Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 129. Die Begünstigung.
feindes und wird daher selbst friedlos 1. Wenn jemand, sagt eine
Satzung Aethelreds 2, für den eintritt, der allem Volke ungetreu ist, so
seien sie beide des gleichen Rechtes wert 3. Denselben Gedanken spricht
in etwas anderer Form Karl der Grosse aus, indem er bestimmt, dass,
wer einen latro aufnehme, gleich einem latro et infidelis verurteilt
werden solle, weil der latro dem König und den Franken infidelis sei
'et qui illum suscipit, similis est illi' 4.

Hinsichtlich der Rechtsfolgen, die sie auf die Begünstigung eines
Geächteten setzen, scheinen die verschiedenen germanischen Rechts-
quellen weit auseinanderzugehen. Nordische Rechte drohen dem
Begünstigten dieselbe Friedlosigkeit an, die der Begünstigte sich zu-
gezogen 5, oder verhängen die aus der Ablösung der Friedlosigkeit
hervorgegangene Vierzigmarkbusse 6. Dem entspricht es, wenn nach
angelsächsischem Rechte derjenige, der einem Friedlosen Aufnahme
und Unterkunft gewährt (feormian), den Frieden 7 oder sein oder des
Begünstigten 8 Wergeld verwirkt. Verwandte Bestimmungen weisen
Tochterrechte des fränkischen Rechtes auf. So sagt eine anglo-nor-
mannische Quelle, dass, wer einen utlagatus wissentlich begünstige,
die Strafe leiden solle, die den Friedlosen treffen würde 9. Das alt-
französische Recht droht dem Begünstigten eine im Ermessen des
Gerichtsherrn stehende Busse an, ausserdem Gefängnis und Wüstung
seines Hauses. Nach niederländischen Rechten verfällt in die höchste
Busse, wer einen bannitus aufnimmt 10.

Dagegen wird nach den fränkischen Volksrechten die Beherbergung
und die Beköstigung eines Ächters nur mit einer Brüche geahndet, die
nach der Lex Salica fünfzehn, nach der Lex Ribuaria sechzig Solidi
beträgt 11. Der Gegensatz, in den sie sich dadurch zu den sonst be-
zeugten Strafsätzen stellen, lässt sich nur daraus erklären, dass es sich
bei jenen Bussen um eine minder strafbare Art der Begünstigung
handelt. Denn auch das fränkische Recht muss für Aufnahme eines

1 Auf derselben Erwägung beruht der Rechtssatz, dass der Mage, der den
aus der Magschaft ausgeschlossenen Todschläger unterstützt, gleich diesem der Fehde
ausgesetzt ist. Edmund II 1, § 2.
2 Aethelred I 4, 2.
3 Vgl. Aethelred III 13. Aethelstan V pr. § 3.
4 Cap. per missos cognita facienda 803--813, c. 2, I 156. Vgl. oben S. 65.
5 Frostuthingslög 4, 41.
6 Wilda, Strafrecht S. 286.
7 Aethelstan V pr. § 3.
8 Ine 30. Aethelstan II 2. 20, § 8.
9 Bracton III 2, c. 13, § 1.
10 Siehe oben I 167.
11 Lex Sal. 56; 55, 2; 70; 106. Lex Rib. 87.

§ 129. Die Begünstigung.
feindes und wird daher selbst friedlos 1. Wenn jemand, sagt eine
Satzung Aethelreds 2, für den eintritt, der allem Volke ungetreu ist, so
seien sie beide des gleichen Rechtes wert 3. Denselben Gedanken spricht
in etwas anderer Form Karl der Groſse aus, indem er bestimmt, daſs,
wer einen latro aufnehme, gleich einem latro et infidelis verurteilt
werden solle, weil der latro dem König und den Franken infidelis sei
‘et qui illum suscipit, similis est illi’ 4.

Hinsichtlich der Rechtsfolgen, die sie auf die Begünstigung eines
Geächteten setzen, scheinen die verschiedenen germanischen Rechts-
quellen weit auseinanderzugehen. Nordische Rechte drohen dem
Begünstigten dieselbe Friedlosigkeit an, die der Begünstigte sich zu-
gezogen 5, oder verhängen die aus der Ablösung der Friedlosigkeit
hervorgegangene Vierzigmarkbuſse 6. Dem entspricht es, wenn nach
angelsächsischem Rechte derjenige, der einem Friedlosen Aufnahme
und Unterkunft gewährt (feormian), den Frieden 7 oder sein oder des
Begünstigten 8 Wergeld verwirkt. Verwandte Bestimmungen weisen
Tochterrechte des fränkischen Rechtes auf. So sagt eine anglo-nor-
mannische Quelle, daſs, wer einen utlagatus wissentlich begünstige,
die Strafe leiden solle, die den Friedlosen treffen würde 9. Das alt-
französische Recht droht dem Begünstigten eine im Ermessen des
Gerichtsherrn stehende Buſse an, auſserdem Gefängnis und Wüstung
seines Hauses. Nach niederländischen Rechten verfällt in die höchste
Buſse, wer einen bannitus aufnimmt 10.

Dagegen wird nach den fränkischen Volksrechten die Beherbergung
und die Beköstigung eines Ächters nur mit einer Brüche geahndet, die
nach der Lex Salica fünfzehn, nach der Lex Ribuaria sechzig Solidi
beträgt 11. Der Gegensatz, in den sie sich dadurch zu den sonst be-
zeugten Strafsätzen stellen, läſst sich nur daraus erklären, daſs es sich
bei jenen Buſsen um eine minder strafbare Art der Begünstigung
handelt. Denn auch das fränkische Recht muſs für Aufnahme eines

1 Auf derselben Erwägung beruht der Rechtssatz, daſs der Mage, der den
aus der Magschaft ausgeschlossenen Todschläger unterstützt, gleich diesem der Fehde
ausgesetzt ist. Edmund II 1, § 2.
2 Aethelred I 4, 2.
3 Vgl. Aethelred III 13. Aethelstan V pr. § 3.
4 Cap. per missos cognita facienda 803—813, c. 2, I 156. Vgl. oben S. 65.
5 Frostuþíngslög 4, 41.
6 Wilda, Strafrecht S. 286.
7 Aethelstan V pr. § 3.
8 Ine 30. Aethelstan II 2. 20, § 8.
9 Bracton III 2, c. 13, § 1.
10 Siehe oben I 167.
11 Lex Sal. 56; 55, 2; 70; 106. Lex Rib. 87.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0594" n="576"/><fw place="top" type="header">§ 129. Die Begünstigung.</fw><lb/>
feindes und wird daher selbst friedlos <note place="foot" n="1">Auf derselben Erwägung beruht der Rechtssatz, da&#x017F;s der Mage, der den<lb/>
aus der Magschaft ausgeschlossenen Todschläger unterstützt, gleich diesem der Fehde<lb/>
ausgesetzt ist. Edmund II 1, § 2.</note>. Wenn jemand, sagt eine<lb/>
Satzung Aethelreds <note place="foot" n="2">Aethelred I 4, 2.</note>, für den eintritt, der allem Volke ungetreu ist, so<lb/>
seien sie beide des gleichen Rechtes wert <note place="foot" n="3">Vgl. Aethelred III 13. Aethelstan V pr. § 3.</note>. Denselben Gedanken spricht<lb/>
in etwas anderer Form Karl der Gro&#x017F;se aus, indem er bestimmt, da&#x017F;s,<lb/>
wer einen latro aufnehme, gleich einem latro et infidelis verurteilt<lb/>
werden solle, weil der latro dem König und den Franken infidelis sei<lb/>
&#x2018;et qui illum suscipit, similis est illi&#x2019; <note place="foot" n="4">Cap. per missos cognita facienda 803&#x2014;813, c. 2, I 156. Vgl. oben S. 65.</note>.</p><lb/>
            <p>Hinsichtlich der Rechtsfolgen, die sie auf die Begünstigung eines<lb/>
Geächteten setzen, scheinen die verschiedenen germanischen Rechts-<lb/>
quellen weit auseinanderzugehen. Nordische Rechte drohen dem<lb/>
Begünstigten dieselbe Friedlosigkeit an, die der Begünstigte sich zu-<lb/>
gezogen <note place="foot" n="5">Frostuþíngslög 4, 41.</note>, oder verhängen die aus der Ablösung der Friedlosigkeit<lb/>
hervorgegangene Vierzigmarkbu&#x017F;se <note place="foot" n="6"><hi rendition="#g">Wilda</hi>, Strafrecht S. 286.</note>. Dem entspricht es, wenn nach<lb/>
angelsächsischem Rechte derjenige, der einem Friedlosen Aufnahme<lb/>
und Unterkunft gewährt (feormian), den Frieden <note place="foot" n="7">Aethelstan V pr. § 3.</note> oder sein oder des<lb/>
Begünstigten <note place="foot" n="8">Ine 30. Aethelstan II 2. 20, § 8.</note> Wergeld verwirkt. Verwandte Bestimmungen weisen<lb/>
Tochterrechte des fränkischen Rechtes auf. So sagt eine anglo-nor-<lb/>
mannische Quelle, da&#x017F;s, wer einen utlagatus wissentlich begünstige,<lb/>
die Strafe leiden solle, die den Friedlosen treffen würde <note place="foot" n="9">Bracton III 2, c. 13, § 1.</note>. Das alt-<lb/>
französische Recht droht dem Begünstigten eine im Ermessen des<lb/>
Gerichtsherrn stehende Bu&#x017F;se an, au&#x017F;serdem Gefängnis und Wüstung<lb/>
seines Hauses. Nach niederländischen Rechten verfällt in die höchste<lb/>
Bu&#x017F;se, wer einen bannitus aufnimmt <note place="foot" n="10">Siehe oben I 167.</note>.</p><lb/>
            <p>Dagegen wird nach den fränkischen Volksrechten die Beherbergung<lb/>
und die Beköstigung eines Ächters nur mit einer Brüche geahndet, die<lb/>
nach der Lex Salica fünfzehn, nach der Lex Ribuaria sechzig Solidi<lb/>
beträgt <note place="foot" n="11">Lex Sal. 56; 55, 2; 70; 106. Lex Rib. 87.</note>. Der Gegensatz, in den sie sich dadurch zu den sonst be-<lb/>
zeugten Strafsätzen stellen, lä&#x017F;st sich nur daraus erklären, da&#x017F;s es sich<lb/>
bei jenen Bu&#x017F;sen um eine minder strafbare Art der Begünstigung<lb/>
handelt. Denn auch das fränkische Recht mu&#x017F;s für Aufnahme eines<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[576/0594] § 129. Die Begünstigung. feindes und wird daher selbst friedlos 1. Wenn jemand, sagt eine Satzung Aethelreds 2, für den eintritt, der allem Volke ungetreu ist, so seien sie beide des gleichen Rechtes wert 3. Denselben Gedanken spricht in etwas anderer Form Karl der Groſse aus, indem er bestimmt, daſs, wer einen latro aufnehme, gleich einem latro et infidelis verurteilt werden solle, weil der latro dem König und den Franken infidelis sei ‘et qui illum suscipit, similis est illi’ 4. Hinsichtlich der Rechtsfolgen, die sie auf die Begünstigung eines Geächteten setzen, scheinen die verschiedenen germanischen Rechts- quellen weit auseinanderzugehen. Nordische Rechte drohen dem Begünstigten dieselbe Friedlosigkeit an, die der Begünstigte sich zu- gezogen 5, oder verhängen die aus der Ablösung der Friedlosigkeit hervorgegangene Vierzigmarkbuſse 6. Dem entspricht es, wenn nach angelsächsischem Rechte derjenige, der einem Friedlosen Aufnahme und Unterkunft gewährt (feormian), den Frieden 7 oder sein oder des Begünstigten 8 Wergeld verwirkt. Verwandte Bestimmungen weisen Tochterrechte des fränkischen Rechtes auf. So sagt eine anglo-nor- mannische Quelle, daſs, wer einen utlagatus wissentlich begünstige, die Strafe leiden solle, die den Friedlosen treffen würde 9. Das alt- französische Recht droht dem Begünstigten eine im Ermessen des Gerichtsherrn stehende Buſse an, auſserdem Gefängnis und Wüstung seines Hauses. Nach niederländischen Rechten verfällt in die höchste Buſse, wer einen bannitus aufnimmt 10. Dagegen wird nach den fränkischen Volksrechten die Beherbergung und die Beköstigung eines Ächters nur mit einer Brüche geahndet, die nach der Lex Salica fünfzehn, nach der Lex Ribuaria sechzig Solidi beträgt 11. Der Gegensatz, in den sie sich dadurch zu den sonst be- zeugten Strafsätzen stellen, läſst sich nur daraus erklären, daſs es sich bei jenen Buſsen um eine minder strafbare Art der Begünstigung handelt. Denn auch das fränkische Recht muſs für Aufnahme eines 1 Auf derselben Erwägung beruht der Rechtssatz, daſs der Mage, der den aus der Magschaft ausgeschlossenen Todschläger unterstützt, gleich diesem der Fehde ausgesetzt ist. Edmund II 1, § 2. 2 Aethelred I 4, 2. 3 Vgl. Aethelred III 13. Aethelstan V pr. § 3. 4 Cap. per missos cognita facienda 803—813, c. 2, I 156. Vgl. oben S. 65. 5 Frostuþíngslög 4, 41. 6 Wilda, Strafrecht S. 286. 7 Aethelstan V pr. § 3. 8 Ine 30. Aethelstan II 2. 20, § 8. 9 Bracton III 2, c. 13, § 1. 10 Siehe oben I 167. 11 Lex Sal. 56; 55, 2; 70; 106. Lex Rib. 87.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/594
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/594>, abgerufen am 25.04.2024.