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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 140. Die Heimsuchung.
assultura genannt wird. Nach einer Aufzeichnung über die karolin-
gischen Bannfälle begeht harizuht, wer Zaun, Thüre oder Haus ge-
waltsam erbricht 8. Mit der Heimsuchung kann andere Gewaltthat
konkurrieren; so Verwundung, Raub, Sachbeschädigung. Nach salischem
Rechte wird dadurch die That zu einer Heimsuchung höherer Straf-
barkeit gesteigert 9. Manche Rechte nehmen solche Gewaltakte geradezu
in den Thatbestand der Heimsuchung auf 10 oder stellen sie wenigstens
nicht unter besondere Busse 11. Andere endlich strafen sie nach den
Grundsätzen kumulativer Konkurrenz 12. Der aus Anlass einer Heim-
suchung begangene Todschlag wird regelmässig als qualifizierter Tod-
schlag gebüsst 13.

Eine Gruppe von Rechten sieht das Merkmal der Heimsuchung
schon in der feindseligen Umzingelung des Hauses; so das bairische,
das friesische und anglo-warnische Recht 14. Heimsuchung hat nämlich
schon verbrochen, qui manu collecta hostiliter domum alterius circum-
dederit, hostili manu cinxerit. Gemäss dem Geiste des alten Rechtes
musste die feindselige Absicht zu typischem Ausdrucke gelangt sein;
nach dem Baiernrechte dadurch, dass der Führer der Bande einen
Pfeil oder Speer oder sonst ein Geschoss in den umzingelten Hof ab-
schoss 15. Laut den sogenannten Leges Henrici primi genügte ein
gegen die Thüre oder das Haus gerichteter Pfeilschuss oder Stein-
wurf oder ein demonstrativer Schlag (colpus ostensibilis) 16. Pfeil-
schuss oder Gerwurf waren Zeichen der Kriegserklärung, symbolische
Handlungen, durch die man in heidnischer Zeit den Feind dem
Kriegsgotte zu weihen pflegte 17.


8 Summula de bannis c 7, Cap. I 224: qui harizhut facit, hoc est, qui frangit
alterius sepem aut portam aut casam cum virtute.
9 Lex Sal. 14, 6, Cod. 5. 6: si ... ibidem ostia fregerit, canes occiderit vel
homines plagaverit aut in carro aliquid exinde duxerit...
10 So nordische Rechte. Wilda, Strafrecht S. 955. Vgl Jydske Lov II 30.
11 Arg. Roth. 379, wonach die Zerstörung des Daches eines bewohnten
Hauses unter die Strafe des Haritraib fällt; Roth. 19, wonach bei Haritraib nur
Tötung und Brandstiftung besonders gebüsst werden. Lex Rib. 64: quicquid ibi-
dem talaverint, restituant (ohne besondere Busse). Lex Fris. 17, 4, Zusatz für
Ostfriesland.
12 So das mittel- und westfriesische Recht nach Lex Fris. 17, 4.
13 Siehe oben § 130. Bei den Langobarden einfach neben der Heimsuchungsbusse.
14 Lex Baiuw. IV 23. Lex Fris. 17, 4. Lex Angl. et Werin. 57.
15 Lex Baiuw. a. O. Das langobardische Recht (Roth. 34) stellt den Pfeil-
schuss oder Speerwurf unabhängig von der Heimsuchung unter Strafe.
16 Leges Henrici primi 80, 11.
17 Weinhold, Beiträge zu den deutschen Kriegsaltertümern, Berliner SB
1891, S. 560 ff.

§ 140. Die Heimsuchung.
assultura genannt wird. Nach einer Aufzeichnung über die karolin-
gischen Bannfälle begeht harizuht, wer Zaun, Thüre oder Haus ge-
waltsam erbricht 8. Mit der Heimsuchung kann andere Gewaltthat
konkurrieren; so Verwundung, Raub, Sachbeschädigung. Nach salischem
Rechte wird dadurch die That zu einer Heimsuchung höherer Straf-
barkeit gesteigert 9. Manche Rechte nehmen solche Gewaltakte geradezu
in den Thatbestand der Heimsuchung auf 10 oder stellen sie wenigstens
nicht unter besondere Buſse 11. Andere endlich strafen sie nach den
Grundsätzen kumulativer Konkurrenz 12. Der aus Anlaſs einer Heim-
suchung begangene Todschlag wird regelmäſsig als qualifizierter Tod-
schlag gebüſst 13.

Eine Gruppe von Rechten sieht das Merkmal der Heimsuchung
schon in der feindseligen Umzingelung des Hauses; so das bairische,
das friesische und anglo-warnische Recht 14. Heimsuchung hat nämlich
schon verbrochen, qui manu collecta hostiliter domum alterius circum-
dederit, hostili manu cinxerit. Gemäſs dem Geiste des alten Rechtes
muſste die feindselige Absicht zu typischem Ausdrucke gelangt sein;
nach dem Baiernrechte dadurch, daſs der Führer der Bande einen
Pfeil oder Speer oder sonst ein Geschoſs in den umzingelten Hof ab-
schoſs 15. Laut den sogenannten Leges Henrici primi genügte ein
gegen die Thüre oder das Haus gerichteter Pfeilschuſs oder Stein-
wurf oder ein demonstrativer Schlag (colpus ostensibilis) 16. Pfeil-
schuſs oder Gerwurf waren Zeichen der Kriegserklärung, symbolische
Handlungen, durch die man in heidnischer Zeit den Feind dem
Kriegsgotte zu weihen pflegte 17.


8 Summula de bannis c 7, Cap. I 224: qui harizhut facit, hoc est, qui frangit
alterius sepem aut portam aut casam cum virtute.
9 Lex Sal. 14, 6, Cod. 5. 6: si … ibidem ostia fregerit, canes occiderit vel
homines plagaverit aut in carro aliquid exinde duxerit…
10 So nordische Rechte. Wilda, Strafrecht S. 955. Vgl Jydske Lov II 30.
11 Arg. Roth. 379, wonach die Zerstörung des Daches eines bewohnten
Hauses unter die Strafe des Haritraib fällt; Roth. 19, wonach bei Haritraib nur
Tötung und Brandstiftung besonders gebüſst werden. Lex Rib. 64: quicquid ibi-
dem talaverint, restituant (ohne besondere Buſse). Lex Fris. 17, 4, Zusatz für
Ostfriesland.
12 So das mittel- und westfriesische Recht nach Lex Fris. 17, 4.
13 Siehe oben § 130. Bei den Langobarden einfach neben der Heimsuchungsbuſse.
14 Lex Baiuw. IV 23. Lex Fris. 17, 4. Lex Angl. et Werin. 57.
15 Lex Baiuw. a. O. Das langobardische Recht (Roth. 34) stellt den Pfeil-
schuſs oder Speerwurf unabhängig von der Heimsuchung unter Strafe.
16 Leges Henrici primi 80, 11.
17 Weinhold, Beiträge zu den deutschen Kriegsaltertümern, Berliner SB
1891, S. 560 ff.
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[652/0670] § 140. Die Heimsuchung. assultura genannt wird. Nach einer Aufzeichnung über die karolin- gischen Bannfälle begeht harizuht, wer Zaun, Thüre oder Haus ge- waltsam erbricht 8. Mit der Heimsuchung kann andere Gewaltthat konkurrieren; so Verwundung, Raub, Sachbeschädigung. Nach salischem Rechte wird dadurch die That zu einer Heimsuchung höherer Straf- barkeit gesteigert 9. Manche Rechte nehmen solche Gewaltakte geradezu in den Thatbestand der Heimsuchung auf 10 oder stellen sie wenigstens nicht unter besondere Buſse 11. Andere endlich strafen sie nach den Grundsätzen kumulativer Konkurrenz 12. Der aus Anlaſs einer Heim- suchung begangene Todschlag wird regelmäſsig als qualifizierter Tod- schlag gebüſst 13. Eine Gruppe von Rechten sieht das Merkmal der Heimsuchung schon in der feindseligen Umzingelung des Hauses; so das bairische, das friesische und anglo-warnische Recht 14. Heimsuchung hat nämlich schon verbrochen, qui manu collecta hostiliter domum alterius circum- dederit, hostili manu cinxerit. Gemäſs dem Geiste des alten Rechtes muſste die feindselige Absicht zu typischem Ausdrucke gelangt sein; nach dem Baiernrechte dadurch, daſs der Führer der Bande einen Pfeil oder Speer oder sonst ein Geschoſs in den umzingelten Hof ab- schoſs 15. Laut den sogenannten Leges Henrici primi genügte ein gegen die Thüre oder das Haus gerichteter Pfeilschuſs oder Stein- wurf oder ein demonstrativer Schlag (colpus ostensibilis) 16. Pfeil- schuſs oder Gerwurf waren Zeichen der Kriegserklärung, symbolische Handlungen, durch die man in heidnischer Zeit den Feind dem Kriegsgotte zu weihen pflegte 17. 8 Summula de bannis c 7, Cap. I 224: qui harizhut facit, hoc est, qui frangit alterius sepem aut portam aut casam cum virtute. 9 Lex Sal. 14, 6, Cod. 5. 6: si … ibidem ostia fregerit, canes occiderit vel homines plagaverit aut in carro aliquid exinde duxerit… 10 So nordische Rechte. Wilda, Strafrecht S. 955. Vgl Jydske Lov II 30. 11 Arg. Roth. 379, wonach die Zerstörung des Daches eines bewohnten Hauses unter die Strafe des Haritraib fällt; Roth. 19, wonach bei Haritraib nur Tötung und Brandstiftung besonders gebüſst werden. Lex Rib. 64: quicquid ibi- dem talaverint, restituant (ohne besondere Buſse). Lex Fris. 17, 4, Zusatz für Ostfriesland. 12 So das mittel- und westfriesische Recht nach Lex Fris. 17, 4. 13 Siehe oben § 130. Bei den Langobarden einfach neben der Heimsuchungsbuſse. 14 Lex Baiuw. IV 23. Lex Fris. 17, 4. Lex Angl. et Werin. 57. 15 Lex Baiuw. a. O. Das langobardische Recht (Roth. 34) stellt den Pfeil- schuſs oder Speerwurf unabhängig von der Heimsuchung unter Strafe. 16 Leges Henrici primi 80, 11. 17 Weinhold, Beiträge zu den deutschen Kriegsaltertümern, Berliner SB 1891, S. 560 ff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 652. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/670>, abgerufen am 18.04.2024.