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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 126. Missethaten der Knechte, Haftung für Haustiere u. s. w.
sein Mühlrad, durch seinen Balken, oder durch irgend eine mit der
Hand hergestellte Sache Mensch oder Haustier verunglückten. Es
ist bereits eine Milderung des alten strengen Rechtes, wenn in ein-
zelnen Quellen die Haftung des Eigentümers mit schärferer Betonung
des Causalnexus durch die Haftung des Herstellers der Anlage ersetzt 29
oder auf Fälle typischer Fahrlässigkeit eingeschränkt wird. Während
der Verantwortliche, wie bei anderem Ungefährwerk, ursprünglich die
volle Compositio (mit Ausschluss des fredus), dann nur eine Quote
oder Schadenersatz zu zahlen hatte, ist für eine Anzahl hierher-
gehöriger Unglücksfälle die Haftung schon früh zu einer blossen Sach-
haftung abgeschwächt worden. Der Eigentümer brauchte nämlich den
Schaden weder ganz noch teilweise zu vergüten, wenn er den eigent-
lichen Urheber des Übels auslieferte oder preisgab 30.

Nach ribuarischem Volksrechte ist kein Wergeld verwirkt, wenn
durch einen Balken oder durch irgend eine mit der Hand hergestellte
Sache (manufactile) ein Mensch getötet wird. Falls aber jemand
den auctor interfectionis in Gebrauch nimmt, so büsst er den Tod-
schlag (ohne Friedensgeld zu zahlen) 31. Bei den Angelsachsen gilt die
Waffe oder das Werkzeug, womit ungebüsstes Blut vergossen worden ist,
für nicht 'gesund', d. h. für unrein. Dem, dessen Waffe in fremde
Hände gelangt, wird daher geraten, darauf zu achten, dass sie in omni
calumnia munda sit, ehe er sie wieder in Empfang nimmt 32. Wird
ein Schwert einem Schwertfeger, ein Werkzeug einem Schmiede zur
Bearbeitung oder Ausbesserung übergeben, so soll er es 'gesund', wie
er es erhielt, zurückliefern. Ist es nicht mehr rein von Blutschuld,

29 Lex Sax. 58: a quo parata sunt (fossa vel laqueus), componatur. Lex
Angl. et Werin. 61: qui machinamentum fecit, damnum emendet. Nach älterem
schwedischem Rechte haftet im Fall des handavaerki, d. h. wenn eine mit der Hand
hergestellte Sache Schaden anrichtet, regelmässig der Eigentümer, während jüngere
Quellen statt dessen den Hersteller haftbar machen. v. Amira, Obligationen-
recht I 386.
30 Vgl. Alfred 13.
31 Lex Rib. 70, 1. Nach dem Stadtrechte von Schleswig haftet der Bauherr,
wenn bei einem Hausbau jemand durch einen Balken, Sparren oder durch ein
Holzstück getötet wird. Er büsst dann jedenfalls neun Mark, kann sich aber von
weiterer Haftung dadurch befreien, dass er den tötenden Balken den Verwandten
des Erschlagenen überlässt. Wird dagegen der Balken eingebaut, so hat der Eigen-
tümer für den Todesfall mit dem ganzen Hause zu büssen. Älteres Schleswiger
Stadtrecht A. 83. Vgl. jüngeres Schleswiger Stadtrecht A. 94, Flensburger Stadt-
recht A. 46, Stadtrecht von Apenrade A. 49. Die dem Jütischen Low verwandten
Stadtrechte, herausgegeben von Thorsen S. 19. 49. 75. 192.
32 Leges Henrici primi 87, 2.

§ 126. Missethaten der Knechte, Haftung für Haustiere u. s. w.
sein Mühlrad, durch seinen Balken, oder durch irgend eine mit der
Hand hergestellte Sache Mensch oder Haustier verunglückten. Es
ist bereits eine Milderung des alten strengen Rechtes, wenn in ein-
zelnen Quellen die Haftung des Eigentümers mit schärferer Betonung
des Causalnexus durch die Haftung des Herstellers der Anlage ersetzt 29
oder auf Fälle typischer Fahrlässigkeit eingeschränkt wird. Während
der Verantwortliche, wie bei anderem Ungefährwerk, ursprünglich die
volle Compositio (mit Ausschluſs des fredus), dann nur eine Quote
oder Schadenersatz zu zahlen hatte, ist für eine Anzahl hierher-
gehöriger Unglücksfälle die Haftung schon früh zu einer bloſsen Sach-
haftung abgeschwächt worden. Der Eigentümer brauchte nämlich den
Schaden weder ganz noch teilweise zu vergüten, wenn er den eigent-
lichen Urheber des Übels auslieferte oder preisgab 30.

Nach ribuarischem Volksrechte ist kein Wergeld verwirkt, wenn
durch einen Balken oder durch irgend eine mit der Hand hergestellte
Sache (manufactile) ein Mensch getötet wird. Falls aber jemand
den auctor interfectionis in Gebrauch nimmt, so büſst er den Tod-
schlag (ohne Friedensgeld zu zahlen) 31. Bei den Angelsachsen gilt die
Waffe oder das Werkzeug, womit ungebüſstes Blut vergossen worden ist,
für nicht ‘gesund’, d. h. für unrein. Dem, dessen Waffe in fremde
Hände gelangt, wird daher geraten, darauf zu achten, daſs sie in omni
calumnia munda sit, ehe er sie wieder in Empfang nimmt 32. Wird
ein Schwert einem Schwertfeger, ein Werkzeug einem Schmiede zur
Bearbeitung oder Ausbesserung übergeben, so soll er es ‘gesund’, wie
er es erhielt, zurückliefern. Ist es nicht mehr rein von Blutschuld,

29 Lex Sax. 58: a quo parata sunt (fossa vel laqueus), componatur. Lex
Angl. et Werin. 61: qui machinamentum fecit, damnum emendet. Nach älterem
schwedischem Rechte haftet im Fall des handaværki, d. h. wenn eine mit der Hand
hergestellte Sache Schaden anrichtet, regelmäſsig der Eigentümer, während jüngere
Quellen statt dessen den Hersteller haftbar machen. v. Amira, Obligationen-
recht I 386.
30 Vgl. Alfred 13.
31 Lex Rib. 70, 1. Nach dem Stadtrechte von Schleswig haftet der Bauherr,
wenn bei einem Hausbau jemand durch einen Balken, Sparren oder durch ein
Holzstück getötet wird. Er büſst dann jedenfalls neun Mark, kann sich aber von
weiterer Haftung dadurch befreien, daſs er den tötenden Balken den Verwandten
des Erschlagenen überläſst. Wird dagegen der Balken eingebaut, so hat der Eigen-
tümer für den Todesfall mit dem ganzen Hause zu büſsen. Älteres Schleswiger
Stadtrecht A. 83. Vgl. jüngeres Schleswiger Stadtrecht A. 94, Flensburger Stadt-
recht A. 46, Stadtrecht von Apenrade A. 49. Die dem Jütischen Low verwandten
Stadtrechte, herausgegeben von Thorsen S. 19. 49. 75. 192.
32 Leges Henrici primi 87, 2.
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[557/0575] § 126. Missethaten der Knechte, Haftung für Haustiere u. s. w. sein Mühlrad, durch seinen Balken, oder durch irgend eine mit der Hand hergestellte Sache Mensch oder Haustier verunglückten. Es ist bereits eine Milderung des alten strengen Rechtes, wenn in ein- zelnen Quellen die Haftung des Eigentümers mit schärferer Betonung des Causalnexus durch die Haftung des Herstellers der Anlage ersetzt 29 oder auf Fälle typischer Fahrlässigkeit eingeschränkt wird. Während der Verantwortliche, wie bei anderem Ungefährwerk, ursprünglich die volle Compositio (mit Ausschluſs des fredus), dann nur eine Quote oder Schadenersatz zu zahlen hatte, ist für eine Anzahl hierher- gehöriger Unglücksfälle die Haftung schon früh zu einer bloſsen Sach- haftung abgeschwächt worden. Der Eigentümer brauchte nämlich den Schaden weder ganz noch teilweise zu vergüten, wenn er den eigent- lichen Urheber des Übels auslieferte oder preisgab 30. Nach ribuarischem Volksrechte ist kein Wergeld verwirkt, wenn durch einen Balken oder durch irgend eine mit der Hand hergestellte Sache (manufactile) ein Mensch getötet wird. Falls aber jemand den auctor interfectionis in Gebrauch nimmt, so büſst er den Tod- schlag (ohne Friedensgeld zu zahlen) 31. Bei den Angelsachsen gilt die Waffe oder das Werkzeug, womit ungebüſstes Blut vergossen worden ist, für nicht ‘gesund’, d. h. für unrein. Dem, dessen Waffe in fremde Hände gelangt, wird daher geraten, darauf zu achten, daſs sie in omni calumnia munda sit, ehe er sie wieder in Empfang nimmt 32. Wird ein Schwert einem Schwertfeger, ein Werkzeug einem Schmiede zur Bearbeitung oder Ausbesserung übergeben, so soll er es ‘gesund’, wie er es erhielt, zurückliefern. Ist es nicht mehr rein von Blutschuld, 29 Lex Sax. 58: a quo parata sunt (fossa vel laqueus), componatur. Lex Angl. et Werin. 61: qui machinamentum fecit, damnum emendet. Nach älterem schwedischem Rechte haftet im Fall des handaværki, d. h. wenn eine mit der Hand hergestellte Sache Schaden anrichtet, regelmäſsig der Eigentümer, während jüngere Quellen statt dessen den Hersteller haftbar machen. v. Amira, Obligationen- recht I 386. 30 Vgl. Alfred 13. 31 Lex Rib. 70, 1. Nach dem Stadtrechte von Schleswig haftet der Bauherr, wenn bei einem Hausbau jemand durch einen Balken, Sparren oder durch ein Holzstück getötet wird. Er büſst dann jedenfalls neun Mark, kann sich aber von weiterer Haftung dadurch befreien, daſs er den tötenden Balken den Verwandten des Erschlagenen überläſst. Wird dagegen der Balken eingebaut, so hat der Eigen- tümer für den Todesfall mit dem ganzen Hause zu büſsen. Älteres Schleswiger Stadtrecht A. 83. Vgl. jüngeres Schleswiger Stadtrecht A. 94, Flensburger Stadt- recht A. 46, Stadtrecht von Apenrade A. 49. Die dem Jütischen Low verwandten Stadtrechte, herausgegeben von Thorsen S. 19. 49. 75. 192. 32 Leges Henrici primi 87, 2.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/575>, abgerufen am 18.04.2024.