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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 65. Königsfriede.
welcher nicht der König, sondern die Gerichtsgemeinde das Friedens-
geld bezog. Ferner durften die sächsischen Volksgerichte gegen die
Ungehorsamen mit der Ausübung des Brandrechtes einschreiten 4, ohne
dass eine Friedloslegung von Seite des Königs oder des königlichen
Beamten vorausgegangen wäre. Besondere Verhältnisse scheinen zu
Anfang des neunten Jahrhunderts auch im Gebiete des Bischofs von
Chur bestanden zu haben, und überhaupt mögen sich Reste eines vom
Königtum unabhängigen Volksfriedens in verschiedenen Teilen des
Reiches erhalten haben, ohne dass wir Kunde davon besitzen.

Im allgemeinen wurde die Handhabung des Landfriedens mehr
und mehr in den Händen des Königs und seines Beamtentums con-
centriert, indem sie zum Zwecke der Friedensbewahrung Funktionen
an sich zogen, die früher dem Verletzten und seiner Sippe oder den
Volksgemeinden und ihren Beamten überlassen waren. Diese Ent-
wicklung äussert sich einerseits in der Beschränkung der Selbsthilfe
und des Rechtes der Fehde und Rache, andrerseits bei der Ver-
hängung und Geltendmachung der Acht, ihrer Spielarten und Ab-
spaltungen, insbesondere der Todesstrafen 5. War es z. B. einstens
Recht und Pflicht der Volksgenossen gewesen, den Verbrecher bei
handhafter That zu verfolgen und zu töten, so haben sie jetzt nur
noch die Pflicht und das Recht, ihn zu binden und vor den Richter
zu bringen, dem es obliegt, den Missethäter zu justificieren 6. Friede
und Friedlosigkeit werden so sehr auf die Person des Königs bezogen,
dass die Verhängung der eigentlichen Acht sich bei den Franken zu
einem Sonderrechte des Königs gestaltete und dass die Verwirkung des
Friedens unter den Gesichtspunkt der Infidelität gebracht wurde 7.
Weil der Friede Königsfriede ist, hat der König die Befugnis, im ein-
zelnen Falle die Konsequenzen der Friedlosigkeit zu bestimmen, ihren
Inhalt abzuschwächen, auf eine der in ihr enthaltenen Straffolgen zu
erkennen. Darum vermag der König dem Missethäter das Leben zu
schenken, das er verwirkt hat, die Todesstrafe in Verlust des Ver-
mögens, in Verbannung, in eine Leibes- oder Vermögensstrafe um-
zuwandeln 8. Darum vermag der König die Bestrafung von Personen

4 Siehe oben I 169.
5 Im einzelnen ist diese Entwicklung in der Geschichte des Rechtsgangs und
des Strafrechts nachzuweisen.
6 Siehe unten § 116 und Z2. f. RG XI 76.
7 Siehe unten § 67.
8 In diesem Sinne ist es wohl zu verstehen, wenn der Monachus Sangall.
II 11 S. 754 von Karl d. Gr. sagt: nullo unquam compelli potuit, ut quempiam
condempnaret ad mortem.

§ 65. Königsfriede.
welcher nicht der König, sondern die Gerichtsgemeinde das Friedens-
geld bezog. Ferner durften die sächsischen Volksgerichte gegen die
Ungehorsamen mit der Ausübung des Brandrechtes einschreiten 4, ohne
daſs eine Friedloslegung von Seite des Königs oder des königlichen
Beamten vorausgegangen wäre. Besondere Verhältnisse scheinen zu
Anfang des neunten Jahrhunderts auch im Gebiete des Bischofs von
Chur bestanden zu haben, und überhaupt mögen sich Reste eines vom
Königtum unabhängigen Volksfriedens in verschiedenen Teilen des
Reiches erhalten haben, ohne daſs wir Kunde davon besitzen.

Im allgemeinen wurde die Handhabung des Landfriedens mehr
und mehr in den Händen des Königs und seines Beamtentums con-
centriert, indem sie zum Zwecke der Friedensbewahrung Funktionen
an sich zogen, die früher dem Verletzten und seiner Sippe oder den
Volksgemeinden und ihren Beamten überlassen waren. Diese Ent-
wicklung äuſsert sich einerseits in der Beschränkung der Selbsthilfe
und des Rechtes der Fehde und Rache, andrerseits bei der Ver-
hängung und Geltendmachung der Acht, ihrer Spielarten und Ab-
spaltungen, insbesondere der Todesstrafen 5. War es z. B. einstens
Recht und Pflicht der Volksgenossen gewesen, den Verbrecher bei
handhafter That zu verfolgen und zu töten, so haben sie jetzt nur
noch die Pflicht und das Recht, ihn zu binden und vor den Richter
zu bringen, dem es obliegt, den Missethäter zu justificieren 6. Friede
und Friedlosigkeit werden so sehr auf die Person des Königs bezogen,
daſs die Verhängung der eigentlichen Acht sich bei den Franken zu
einem Sonderrechte des Königs gestaltete und daſs die Verwirkung des
Friedens unter den Gesichtspunkt der Infidelität gebracht wurde 7.
Weil der Friede Königsfriede ist, hat der König die Befugnis, im ein-
zelnen Falle die Konsequenzen der Friedlosigkeit zu bestimmen, ihren
Inhalt abzuschwächen, auf eine der in ihr enthaltenen Straffolgen zu
erkennen. Darum vermag der König dem Missethäter das Leben zu
schenken, das er verwirkt hat, die Todesstrafe in Verlust des Ver-
mögens, in Verbannung, in eine Leibes- oder Vermögensstrafe um-
zuwandeln 8. Darum vermag der König die Bestrafung von Personen

4 Siehe oben I 169.
5 Im einzelnen ist diese Entwicklung in der Geschichte des Rechtsgangs und
des Strafrechts nachzuweisen.
6 Siehe unten § 116 und Z2. f. RG XI 76.
7 Siehe unten § 67.
8 In diesem Sinne ist es wohl zu verstehen, wenn der Monachus Sangall.
II 11 S. 754 von Karl d. Gr. sagt: nullo unquam compelli potuit, ut quempiam
condempnaret ad mortem.
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[43/0061] § 65. Königsfriede. welcher nicht der König, sondern die Gerichtsgemeinde das Friedens- geld bezog. Ferner durften die sächsischen Volksgerichte gegen die Ungehorsamen mit der Ausübung des Brandrechtes einschreiten 4, ohne daſs eine Friedloslegung von Seite des Königs oder des königlichen Beamten vorausgegangen wäre. Besondere Verhältnisse scheinen zu Anfang des neunten Jahrhunderts auch im Gebiete des Bischofs von Chur bestanden zu haben, und überhaupt mögen sich Reste eines vom Königtum unabhängigen Volksfriedens in verschiedenen Teilen des Reiches erhalten haben, ohne daſs wir Kunde davon besitzen. Im allgemeinen wurde die Handhabung des Landfriedens mehr und mehr in den Händen des Königs und seines Beamtentums con- centriert, indem sie zum Zwecke der Friedensbewahrung Funktionen an sich zogen, die früher dem Verletzten und seiner Sippe oder den Volksgemeinden und ihren Beamten überlassen waren. Diese Ent- wicklung äuſsert sich einerseits in der Beschränkung der Selbsthilfe und des Rechtes der Fehde und Rache, andrerseits bei der Ver- hängung und Geltendmachung der Acht, ihrer Spielarten und Ab- spaltungen, insbesondere der Todesstrafen 5. War es z. B. einstens Recht und Pflicht der Volksgenossen gewesen, den Verbrecher bei handhafter That zu verfolgen und zu töten, so haben sie jetzt nur noch die Pflicht und das Recht, ihn zu binden und vor den Richter zu bringen, dem es obliegt, den Missethäter zu justificieren 6. Friede und Friedlosigkeit werden so sehr auf die Person des Königs bezogen, daſs die Verhängung der eigentlichen Acht sich bei den Franken zu einem Sonderrechte des Königs gestaltete und daſs die Verwirkung des Friedens unter den Gesichtspunkt der Infidelität gebracht wurde 7. Weil der Friede Königsfriede ist, hat der König die Befugnis, im ein- zelnen Falle die Konsequenzen der Friedlosigkeit zu bestimmen, ihren Inhalt abzuschwächen, auf eine der in ihr enthaltenen Straffolgen zu erkennen. Darum vermag der König dem Missethäter das Leben zu schenken, das er verwirkt hat, die Todesstrafe in Verlust des Ver- mögens, in Verbannung, in eine Leibes- oder Vermögensstrafe um- zuwandeln 8. Darum vermag der König die Bestrafung von Personen 4 Siehe oben I 169. 5 Im einzelnen ist diese Entwicklung in der Geschichte des Rechtsgangs und des Strafrechts nachzuweisen. 6 Siehe unten § 116 und Z2. f. RG XI 76. 7 Siehe unten § 67. 8 In diesem Sinne ist es wohl zu verstehen, wenn der Monachus Sangall. II 11 S. 754 von Karl d. Gr. sagt: nullo unquam compelli potuit, ut quempiam condempnaret ad mortem.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/61>, abgerufen am 29.03.2024.