Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 115. Preisgabe und Verknechtung.
an drei Gerichtstagen ausgeboten. Den vierten mallus zieht der König
an sich. Graf und Gläubiger sollen den Bussschuldner vor den König
bringen, der ihn der Willkür des Gläubigers anheimgiebt, indem er
anordnet, dass der Schuldner diesem überliefert werde, damit er nach
Belieben mit ihm verfahre. Nos ordinamus, sagt Chilperich, cui ma-
lum fecit, tradatur in manu et faciant exinde quod voluerint 3. Nach
dem Friedensgesetze Childeberts I. soll der überführte Dieb, der sein
Leben nicht selbst auszulösen vermag, an drei Gerichtstagen den Ver-
wandten angeboten und, wenn ihn niemand auslöst, hingerichtet wer-
den 4. Da nach Chilperich die Königsacht nur ausgesprochen wird,
wenn man des Verbrechers nicht habhaft werden kann, so ist es ge-
stattet anzunehmen, dass bei allen Bussschulden und sühnbaren Misse-
thaten ein Aufgebotsverfahren stattfand und der Schuldige dem Ver-
letzten überantwortet wurde, sofern nicht ein Verbrechen vorlag, das
im Interesse des allgemeinen Friedens von Amtswegen verfolgt oder
bestraft wurde.

Aus Anlass des Aufgebotsverfahrens durfte ein Verwandter oder
ein beliebiger Dritter den Schuldigen auslösen, indem sie entweder
die verfallene Bussschuld oder einen mit dem Gläubiger vereinbarten
Preis 5 bezahlten oder durch Entrichtung der Lösungssumme die zu-
erkannte öffentliche Strafe ledigten. Die redemptio mochte in der
Weise erfolgen, dass der Losgekaufte seine Freiheit behielt, oder so,
dass der Schuldner sich dem Dritten verkaufte 6 oder verpfändete 7.
Die Rechtsordnung konnte in dieser Beziehung dem Dritten keine Be-
dingungen vorschreiben, sondern nur bei Bannstrafe verbieten, dass
der ausgelöste Schuldner als Knecht in das Ausland verkauft werde 8.
Doch wirkte die Kirche darauf ein, dass von dem unbedingten Selbst-
verkauf in dauernde Knechtschaft abgesehen werde, eine Forderung,
welche die weltliche Macht als christliche Ermahnung hinzustellen
sich bescheiden musste 9.

Die diskretionäre Gewalt, die der Gläubiger über die Person des
Schuldners bei ergebnislosem Aufgebotsverfahren erlangte, erfuhr im

3 Ed. Chilp. c. 8. Vgl. Lex Burg. 12, 3: quodsi raptor solutionem supra-
scriptam unde solvere non habuerit, puellae parentibus adsignetur, ut faciendi de
eo quod ipsi maluerint, habeant potestatem.
4 Pactus pro tenore pacis c. 2, Cap. I 5.
5 Gegen Zahlung der vollen Schuld musste der Gläubiger den Schuldner los-
kaufen lassen. Ob er ein geringeres Gebot nehmen wollte, stand in seinem
Belieben.
6 Form. Andegav. 3.
7 Marculf II 28.
8 Ed. Pist. v. J. 864, c. 34, LL I 498.
9 Siehe oben S. 443, Anm. 11.

§ 115. Preisgabe und Verknechtung.
an drei Gerichtstagen ausgeboten. Den vierten mallus zieht der König
an sich. Graf und Gläubiger sollen den Buſsschuldner vor den König
bringen, der ihn der Willkür des Gläubigers anheimgiebt, indem er
anordnet, daſs der Schuldner diesem überliefert werde, damit er nach
Belieben mit ihm verfahre. Nos ordinamus, sagt Chilperich, cui ma-
lum fecit, tradatur in manu et faciant exinde quod voluerint 3. Nach
dem Friedensgesetze Childeberts I. soll der überführte Dieb, der sein
Leben nicht selbst auszulösen vermag, an drei Gerichtstagen den Ver-
wandten angeboten und, wenn ihn niemand auslöst, hingerichtet wer-
den 4. Da nach Chilperich die Königsacht nur ausgesprochen wird,
wenn man des Verbrechers nicht habhaft werden kann, so ist es ge-
stattet anzunehmen, daſs bei allen Buſsschulden und sühnbaren Misse-
thaten ein Aufgebotsverfahren stattfand und der Schuldige dem Ver-
letzten überantwortet wurde, sofern nicht ein Verbrechen vorlag, das
im Interesse des allgemeinen Friedens von Amtswegen verfolgt oder
bestraft wurde.

Aus Anlaſs des Aufgebotsverfahrens durfte ein Verwandter oder
ein beliebiger Dritter den Schuldigen auslösen, indem sie entweder
die verfallene Buſsschuld oder einen mit dem Gläubiger vereinbarten
Preis 5 bezahlten oder durch Entrichtung der Lösungssumme die zu-
erkannte öffentliche Strafe ledigten. Die redemptio mochte in der
Weise erfolgen, daſs der Losgekaufte seine Freiheit behielt, oder so,
daſs der Schuldner sich dem Dritten verkaufte 6 oder verpfändete 7.
Die Rechtsordnung konnte in dieser Beziehung dem Dritten keine Be-
dingungen vorschreiben, sondern nur bei Bannstrafe verbieten, daſs
der ausgelöste Schuldner als Knecht in das Ausland verkauft werde 8.
Doch wirkte die Kirche darauf ein, daſs von dem unbedingten Selbst-
verkauf in dauernde Knechtschaft abgesehen werde, eine Forderung,
welche die weltliche Macht als christliche Ermahnung hinzustellen
sich bescheiden muſste 9.

Die diskretionäre Gewalt, die der Gläubiger über die Person des
Schuldners bei ergebnislosem Aufgebotsverfahren erlangte, erfuhr im

3 Ed. Chilp. c. 8. Vgl. Lex Burg. 12, 3: quodsi raptor solutionem supra-
scriptam unde solvere non habuerit, puellae parentibus adsignetur, ut faciendi de
eo quod ipsi maluerint, habeant potestatem.
4 Pactus pro tenore pacis c. 2, Cap. I 5.
5 Gegen Zahlung der vollen Schuld muſste der Gläubiger den Schuldner los-
kaufen lassen. Ob er ein geringeres Gebot nehmen wollte, stand in seinem
Belieben.
6 Form. Andegav. 3.
7 Marculf II 28.
8 Ed. Pist. v. J. 864, c. 34, LL I 498.
9 Siehe oben S. 443, Anm. 11.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0496" n="478"/><fw place="top" type="header">§ 115. Preisgabe und Verknechtung.</fw><lb/>
an drei Gerichtstagen ausgeboten. Den vierten mallus zieht der König<lb/>
an sich. Graf und Gläubiger sollen den Bu&#x017F;sschuldner vor den König<lb/>
bringen, der ihn der Willkür des Gläubigers anheimgiebt, indem er<lb/>
anordnet, da&#x017F;s der Schuldner diesem überliefert werde, damit er nach<lb/>
Belieben mit ihm verfahre. Nos ordinamus, sagt Chilperich, cui ma-<lb/>
lum fecit, tradatur in manu et faciant exinde quod voluerint <note place="foot" n="3">Ed. Chilp. c. 8. Vgl. Lex Burg. 12, 3: quodsi raptor solutionem supra-<lb/>
scriptam unde solvere non habuerit, puellae parentibus adsignetur, ut faciendi de<lb/>
eo quod ipsi maluerint, habeant potestatem.</note>. Nach<lb/>
dem Friedensgesetze Childeberts I. soll der überführte Dieb, der sein<lb/>
Leben nicht selbst auszulösen vermag, an drei Gerichtstagen den Ver-<lb/>
wandten angeboten und, wenn ihn niemand auslöst, hingerichtet wer-<lb/>
den <note place="foot" n="4">Pactus pro tenore pacis c. 2, Cap. I 5.</note>. Da nach Chilperich die Königsacht nur ausgesprochen wird,<lb/>
wenn man des Verbrechers nicht habhaft werden kann, so ist es ge-<lb/>
stattet anzunehmen, da&#x017F;s bei allen Bu&#x017F;sschulden und sühnbaren Misse-<lb/>
thaten ein Aufgebotsverfahren stattfand und der Schuldige dem Ver-<lb/>
letzten überantwortet wurde, sofern nicht ein Verbrechen vorlag, das<lb/>
im Interesse des allgemeinen Friedens von Amtswegen verfolgt oder<lb/>
bestraft wurde.</p><lb/>
              <p>Aus Anla&#x017F;s des Aufgebotsverfahrens durfte ein Verwandter oder<lb/>
ein beliebiger Dritter den Schuldigen auslösen, indem sie entweder<lb/>
die verfallene Bu&#x017F;sschuld oder einen mit dem Gläubiger vereinbarten<lb/>
Preis <note place="foot" n="5">Gegen Zahlung der vollen Schuld mu&#x017F;ste der Gläubiger den Schuldner los-<lb/>
kaufen lassen. Ob er ein geringeres Gebot nehmen wollte, stand in seinem<lb/>
Belieben.</note> bezahlten oder durch Entrichtung der Lösungssumme die zu-<lb/>
erkannte öffentliche Strafe ledigten. Die redemptio mochte in der<lb/>
Weise erfolgen, da&#x017F;s der Losgekaufte seine Freiheit behielt, oder so,<lb/>
da&#x017F;s der Schuldner sich dem Dritten verkaufte <note place="foot" n="6">Form. Andegav. 3.</note> oder verpfändete <note place="foot" n="7">Marculf II 28.</note>.<lb/>
Die Rechtsordnung konnte in dieser Beziehung dem Dritten keine Be-<lb/>
dingungen vorschreiben, sondern nur bei Bannstrafe verbieten, da&#x017F;s<lb/>
der ausgelöste Schuldner als Knecht in das Ausland verkauft werde <note place="foot" n="8">Ed. Pist. v. J. 864, c. 34, LL I 498.</note>.<lb/>
Doch wirkte die Kirche darauf ein, da&#x017F;s von dem unbedingten Selbst-<lb/>
verkauf in dauernde Knechtschaft abgesehen werde, eine Forderung,<lb/>
welche die weltliche Macht als christliche Ermahnung hinzustellen<lb/>
sich bescheiden mu&#x017F;ste <note place="foot" n="9">Siehe oben S. 443, Anm. 11.</note>.</p><lb/>
              <p>Die diskretionäre Gewalt, die der Gläubiger über die Person des<lb/>
Schuldners bei ergebnislosem Aufgebotsverfahren erlangte, erfuhr im<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[478/0496] § 115. Preisgabe und Verknechtung. an drei Gerichtstagen ausgeboten. Den vierten mallus zieht der König an sich. Graf und Gläubiger sollen den Buſsschuldner vor den König bringen, der ihn der Willkür des Gläubigers anheimgiebt, indem er anordnet, daſs der Schuldner diesem überliefert werde, damit er nach Belieben mit ihm verfahre. Nos ordinamus, sagt Chilperich, cui ma- lum fecit, tradatur in manu et faciant exinde quod voluerint 3. Nach dem Friedensgesetze Childeberts I. soll der überführte Dieb, der sein Leben nicht selbst auszulösen vermag, an drei Gerichtstagen den Ver- wandten angeboten und, wenn ihn niemand auslöst, hingerichtet wer- den 4. Da nach Chilperich die Königsacht nur ausgesprochen wird, wenn man des Verbrechers nicht habhaft werden kann, so ist es ge- stattet anzunehmen, daſs bei allen Buſsschulden und sühnbaren Misse- thaten ein Aufgebotsverfahren stattfand und der Schuldige dem Ver- letzten überantwortet wurde, sofern nicht ein Verbrechen vorlag, das im Interesse des allgemeinen Friedens von Amtswegen verfolgt oder bestraft wurde. Aus Anlaſs des Aufgebotsverfahrens durfte ein Verwandter oder ein beliebiger Dritter den Schuldigen auslösen, indem sie entweder die verfallene Buſsschuld oder einen mit dem Gläubiger vereinbarten Preis 5 bezahlten oder durch Entrichtung der Lösungssumme die zu- erkannte öffentliche Strafe ledigten. Die redemptio mochte in der Weise erfolgen, daſs der Losgekaufte seine Freiheit behielt, oder so, daſs der Schuldner sich dem Dritten verkaufte 6 oder verpfändete 7. Die Rechtsordnung konnte in dieser Beziehung dem Dritten keine Be- dingungen vorschreiben, sondern nur bei Bannstrafe verbieten, daſs der ausgelöste Schuldner als Knecht in das Ausland verkauft werde 8. Doch wirkte die Kirche darauf ein, daſs von dem unbedingten Selbst- verkauf in dauernde Knechtschaft abgesehen werde, eine Forderung, welche die weltliche Macht als christliche Ermahnung hinzustellen sich bescheiden muſste 9. Die diskretionäre Gewalt, die der Gläubiger über die Person des Schuldners bei ergebnislosem Aufgebotsverfahren erlangte, erfuhr im 3 Ed. Chilp. c. 8. Vgl. Lex Burg. 12, 3: quodsi raptor solutionem supra- scriptam unde solvere non habuerit, puellae parentibus adsignetur, ut faciendi de eo quod ipsi maluerint, habeant potestatem. 4 Pactus pro tenore pacis c. 2, Cap. I 5. 5 Gegen Zahlung der vollen Schuld muſste der Gläubiger den Schuldner los- kaufen lassen. Ob er ein geringeres Gebot nehmen wollte, stand in seinem Belieben. 6 Form. Andegav. 3. 7 Marculf II 28. 8 Ed. Pist. v. J. 864, c. 34, LL I 498. 9 Siehe oben S. 443, Anm. 11.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/496
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/496>, abgerufen am 19.04.2024.