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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 129. Die Begünstigung.
zu bringen 24. Der gebundene Dieb gehört nicht dem Bestohlenen,
sondern dem Richter. Wer ihn der Bande, die er ihm angelegt hatte,
entledigt, verwirkt 60 Solidi, gleiche Busse der Dritte, der ihn ge-
waltsam befreit oder den seiner Bewachung anvertrauten Dieb ent-
weichen lässt. Die merowingische Gesetzgebung ging aber noch weiter.
Sie verbot dem Bestohlenen schlechtweg, sich von dem Diebe, mag
er nun gebunden worden sein oder nicht, durch aussergerichtliche
Sühne abfinden zu lassen. Die Übertretung des Verbotes galt für
strafbare Begünstigung. Der Abgefundene sollte dieselbe Strafe erleiden
wie der Dieb 25, eine Strafsatzung, die u. a. den Zweck hatte, dem
Fiskus Friedensgeld und Straflösungsgebühr sicherzustellen, die ihm
durch die Taidigung entgangen wären.

Noch andere Fälle der Begünstigung von Dieben werden in den
Quellen ausdrücklich verpönt. Wer einem Diebe wissentlich Unter-
stand gewährt, soll gleich dem Diebe verurteilt werden 26. Das lango-
bardische Recht lässt den Fährmann, der den Dieb samt der ge-
stohlenen Sache befördert, als Diebsgenossen für die Diebstahlsbusse
haften und legt ihm ausserdem eine Brüche von 20 Solidi auf 27. Der
bekannte Satz, dass der Hehler so gut wie der Stehler, wird zwar in
den deutschen Volksrechten nicht geradezu ausgesprochen 28, ergab
sich aber praktisch aus den Rechtssätzen über Haussuchung und Ane-
fang. Nach der Lex Baiuwariorum wurde die Hehlerei gelinder als
der Diebstahl bestraft. Doch büsste der Hehler wie der Dieb, wenn
er die Sache ableugnete. In Sachsen haftete der Mitwisser begangenen
Diebstahls gleich dem Thäter 29.

Mit Verlust des Lebens oder mit der Hochbusse von 900 Solidi
bedroht der Edictus Langobardorum einzelne schwerere Fälle von

24 Lex Rib. 73, 1. Lex Franc. Chamav. 30.
25 Diesen Grundsatz vertritt schon die Lex Burg. 71. Fränkisches Recht
wurde er spätestens durch Pactus Childeberti et Chlotharii, c. 3. 13: uterque
latronis culpa subiaceat. Von hier aus ist er in die Lex Baiuw. IX 16 (latronis
culpa subiacebit) übergegangen. Ein italienisches Kapitular v. J. 801, Cap. ital.
c. 7, I 205, verlangt die dem Diebe drohende compositio von dem, der ihn ge-
bunden und rechtswidrig freigelassen hat. Vgl. Ine 36.
26 Lex Rib. 78. Cap. 803--813, c. 2, I 156. -- Aethelstan VI 1, 4.
27 Roth. 266: collega sit furoni et cum ipso furtum conponat.
28 Wie in der Lex Wisig. VII 2, 7: non solum qui furtum fecerit, sed etiam
quicunque conscius fuerit vel furtim ablata sciens susceperit, in numero furantium
habeatur et simili vindictae subiaceat. Vgl. Knut II 76.
29 Lex Baiuw. IX 15: si autem ille, qui furtivam rem commendatum suscepit,
et quaerentem dominum negaverit, ille fur est, sicut ille, qui furavit, et ita conponat,
sicut lex habet. Decr. Niuh. c. 7. Vgl. oben S. 497. Lex Sax. 36.
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§ 129. Die Begünstigung.
zu bringen 24. Der gebundene Dieb gehört nicht dem Bestohlenen,
sondern dem Richter. Wer ihn der Bande, die er ihm angelegt hatte,
entledigt, verwirkt 60 Solidi, gleiche Buſse der Dritte, der ihn ge-
waltsam befreit oder den seiner Bewachung anvertrauten Dieb ent-
weichen läſst. Die merowingische Gesetzgebung ging aber noch weiter.
Sie verbot dem Bestohlenen schlechtweg, sich von dem Diebe, mag
er nun gebunden worden sein oder nicht, durch auſsergerichtliche
Sühne abfinden zu lassen. Die Übertretung des Verbotes galt für
strafbare Begünstigung. Der Abgefundene sollte dieselbe Strafe erleiden
wie der Dieb 25, eine Strafsatzung, die u. a. den Zweck hatte, dem
Fiskus Friedensgeld und Straflösungsgebühr sicherzustellen, die ihm
durch die Taidigung entgangen wären.

Noch andere Fälle der Begünstigung von Dieben werden in den
Quellen ausdrücklich verpönt. Wer einem Diebe wissentlich Unter-
stand gewährt, soll gleich dem Diebe verurteilt werden 26. Das lango-
bardische Recht läſst den Fährmann, der den Dieb samt der ge-
stohlenen Sache befördert, als Diebsgenossen für die Diebstahlsbuſse
haften und legt ihm auſserdem eine Brüche von 20 Solidi auf 27. Der
bekannte Satz, daſs der Hehler so gut wie der Stehler, wird zwar in
den deutschen Volksrechten nicht geradezu ausgesprochen 28, ergab
sich aber praktisch aus den Rechtssätzen über Haussuchung und Ane-
fang. Nach der Lex Baiuwariorum wurde die Hehlerei gelinder als
der Diebstahl bestraft. Doch büſste der Hehler wie der Dieb, wenn
er die Sache ableugnete. In Sachsen haftete der Mitwisser begangenen
Diebstahls gleich dem Thäter 29.

Mit Verlust des Lebens oder mit der Hochbuſse von 900 Solidi
bedroht der Edictus Langobardorum einzelne schwerere Fälle von

24 Lex Rib. 73, 1. Lex Franc. Chamav. 30.
25 Diesen Grundsatz vertritt schon die Lex Burg. 71. Fränkisches Recht
wurde er spätestens durch Pactus Childeberti et Chlotharii, c. 3. 13: uterque
latronis culpa subiaceat. Von hier aus ist er in die Lex Baiuw. IX 16 (latronis
culpa subiacebit) übergegangen. Ein italienisches Kapitular v. J. 801, Cap. ital.
c. 7, I 205, verlangt die dem Diebe drohende compositio von dem, der ihn ge-
bunden und rechtswidrig freigelassen hat. Vgl. Ine 36.
26 Lex Rib. 78. Cap. 803—813, c. 2, I 156. — Aethelstan VI 1, 4.
27 Roth. 266: collega sit furoni et cum ipso furtum conponat.
28 Wie in der Lex Wisig. VII 2, 7: non solum qui furtum fecerit, sed etiam
quicunque conscius fuerit vel furtim ablata sciens susceperit, in numero furantium
habeatur et simili vindictae subiaceat. Vgl. Knut II 76.
29 Lex Baiuw. IX 15: si autem ille, qui furtivam rem commendatum suscepit,
et quaerentem dominum negaverit, ille fur est, sicut ille, qui furavit, et ita conponat,
sicut lex habet. Decr. Niuh. c. 7. Vgl. oben S. 497. Lex Sax. 36.
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[579/0597] § 129. Die Begünstigung. zu bringen 24. Der gebundene Dieb gehört nicht dem Bestohlenen, sondern dem Richter. Wer ihn der Bande, die er ihm angelegt hatte, entledigt, verwirkt 60 Solidi, gleiche Buſse der Dritte, der ihn ge- waltsam befreit oder den seiner Bewachung anvertrauten Dieb ent- weichen läſst. Die merowingische Gesetzgebung ging aber noch weiter. Sie verbot dem Bestohlenen schlechtweg, sich von dem Diebe, mag er nun gebunden worden sein oder nicht, durch auſsergerichtliche Sühne abfinden zu lassen. Die Übertretung des Verbotes galt für strafbare Begünstigung. Der Abgefundene sollte dieselbe Strafe erleiden wie der Dieb 25, eine Strafsatzung, die u. a. den Zweck hatte, dem Fiskus Friedensgeld und Straflösungsgebühr sicherzustellen, die ihm durch die Taidigung entgangen wären. Noch andere Fälle der Begünstigung von Dieben werden in den Quellen ausdrücklich verpönt. Wer einem Diebe wissentlich Unter- stand gewährt, soll gleich dem Diebe verurteilt werden 26. Das lango- bardische Recht läſst den Fährmann, der den Dieb samt der ge- stohlenen Sache befördert, als Diebsgenossen für die Diebstahlsbuſse haften und legt ihm auſserdem eine Brüche von 20 Solidi auf 27. Der bekannte Satz, daſs der Hehler so gut wie der Stehler, wird zwar in den deutschen Volksrechten nicht geradezu ausgesprochen 28, ergab sich aber praktisch aus den Rechtssätzen über Haussuchung und Ane- fang. Nach der Lex Baiuwariorum wurde die Hehlerei gelinder als der Diebstahl bestraft. Doch büſste der Hehler wie der Dieb, wenn er die Sache ableugnete. In Sachsen haftete der Mitwisser begangenen Diebstahls gleich dem Thäter 29. Mit Verlust des Lebens oder mit der Hochbuſse von 900 Solidi bedroht der Edictus Langobardorum einzelne schwerere Fälle von 24 Lex Rib. 73, 1. Lex Franc. Chamav. 30. 25 Diesen Grundsatz vertritt schon die Lex Burg. 71. Fränkisches Recht wurde er spätestens durch Pactus Childeberti et Chlotharii, c. 3. 13: uterque latronis culpa subiaceat. Von hier aus ist er in die Lex Baiuw. IX 16 (latronis culpa subiacebit) übergegangen. Ein italienisches Kapitular v. J. 801, Cap. ital. c. 7, I 205, verlangt die dem Diebe drohende compositio von dem, der ihn ge- bunden und rechtswidrig freigelassen hat. Vgl. Ine 36. 26 Lex Rib. 78. Cap. 803—813, c. 2, I 156. — Aethelstan VI 1, 4. 27 Roth. 266: collega sit furoni et cum ipso furtum conponat. 28 Wie in der Lex Wisig. VII 2, 7: non solum qui furtum fecerit, sed etiam quicunque conscius fuerit vel furtim ablata sciens susceperit, in numero furantium habeatur et simili vindictae subiaceat. Vgl. Knut II 76. 29 Lex Baiuw. IX 15: si autem ille, qui furtivam rem commendatum suscepit, et quaerentem dominum negaverit, ille fur est, sicut ille, qui furavit, et ita conponat, sicut lex habet. Decr. Niuh. c. 7. Vgl. oben S. 497. Lex Sax. 36. 37*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/597>, abgerufen am 28.03.2024.