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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 111. Die gerichtliche Auspfändung.
Rechtsgang der königlichen Antrustionen ordnet 14. In der zweiten
Hälfte des sechsten Jahrhundert dringt aber die richterliche Aus-
pfändung auch in das Ungehorsamsverfahren ein 15. Wenn der Ver-
urteilte trotz mehrmaliger Fristsetzung 16 das Urteil nicht erfüllt, noch
die Erfüllung versprochen hat, so fordert der Kläger im Mallus den
Grafen zur Auspfändung (strudes) auf, die dieser mit sieben Rachine-
burgen vollzieht. Das nexti chantigio des Richters fällt im Ungehor-
samsverfahren aus. Nach ribuarischem Rechte musste der Kläger,
der die Auspfändung begehrte, mit sieben Rachineburgen schwören,
dass er den Gegner auf gesetzlichen Raub ausgeklagt habe (quod eum
ad strude legitima admallatum habet).

Bei den Salfranken kann der Beklagte, wenn die Pfändung
erfolgt, eine Klage wegen unrechtmässiger Pfändung erheben, die an
das Königsgericht geht, aber den Fortgang der Pfändung nicht zu
hindern vermag. Stellt sich diese vor dem König als eine unrecht-
mässige heraus, so sind die Pfänder dem Gepfändeten zurückzuerstatten
und hat der Kläger die Busse für unrechtmässige Pfändung, nämlich
sein Wergeld, verwirkt. Dagegen kennt die Lex Ribuaria eine recht-
mässige Pfandwehrung 17, welche die Vornahme der Pfändung ver-
hindert und in der Weise erfolgt, dass der Beklagte das gezogene
Schwert vor seine Hausthüre legt. Die Pfandwehrung geht an das
Königsgericht, wo die Frage ihrer Rechtmässigkeit durch gerichtlichen
Zweikampf 18 zwischen dem Kläger und dem Beklagten entschieden
wird 19.


14 Lex Sal. (Hessels) 106.
15 In dieser Anwendung kennen sie das Edikt Chilperichs, c. 8 (bei Hessels
c. 7), ein Zusatz der Wolfenbüttler Handschrift und der Heroldina zu Lex Sal. 56
und Lex Rib. 32.
16 Nach dem Edikt Chilperichs hat der Verurteilte zunächst einen Termin
von 42, dann von 14, dann von 7 Nächten. Die Lex Ribuaria verlangt sieben
Ladungen, von welchen vermutlich vier dem Urteil vorausgehen.
17 Schröder, RG S. 364. 368, Anm. 127, sieht in Lex Rib. 32, 4 eine Schelte
des Kontumacialurteils, die nicht gegen die Urteiler, sondern gegen den Kläger
gerichtet ist, dem sie Erschleichung des Urteils vorwirft. Allein eine Schelte, die
nicht gegen die Urteiler, sondern gegen den Prozessgegner sich richtet, ist eben
keine Urteilschelte.
18 Die Pfandwehrung ist kampfbedürftig, weil der Kläger beschworen hat,
dass die rechtlichen Voraussetzungen der Pfändung vorhanden seien. Jene schliesst
sonach den Vorwurf des Meineides in sich.
19 Nach dem schon öfter zur Vergleichung herangezogenen Rechte von Drente
kann der Beklagte dreimal an drei aufeinanderfolgenden Tagen Pfandwehrung
thun; spätestens am vierten Tage muss er sich auf den Ettstuhl von Drente be-

§ 111. Die gerichtliche Auspfändung.
Rechtsgang der königlichen Antrustionen ordnet 14. In der zweiten
Hälfte des sechsten Jahrhundert dringt aber die richterliche Aus-
pfändung auch in das Ungehorsamsverfahren ein 15. Wenn der Ver-
urteilte trotz mehrmaliger Fristsetzung 16 das Urteil nicht erfüllt, noch
die Erfüllung versprochen hat, so fordert der Kläger im Mallus den
Grafen zur Auspfändung (strudes) auf, die dieser mit sieben Rachine-
burgen vollzieht. Das nexti chantigio des Richters fällt im Ungehor-
samsverfahren aus. Nach ribuarischem Rechte muſste der Kläger,
der die Auspfändung begehrte, mit sieben Rachineburgen schwören,
daſs er den Gegner auf gesetzlichen Raub ausgeklagt habe (quod eum
ad strude legitima admallatum habet).

Bei den Salfranken kann der Beklagte, wenn die Pfändung
erfolgt, eine Klage wegen unrechtmäſsiger Pfändung erheben, die an
das Königsgericht geht, aber den Fortgang der Pfändung nicht zu
hindern vermag. Stellt sich diese vor dem König als eine unrecht-
mäſsige heraus, so sind die Pfänder dem Gepfändeten zurückzuerstatten
und hat der Kläger die Buſse für unrechtmäſsige Pfändung, nämlich
sein Wergeld, verwirkt. Dagegen kennt die Lex Ribuaria eine recht-
mäſsige Pfandwehrung 17, welche die Vornahme der Pfändung ver-
hindert und in der Weise erfolgt, daſs der Beklagte das gezogene
Schwert vor seine Hausthüre legt. Die Pfandwehrung geht an das
Königsgericht, wo die Frage ihrer Rechtmäſsigkeit durch gerichtlichen
Zweikampf 18 zwischen dem Kläger und dem Beklagten entschieden
wird 19.


14 Lex Sal. (Hessels) 106.
15 In dieser Anwendung kennen sie das Edikt Chilperichs, c. 8 (bei Hessels
c. 7), ein Zusatz der Wolfenbüttler Handschrift und der Heroldina zu Lex Sal. 56
und Lex Rib. 32.
16 Nach dem Edikt Chilperichs hat der Verurteilte zunächst einen Termin
von 42, dann von 14, dann von 7 Nächten. Die Lex Ribuaria verlangt sieben
Ladungen, von welchen vermutlich vier dem Urteil vorausgehen.
17 Schröder, RG S. 364. 368, Anm. 127, sieht in Lex Rib. 32, 4 eine Schelte
des Kontumacialurteils, die nicht gegen die Urteiler, sondern gegen den Kläger
gerichtet ist, dem sie Erschleichung des Urteils vorwirft. Allein eine Schelte, die
nicht gegen die Urteiler, sondern gegen den Prozeſsgegner sich richtet, ist eben
keine Urteilschelte.
18 Die Pfandwehrung ist kampfbedürftig, weil der Kläger beschworen hat,
daſs die rechtlichen Voraussetzungen der Pfändung vorhanden seien. Jene schlieſst
sonach den Vorwurf des Meineides in sich.
19 Nach dem schon öfter zur Vergleichung herangezogenen Rechte von Drente
kann der Beklagte dreimal an drei aufeinanderfolgenden Tagen Pfandwehrung
thun; spätestens am vierten Tage muſs er sich auf den Ettstuhl von Drente be-
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[456/0474] § 111. Die gerichtliche Auspfändung. Rechtsgang der königlichen Antrustionen ordnet 14. In der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhundert dringt aber die richterliche Aus- pfändung auch in das Ungehorsamsverfahren ein 15. Wenn der Ver- urteilte trotz mehrmaliger Fristsetzung 16 das Urteil nicht erfüllt, noch die Erfüllung versprochen hat, so fordert der Kläger im Mallus den Grafen zur Auspfändung (strudes) auf, die dieser mit sieben Rachine- burgen vollzieht. Das nexti chantigio des Richters fällt im Ungehor- samsverfahren aus. Nach ribuarischem Rechte muſste der Kläger, der die Auspfändung begehrte, mit sieben Rachineburgen schwören, daſs er den Gegner auf gesetzlichen Raub ausgeklagt habe (quod eum ad strude legitima admallatum habet). Bei den Salfranken kann der Beklagte, wenn die Pfändung erfolgt, eine Klage wegen unrechtmäſsiger Pfändung erheben, die an das Königsgericht geht, aber den Fortgang der Pfändung nicht zu hindern vermag. Stellt sich diese vor dem König als eine unrecht- mäſsige heraus, so sind die Pfänder dem Gepfändeten zurückzuerstatten und hat der Kläger die Buſse für unrechtmäſsige Pfändung, nämlich sein Wergeld, verwirkt. Dagegen kennt die Lex Ribuaria eine recht- mäſsige Pfandwehrung 17, welche die Vornahme der Pfändung ver- hindert und in der Weise erfolgt, daſs der Beklagte das gezogene Schwert vor seine Hausthüre legt. Die Pfandwehrung geht an das Königsgericht, wo die Frage ihrer Rechtmäſsigkeit durch gerichtlichen Zweikampf 18 zwischen dem Kläger und dem Beklagten entschieden wird 19. 14 Lex Sal. (Hessels) 106. 15 In dieser Anwendung kennen sie das Edikt Chilperichs, c. 8 (bei Hessels c. 7), ein Zusatz der Wolfenbüttler Handschrift und der Heroldina zu Lex Sal. 56 und Lex Rib. 32. 16 Nach dem Edikt Chilperichs hat der Verurteilte zunächst einen Termin von 42, dann von 14, dann von 7 Nächten. Die Lex Ribuaria verlangt sieben Ladungen, von welchen vermutlich vier dem Urteil vorausgehen. 17 Schröder, RG S. 364. 368, Anm. 127, sieht in Lex Rib. 32, 4 eine Schelte des Kontumacialurteils, die nicht gegen die Urteiler, sondern gegen den Kläger gerichtet ist, dem sie Erschleichung des Urteils vorwirft. Allein eine Schelte, die nicht gegen die Urteiler, sondern gegen den Prozeſsgegner sich richtet, ist eben keine Urteilschelte. 18 Die Pfandwehrung ist kampfbedürftig, weil der Kläger beschworen hat, daſs die rechtlichen Voraussetzungen der Pfändung vorhanden seien. Jene schlieſst sonach den Vorwurf des Meineides in sich. 19 Nach dem schon öfter zur Vergleichung herangezogenen Rechte von Drente kann der Beklagte dreimal an drei aufeinanderfolgenden Tagen Pfandwehrung thun; spätestens am vierten Tage muſs er sich auf den Ettstuhl von Drente be-

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/474>, abgerufen am 28.03.2024.