Königsgerichte und der Anordnung des Königs vorbehaltene Beweismittel erscheinen das Gerichtszeugnis und der Inquisitionsbeweis. Das Beweismittel, wie es auf Grund der Rechtsordnung der Prozeſs- partei nachgelassen ist, heiſst lex, lag, Recht. Diese Bezeichnung, die uns nachmals insbesondere in den Quellen des normannischen Rechtes begegnet 31, ist schon in fränkischer Zeit für einzelne Beweismittel beglaubigt. Lex 32, lex Dei 33 bedeutet den Zweikampf, lex wohl auch den Kesselfang 34 und den Eid des Beklagten 35. Jüngere Quellen nennen den Eid schlechtweg Recht, rechtlos den, der das Eidesrecht entbehrt, und das Gottesurteil Gottesrecht. 28 Pérard S. 34, Nr. 16, H. 226. 29 Bernard, Chartes de Cluny I 34, Nr. 29 v. J. 887, H. 424. 30 Form. Turon. 40. Vgl. noch Carta Senon. 21. In einem Rechtsfall, in dem der Kläger bestritt, daſs die Beklagte rechtes Eheweib des Erblassers ge- wesen sei, Bernard, Chartes de Cluny I 247, Nr. 256, v. J. 926, H. 496, schwören die Zeugen: sic legibus eam A. ipsam feminam accepit, quod ipsas res vel alias, quas ipse (A.) dimiserit, ipsa vel heres suus hereditare debebant (plus) quam alicui reddere. Im Jahre 876 läſst Ludwig III. (der Jüngere) vor seinem Kampfe mit Karl II. ein Gottesurteil vornehmen, ut deus .. declararet, si plus per rectum ille habere deberet portionem de regno .. Annales Bertiniani z. J. 876, ed. Waitz, S. 132. 31 H. Brunner, Entstehung der Schwurgerichte S. 177. Du Cange (Hen- schel) IV 88. 32 Liu. 118 sagt vom Zweikampf: propter consuitutinem gentis nostrae Lango- bardorum legem ipsam vetare non possumus. 33 Liu. 21: purificet se ad legem Dei. 34 Argum. Lex Sal. 56, 1: si nec de conpositione nec hineo nec de ulla legem fidem facere voluerit, wo lex das Reinigungsmittel zu bezeichnen und den Kesselfang in sich zu schlieſsen scheint. 35 Bernard, Chartes de Cluny v. J. 887, I 34, Nr. 29: quod deffendere se de- buisset A. cum sua requimonia (l. testimonia) et cum sua lege. Et ecce aramivit ad iurare .. cum sua lege.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/394
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/394>, abgerufen am 23.04.2024.