Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 110. Die aussergerichtliche Pfandnahme.
gleichem Standpunkte steht das altwestgotische Recht 34. Bei den
Burgundern war das genommene Pfand Verfallspfand, und zwar ver-
fiel es, wenn der Gepfändete es nicht binnen drei Monaten durch
Zahlung der Schuld einlöste 35. Hinsichtlich der übrigen Stammes-
rechte fehlt es an Nachrichten über die rechtlichen Wirkungen der
Pfändung. Doch galt sicherlich gleichfalls der Grundsatz, dass der
Gläubiger pfändete, nicht um sich bezahlt zu machen, sondern damit
der Schuldner zahle.

Die Pfandnahme mit richterlicher Erlaubnis hat sich bei den
meisten deutschen Stämmen über die fränkische Periode hinaus er-
halten. So setzt sie u. a. ein Reichslandfriede Heinrichs VII. als zu-
lässige Art der Pfändung voraus 36. Wir finden sie insbesondere auch
in jüngeren niederfränkischen Quellen 37.

Bei den Sachsen hat Karl der Grosse die eigenmächtige Pfän-
dung schlechtweg verboten 38. Dagegen erhielt sie sich bei den Lango-
barden über die fränkische Zeit hinaus. Ein Kapitular Pippins v. J.
787, das sie bei Bannstrafe untersagte, hatte jedenfalls nur eine vor-
übergehende Wirkung 39.


das Nam nicht ausserhalb des Härads führen; es soll weder Zaum noch Sattel
darauf kommen. Dann soll er das Pfand dem Schuldner zur Einlösung anbieten.
Löst dieser es nicht ein, so mag jener es nehmen und nutzen sowohl binnen als
ausser des Härads, bis es eingelöst wird.
34 Nach den westgotischen Fragmenten der Provence, c. 12, pfändet der Sagio:
et habeat creditor ille pecuniam apud se, usque dum reddatur ei debitum suum,
qu od ei lex reddi praecepit. Vgl. Gaudenzi, Un' antica compilazione .. S. 145 f.
35 Lex Burg. 19, 6.
36 Abgedruckt von Weiland, Z2 f. RG VIII 116 f., c. 15: ex tunc dabit iudex
actori auctoritatem pignorandi et illud pignus salvum tenebit per XV dies ..; si
quis pignorationem a iudice licentiatam prohibuerit, tanquam predo a iudice pro-
scribetur. A. O. c. 16: (actor) .. cum oportunitatem habuerit, secundum formam prae-
dictam pignorabit. Über das Pfändungsrecht in den schweizerischen Gebirgskan-
tonen Blumer, Staats- und Rechtsgesch. der schweiz. Demokratien I 173, Nägeli,
Selbstpfändungsrecht S. 50.
37 Bemerkenswert ist, dass holländische Quellen ein Selbstpfändungsrecht
gegen die Magen kennen, welche ihrer Haftung für das Sühngeld nicht genügen.
Z2 f. RG III 81. Vgl. damit Eriks Saell. Lov III 26, Skanelagen 84.
38 Cap. de partibus Sax. c. 25, I 70: de pignore, ut nullatenus alterum aliquis
pignorare praesumat, et qui hoc fecerit, bannum persolvat. Die Selbstpfändung mit
richterlicher Erlaubnis ist den sächsischen Rechtsbüchern unbekannt. Planck,
Gerichtsverfahren II 250, Anm. 1. Über das aussergerichtliche Pfändungsrecht um
Schuld nach dem Rügenschen Landgebrauche siehe Delbrück, Z. f. DR XII 221 ff.
39 Cap. Pipp. Pap. c. 14, v. J. 787, I 200: ut nullus alteri praesumat res suas aut alia
causa sine iudicium tollere aut invadere; et qui hoc facere praesumpserit, ad par-
29*

§ 110. Die auſsergerichtliche Pfandnahme.
gleichem Standpunkte steht das altwestgotische Recht 34. Bei den
Burgundern war das genommene Pfand Verfallspfand, und zwar ver-
fiel es, wenn der Gepfändete es nicht binnen drei Monaten durch
Zahlung der Schuld einlöste 35. Hinsichtlich der übrigen Stammes-
rechte fehlt es an Nachrichten über die rechtlichen Wirkungen der
Pfändung. Doch galt sicherlich gleichfalls der Grundsatz, daſs der
Gläubiger pfändete, nicht um sich bezahlt zu machen, sondern damit
der Schuldner zahle.

Die Pfandnahme mit richterlicher Erlaubnis hat sich bei den
meisten deutschen Stämmen über die fränkische Periode hinaus er-
halten. So setzt sie u. a. ein Reichslandfriede Heinrichs VII. als zu-
lässige Art der Pfändung voraus 36. Wir finden sie insbesondere auch
in jüngeren niederfränkischen Quellen 37.

Bei den Sachsen hat Karl der Groſse die eigenmächtige Pfän-
dung schlechtweg verboten 38. Dagegen erhielt sie sich bei den Lango-
barden über die fränkische Zeit hinaus. Ein Kapitular Pippins v. J.
787, das sie bei Bannstrafe untersagte, hatte jedenfalls nur eine vor-
übergehende Wirkung 39.


das Nam nicht auſserhalb des Härads führen; es soll weder Zaum noch Sattel
darauf kommen. Dann soll er das Pfand dem Schuldner zur Einlösung anbieten.
Löst dieser es nicht ein, so mag jener es nehmen und nutzen sowohl binnen als
auſser des Härads, bis es eingelöst wird.
34 Nach den westgotischen Fragmenten der Provence, c. 12, pfändet der Sagio:
et habeat creditor ille pecuniam apud se, usque dum reddatur ei debitum suum,
qu od ei lex reddi praecepit. Vgl. Gaudenzi, Un’ antica compilazione .. S. 145 f.
35 Lex Burg. 19, 6.
36 Abgedruckt von Weiland, Z2 f. RG VIII 116 f., c. 15: ex tunc dabit iudex
actori auctoritatem pignorandi et illud pignus salvum tenebit per XV dies ..; si
quis pignorationem a iudice licentiatam prohibuerit, tanquam predo a iudice pro-
scribetur. A. O. c. 16: (actor) .. cum oportunitatem habuerit, secundum formam prae-
dictam pignorabit. Über das Pfändungsrecht in den schweizerischen Gebirgskan-
tonen Blumer, Staats- und Rechtsgesch. der schweiz. Demokratien I 173, Nägeli,
Selbstpfändungsrecht S. 50.
37 Bemerkenswert ist, daſs holländische Quellen ein Selbstpfändungsrecht
gegen die Magen kennen, welche ihrer Haftung für das Sühngeld nicht genügen.
Z2 f. RG III 81. Vgl. damit Eriks Sæll. Lov III 26, Skånelagen 84.
38 Cap. de partibus Sax. c. 25, I 70: de pignore, ut nullatenus alterum aliquis
pignorare praesumat, et qui hoc fecerit, bannum persolvat. Die Selbstpfändung mit
richterlicher Erlaubnis ist den sächsischen Rechtsbüchern unbekannt. Planck,
Gerichtsverfahren II 250, Anm. 1. Über das auſsergerichtliche Pfändungsrecht um
Schuld nach dem Rügenschen Landgebrauche siehe Delbrück, Z. f. DR XII 221 ff.
39 Cap. Pipp. Pap. c. 14, v. J. 787, I 200: ut nullus alteri praesumat res suas aut alia
causa sine iudicium tollere aut invadere; et qui hoc facere praesumpserit, ad par-
29*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0469" n="451"/><fw place="top" type="header">§ 110. Die au&#x017F;sergerichtliche Pfandnahme.</fw><lb/>
gleichem Standpunkte steht das altwestgotische Recht <note place="foot" n="34">Nach den westgotischen Fragmenten der Provence, c. 12, pfändet der Sagio:<lb/>
et habeat creditor ille pecuniam apud se, usque dum reddatur ei debitum suum,<lb/>
qu od ei lex reddi praecepit. Vgl. <hi rendition="#g">Gaudenzi,</hi> Un&#x2019; antica compilazione .. S. 145 f.</note>. Bei den<lb/>
Burgundern war das genommene Pfand Verfallspfand, und zwar ver-<lb/>
fiel es, wenn der Gepfändete es nicht binnen drei Monaten durch<lb/>
Zahlung der Schuld einlöste <note place="foot" n="35">Lex Burg. 19, 6.</note>. Hinsichtlich der übrigen Stammes-<lb/>
rechte fehlt es an Nachrichten über die rechtlichen Wirkungen der<lb/>
Pfändung. Doch galt sicherlich gleichfalls der Grundsatz, da&#x017F;s der<lb/>
Gläubiger pfändete, nicht um sich bezahlt zu machen, sondern damit<lb/>
der Schuldner zahle.</p><lb/>
              <p>Die Pfandnahme mit richterlicher Erlaubnis hat sich bei den<lb/>
meisten deutschen Stämmen über die fränkische Periode hinaus er-<lb/>
halten. So setzt sie u. a. ein Reichslandfriede Heinrichs VII. als zu-<lb/>
lässige Art der Pfändung voraus <note place="foot" n="36">Abgedruckt von Weiland, Z<hi rendition="#sup">2</hi> f. RG VIII 116 f., c. 15: ex tunc dabit iudex<lb/>
actori auctoritatem pignorandi et illud pignus salvum tenebit per XV dies ..; si<lb/>
quis pignorationem a iudice licentiatam prohibuerit, tanquam predo a iudice pro-<lb/>
scribetur. A. O. c. 16: (actor) .. cum oportunitatem habuerit, secundum formam prae-<lb/>
dictam pignorabit. Über das Pfändungsrecht in den schweizerischen Gebirgskan-<lb/>
tonen <hi rendition="#g">Blumer,</hi> Staats- und Rechtsgesch. der schweiz. Demokratien I 173, <hi rendition="#g">Nägeli,</hi><lb/>
Selbstpfändungsrecht S. 50.</note>. Wir finden sie insbesondere auch<lb/>
in jüngeren niederfränkischen Quellen <note place="foot" n="37">Bemerkenswert ist, da&#x017F;s holländische Quellen ein Selbstpfändungsrecht<lb/>
gegen die Magen kennen, welche ihrer Haftung für das Sühngeld nicht genügen.<lb/>
Z<hi rendition="#sup">2</hi> f. RG III 81. Vgl. damit Eriks Sæll. Lov III 26, Skånelagen 84.</note>.</p><lb/>
              <p>Bei den Sachsen hat Karl der Gro&#x017F;se die eigenmächtige Pfän-<lb/>
dung schlechtweg verboten <note place="foot" n="38">Cap. de partibus Sax. c. 25, I 70: de pignore, ut nullatenus alterum aliquis<lb/>
pignorare praesumat, et qui hoc fecerit, bannum persolvat. Die Selbstpfändung mit<lb/>
richterlicher Erlaubnis ist den sächsischen Rechtsbüchern unbekannt. <hi rendition="#g">Planck,</hi><lb/>
Gerichtsverfahren II 250, Anm. 1. Über das au&#x017F;sergerichtliche Pfändungsrecht um<lb/>
Schuld nach dem Rügenschen Landgebrauche siehe Delbrück, Z. f. DR XII 221 ff.</note>. Dagegen erhielt sie sich bei den Lango-<lb/>
barden über die fränkische Zeit hinaus. Ein Kapitular Pippins v. J.<lb/>
787, das sie bei Bannstrafe untersagte, hatte jedenfalls nur eine vor-<lb/>
übergehende Wirkung <note xml:id="seg2pn_117_1" next="#seg2pn_117_2" place="foot" n="39">Cap. Pipp. Pap. c. 14, v. J. 787, I 200: ut nullus alteri praesumat res suas aut alia<lb/>
causa sine iudicium tollere aut invadere; et qui hoc facere praesumpserit, ad par-</note>.</p><lb/>
              <p>
                <note xml:id="seg2pn_116_2" prev="#seg2pn_116_1" place="foot" n="33">das Nam nicht au&#x017F;serhalb des Härads führen; es soll weder Zaum noch Sattel<lb/>
darauf kommen. Dann soll er das Pfand dem Schuldner zur Einlösung anbieten.<lb/>
Löst dieser es nicht ein, so mag jener es nehmen und nutzen sowohl binnen als<lb/>
au&#x017F;ser des Härads, bis es eingelöst wird.</note>
              </p>
            </div><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">29*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[451/0469] § 110. Die auſsergerichtliche Pfandnahme. gleichem Standpunkte steht das altwestgotische Recht 34. Bei den Burgundern war das genommene Pfand Verfallspfand, und zwar ver- fiel es, wenn der Gepfändete es nicht binnen drei Monaten durch Zahlung der Schuld einlöste 35. Hinsichtlich der übrigen Stammes- rechte fehlt es an Nachrichten über die rechtlichen Wirkungen der Pfändung. Doch galt sicherlich gleichfalls der Grundsatz, daſs der Gläubiger pfändete, nicht um sich bezahlt zu machen, sondern damit der Schuldner zahle. Die Pfandnahme mit richterlicher Erlaubnis hat sich bei den meisten deutschen Stämmen über die fränkische Periode hinaus er- halten. So setzt sie u. a. ein Reichslandfriede Heinrichs VII. als zu- lässige Art der Pfändung voraus 36. Wir finden sie insbesondere auch in jüngeren niederfränkischen Quellen 37. Bei den Sachsen hat Karl der Groſse die eigenmächtige Pfän- dung schlechtweg verboten 38. Dagegen erhielt sie sich bei den Lango- barden über die fränkische Zeit hinaus. Ein Kapitular Pippins v. J. 787, das sie bei Bannstrafe untersagte, hatte jedenfalls nur eine vor- übergehende Wirkung 39. 33 34 Nach den westgotischen Fragmenten der Provence, c. 12, pfändet der Sagio: et habeat creditor ille pecuniam apud se, usque dum reddatur ei debitum suum, qu od ei lex reddi praecepit. Vgl. Gaudenzi, Un’ antica compilazione .. S. 145 f. 35 Lex Burg. 19, 6. 36 Abgedruckt von Weiland, Z2 f. RG VIII 116 f., c. 15: ex tunc dabit iudex actori auctoritatem pignorandi et illud pignus salvum tenebit per XV dies ..; si quis pignorationem a iudice licentiatam prohibuerit, tanquam predo a iudice pro- scribetur. A. O. c. 16: (actor) .. cum oportunitatem habuerit, secundum formam prae- dictam pignorabit. Über das Pfändungsrecht in den schweizerischen Gebirgskan- tonen Blumer, Staats- und Rechtsgesch. der schweiz. Demokratien I 173, Nägeli, Selbstpfändungsrecht S. 50. 37 Bemerkenswert ist, daſs holländische Quellen ein Selbstpfändungsrecht gegen die Magen kennen, welche ihrer Haftung für das Sühngeld nicht genügen. Z2 f. RG III 81. Vgl. damit Eriks Sæll. Lov III 26, Skånelagen 84. 38 Cap. de partibus Sax. c. 25, I 70: de pignore, ut nullatenus alterum aliquis pignorare praesumat, et qui hoc fecerit, bannum persolvat. Die Selbstpfändung mit richterlicher Erlaubnis ist den sächsischen Rechtsbüchern unbekannt. Planck, Gerichtsverfahren II 250, Anm. 1. Über das auſsergerichtliche Pfändungsrecht um Schuld nach dem Rügenschen Landgebrauche siehe Delbrück, Z. f. DR XII 221 ff. 39 Cap. Pipp. Pap. c. 14, v. J. 787, I 200: ut nullus alteri praesumat res suas aut alia causa sine iudicium tollere aut invadere; et qui hoc facere praesumpserit, ad par- 33 das Nam nicht auſserhalb des Härads führen; es soll weder Zaum noch Sattel darauf kommen. Dann soll er das Pfand dem Schuldner zur Einlösung anbieten. Löst dieser es nicht ein, so mag jener es nehmen und nutzen sowohl binnen als auſser des Härads, bis es eingelöst wird. 29*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/469
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/469>, abgerufen am 19.04.2024.