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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 133. Die Lebensstrafen.
brechen, rotis innectere, rotae intendere28; 7. das Zerreissen durch
Pferde oder zu Tode schleifen29; 8. den Zerstücklungs- oder Ver-
stümmelungstod30. Ein schon öfter erwähnter Zusatz zur Lex Frisio-
num bezeugt uns eine als Menschenopfer am Meeresstrande vollzogene
Hinrichtung, der das Schlitzen der Ohren und die Castration voraus-
gingen31.

Die Acht wirkte über den Tod dss Missethäters hinaus. Auch sein
Leichnam sollte keinen Frieden haben. Das ehrliche Begräbnis blieb ihm
versagt. Darum wird in jüngeren Ächtungsformeln des Ächters Leib und
Fleisch den Tieren des Waldes, den Vögeln der Luft, den Fischen im
Wasser 'erteilt'32. Was in dieser Beziehung vom Geächteten, galt auch
vom Hingerichteten. Besondere Erlaubnis muss sich der heilige Eligius
erbitten, um die Körper der Hingerichteten von Galgen und Rad nehmen
und bestatten zu dürfen33. Auf einem Mainzer Concil wurde i. J. 847
von kirchlicher Seite die Frage aufgeworfen, ob den gehängten Ver-
brechern das kirchliche Begräbnis zu gewähren sei, und zu Gunsten
derjenigen bejahet, die vor dem Tode gehörig gebeichtet hatten34.
Nachmals hielt man es für nötig, dem Leichnam des Hingerichteten
vom Richter Frieden wirken zu lassen und dann für ihn den Kirch-
hof zu erbitten35.


Häufig in der Lex Wisig. besonders bei Knechten. Geib S. 191. Bei den Franken
so, dass der Delinquent an einen Pfahl gebunden wurde. Auf einer Hürde, Hurt,
in clita, clinata nach Pactus Alamann. II 35 (vgl. oben S. 410, Anm. 57). Altfranz.
ardoir dedenz un re (rete, Netz). Siehe Diez, WB II c s. v. re.
28 Lex Sal. 70 (siehe oben S. 475). Greg. Tur. Hist. Franc. III 7, V 18
(S. 215, 18), VI 35 (an Weibern). Audoeni vita S. Eligii II 31.
29 Greg. Tur. Hist. Franc. III 7. Fredegar IV 42.
30 Greg. Tur. Hist. Franc. III 15 (S. 125): alium gladiorum ictibus in frusta
discerpi iubebam. Vgl. Lex Sal. 41, 8. Greg. Tur. a. O. III 15 (S. 215).
31 Siehe oben S. 483.
32 Nach der Gragas, II 333, I a S. 165, wird durch die Ächtungformel dem
Friedlosen der Kirchhof versagt. Wilda, Strafrecht S. 294. Nach angelsächsischem
Rechte sollen Todschläger, Ehebrecher, solche, die eine Nonne beschliefen, und
Meineidige der geweihten Grabstätte nicht würdig sein. Edmund I 4. Aethelstan
II 25, pr. Schmid, Ges. d. Ags. S. 658.
33 Audoeni Vita S. Eligii II 31. Vgl. Greg. Tur. Hist. Franc. III 7: con-
fractis ossibus canibus avibusque eas in cibaria dederunt. Corbinian bittet in der
oben Anm. 21 angeführten Stelle, dass ihm wenigstens der Leichnam des Gehängten
nicht verweigert werde.
34 Concil. Mog. c. 27, Cap. II 182.
35 Richtsteig Ldr. 35, § 8.

§ 133. Die Lebensstrafen.
brechen, rotis innectere, rotae intendere28; 7. das Zerreiſsen durch
Pferde oder zu Tode schleifen29; 8. den Zerstücklungs- oder Ver-
stümmelungstod30. Ein schon öfter erwähnter Zusatz zur Lex Frisio-
num bezeugt uns eine als Menschenopfer am Meeresstrande vollzogene
Hinrichtung, der das Schlitzen der Ohren und die Castration voraus-
gingen31.

Die Acht wirkte über den Tod dss Missethäters hinaus. Auch sein
Leichnam sollte keinen Frieden haben. Das ehrliche Begräbnis blieb ihm
versagt. Darum wird in jüngeren Ächtungsformeln des Ächters Leib und
Fleisch den Tieren des Waldes, den Vögeln der Luft, den Fischen im
Wasser ‘erteilt’32. Was in dieser Beziehung vom Geächteten, galt auch
vom Hingerichteten. Besondere Erlaubnis muſs sich der heilige Eligius
erbitten, um die Körper der Hingerichteten von Galgen und Rad nehmen
und bestatten zu dürfen33. Auf einem Mainzer Concil wurde i. J. 847
von kirchlicher Seite die Frage aufgeworfen, ob den gehängten Ver-
brechern das kirchliche Begräbnis zu gewähren sei, und zu Gunsten
derjenigen bejahet, die vor dem Tode gehörig gebeichtet hatten34.
Nachmals hielt man es für nötig, dem Leichnam des Hingerichteten
vom Richter Frieden wirken zu lassen und dann für ihn den Kirch-
hof zu erbitten35.


Häufig in der Lex Wisig. besonders bei Knechten. Geib S. 191. Bei den Franken
so, daſs der Delinquent an einen Pfahl gebunden wurde. Auf einer Hürde, Hurt,
in clita, clinata nach Pactus Alamann. II 35 (vgl. oben S. 410, Anm. 57). Altfranz.
ardoir dedenz un ré (rete, Netz). Siehe Diez, WB II c s. v. ré.
28 Lex Sal. 70 (siehe oben S. 475). Greg. Tur. Hist. Franc. III 7, V 18
(S. 215, 18), VI 35 (an Weibern). Audoeni vita S. Eligii II 31.
29 Greg. Tur. Hist. Franc. III 7. Fredegar IV 42.
30 Greg. Tur. Hist. Franc. III 15 (S. 125): alium gladiorum ictibus in frusta
discerpi iubebam. Vgl. Lex Sal. 41, 8. Greg. Tur. a. O. III 15 (S. 215).
31 Siehe oben S. 483.
32 Nach der Grágás, II 333, I a S. 165, wird durch die Ächtungformel dem
Friedlosen der Kirchhof versagt. Wilda, Strafrecht S. 294. Nach angelsächsischem
Rechte sollen Todschläger, Ehebrecher, solche, die eine Nonne beschliefen, und
Meineidige der geweihten Grabstätte nicht würdig sein. Edmund I 4. Aethelstan
II 25, pr. Schmid, Ges. d. Ags. S. 658.
33 Audoeni Vita S. Eligii II 31. Vgl. Greg. Tur. Hist. Franc. III 7: con-
fractis ossibus canibus avibusque eas in cibaria dederunt. Corbinian bittet in der
oben Anm. 21 angeführten Stelle, daſs ihm wenigstens der Leichnam des Gehängten
nicht verweigert werde.
34 Concil. Mog. c. 27, Cap. II 182.
35 Richtsteig Ldr. 35, § 8.
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[602/0620] § 133. Die Lebensstrafen. brechen, rotis innectere, rotae intendere 28; 7. das Zerreiſsen durch Pferde oder zu Tode schleifen 29; 8. den Zerstücklungs- oder Ver- stümmelungstod 30. Ein schon öfter erwähnter Zusatz zur Lex Frisio- num bezeugt uns eine als Menschenopfer am Meeresstrande vollzogene Hinrichtung, der das Schlitzen der Ohren und die Castration voraus- gingen 31. Die Acht wirkte über den Tod dss Missethäters hinaus. Auch sein Leichnam sollte keinen Frieden haben. Das ehrliche Begräbnis blieb ihm versagt. Darum wird in jüngeren Ächtungsformeln des Ächters Leib und Fleisch den Tieren des Waldes, den Vögeln der Luft, den Fischen im Wasser ‘erteilt’ 32. Was in dieser Beziehung vom Geächteten, galt auch vom Hingerichteten. Besondere Erlaubnis muſs sich der heilige Eligius erbitten, um die Körper der Hingerichteten von Galgen und Rad nehmen und bestatten zu dürfen 33. Auf einem Mainzer Concil wurde i. J. 847 von kirchlicher Seite die Frage aufgeworfen, ob den gehängten Ver- brechern das kirchliche Begräbnis zu gewähren sei, und zu Gunsten derjenigen bejahet, die vor dem Tode gehörig gebeichtet hatten 34. Nachmals hielt man es für nötig, dem Leichnam des Hingerichteten vom Richter Frieden wirken zu lassen und dann für ihn den Kirch- hof zu erbitten 35. 27 28 Lex Sal. 70 (siehe oben S. 475). Greg. Tur. Hist. Franc. III 7, V 18 (S. 215, 18), VI 35 (an Weibern). Audoeni vita S. Eligii II 31. 29 Greg. Tur. Hist. Franc. III 7. Fredegar IV 42. 30 Greg. Tur. Hist. Franc. III 15 (S. 125): alium gladiorum ictibus in frusta discerpi iubebam. Vgl. Lex Sal. 41, 8. Greg. Tur. a. O. III 15 (S. 215). 31 Siehe oben S. 483. 32 Nach der Grágás, II 333, I a S. 165, wird durch die Ächtungformel dem Friedlosen der Kirchhof versagt. Wilda, Strafrecht S. 294. Nach angelsächsischem Rechte sollen Todschläger, Ehebrecher, solche, die eine Nonne beschliefen, und Meineidige der geweihten Grabstätte nicht würdig sein. Edmund I 4. Aethelstan II 25, pr. Schmid, Ges. d. Ags. S. 658. 33 Audoeni Vita S. Eligii II 31. Vgl. Greg. Tur. Hist. Franc. III 7: con- fractis ossibus canibus avibusque eas in cibaria dederunt. Corbinian bittet in der oben Anm. 21 angeführten Stelle, daſs ihm wenigstens der Leichnam des Gehängten nicht verweigert werde. 34 Concil. Mog. c. 27, Cap. II 182. 35 Richtsteig Ldr. 35, § 8. 27 Häufig in der Lex Wisig. besonders bei Knechten. Geib S. 191. Bei den Franken so, daſs der Delinquent an einen Pfahl gebunden wurde. Auf einer Hürde, Hurt, in clita, clinata nach Pactus Alamann. II 35 (vgl. oben S. 410, Anm. 57). Altfranz. ardoir dedenz un ré (rete, Netz). Siehe Diez, WB II c s. v. ré.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/620>, abgerufen am 29.03.2024.