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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 143. Notzucht und Frauenraub.
ein. Hat der Frauenräuber die That gegen ihren Willen begangen,
so hat er eine Busse von 300 Solidi an die Verwandten 34 und das
sächsische Freienwergeld von 240 Solidi an die Geraubte zu zahlen.
Liess sie sich freiwillig rauben, so erhalten die Verwandten zweimal
300 Solidi, einmal als Busse, einmal als Kaufpreis des Weibes, das
dem Räuber als Ehefrau verbleibt, während es im ersten Falle resti-
tuiert werden muss. Sicherlich ist die Unterscheidung der Lex Saxo-
num jüngeres Recht und erst unter Karl dem Grossen in Sachsen
eingedrungen, nachdem sie sich vorher unter dem Einflusse der Kirche
im Frankenreiche eingebürgert hatte.

Ob und unter welchen Voraussetzungen der Frauenräuber die
Geraubte als Ehefrau behält, ist eine Frage des Eherechtes. Wenn
sie ihm verbleibt, hat er nach ausdrücklicher Vorschrift einzelner
Rechtsquellen den für die Kaufehe geltenden Kaufpreis zu zahlen, so
dass er nach jenen Rechten, welche die Busse dem Kaufpreise gleich-
stellen, in solchem Falle das duplum entrichten muss.

Besondere Grundsätze greifen ein, wenn eine Braut geraubt wird.
Manche Rechte verlangen dafür höhere Busse als bei Frauenraub:
zweihundert Solidi die Lex Alamannorum 35, die doppelte Busse des
Frauenraubes die Lex Baiuwariorum 36, deren jüngere Texte dafür
das Wergeld des Missethäters einsetzen 37. Das ältere salische Recht
straft den Brautraub gleich dem Frauenraube. Das jüngere fügt eine
Injurienbusse von 15 Solidi an den Bräutigam hinzu 38. Nach einem
Kapitular Ludwigs I. soll der Schuldige ausserdem die Bannbusse
zahlen oder auf so lange ins Exil gehen, als der König bestimmt 39.
Bei den Chamaven verwirkt der Brauträuber sein Wergeld 40. Im
sächsischen und im langobardischen Rechte muss er neben der Busse,
die der Vormund erhält, an den Bräutigam den Betrag entrichten,

34 Nach v. Richthofen das Wergeld des Weibes und einen fredus von
60 Solidi. Allein die virgo hat nach sächsischem Rechte doppeltes Wergeld, also
480 Solidi. Die Busse entspricht vielmehr dem Kaufpreise der rapta.
35 Ihr halbes Wergeld mit Einschluss des Friedensgeldes. Lex Alam. 51.
Dagegen 400 Solidi, wenn er sie nicht zurückgiebt. Weregeldo suo nach Pactus V 17.
Da der Raub der Ehefrau nach Lex Alam. 50, 1 nur eine Busse von 80 Solidi
zur Folge hat, so wird bei den Alamannen der Brautraub höher gebüsst als der
Ehebruch.
36 Lex Baiuw. VIII 16.
37 Da nach jüngeren Texten auch bei Ehebruch ein Betrag von 160 Solidi
verwirkt ist, steht die Busse des Brautraubes der des Ehebruchs gleich.
38 Lex Sal. 13, 10, Cod. 5. 6. 10. Emend. Recap. A 12.
39 Cap. legg. add. 818/9, c. 9, I 282.
40 Lex Chamav. 47.

§ 143. Notzucht und Frauenraub.
ein. Hat der Frauenräuber die That gegen ihren Willen begangen,
so hat er eine Buſse von 300 Solidi an die Verwandten 34 und das
sächsische Freienwergeld von 240 Solidi an die Geraubte zu zahlen.
Lieſs sie sich freiwillig rauben, so erhalten die Verwandten zweimal
300 Solidi, einmal als Buſse, einmal als Kaufpreis des Weibes, das
dem Räuber als Ehefrau verbleibt, während es im ersten Falle resti-
tuiert werden muſs. Sicherlich ist die Unterscheidung der Lex Saxo-
num jüngeres Recht und erst unter Karl dem Groſsen in Sachsen
eingedrungen, nachdem sie sich vorher unter dem Einflusse der Kirche
im Frankenreiche eingebürgert hatte.

Ob und unter welchen Voraussetzungen der Frauenräuber die
Geraubte als Ehefrau behält, ist eine Frage des Eherechtes. Wenn
sie ihm verbleibt, hat er nach ausdrücklicher Vorschrift einzelner
Rechtsquellen den für die Kaufehe geltenden Kaufpreis zu zahlen, so
daſs er nach jenen Rechten, welche die Buſse dem Kaufpreise gleich-
stellen, in solchem Falle das duplum entrichten muſs.

Besondere Grundsätze greifen ein, wenn eine Braut geraubt wird.
Manche Rechte verlangen dafür höhere Buſse als bei Frauenraub:
zweihundert Solidi die Lex Alamannorum 35, die doppelte Buſse des
Frauenraubes die Lex Baiuwariorum 36, deren jüngere Texte dafür
das Wergeld des Missethäters einsetzen 37. Das ältere salische Recht
straft den Brautraub gleich dem Frauenraube. Das jüngere fügt eine
Injurienbuſse von 15 Solidi an den Bräutigam hinzu 38. Nach einem
Kapitular Ludwigs I. soll der Schuldige auſserdem die Bannbuſse
zahlen oder auf so lange ins Exil gehen, als der König bestimmt 39.
Bei den Chamaven verwirkt der Brauträuber sein Wergeld 40. Im
sächsischen und im langobardischen Rechte muſs er neben der Buſse,
die der Vormund erhält, an den Bräutigam den Betrag entrichten,

34 Nach v. Richthofen das Wergeld des Weibes und einen fredus von
60 Solidi. Allein die virgo hat nach sächsischem Rechte doppeltes Wergeld, also
480 Solidi. Die Buſse entspricht vielmehr dem Kaufpreise der rapta.
35 Ihr halbes Wergeld mit Einschluſs des Friedensgeldes. Lex Alam. 51.
Dagegen 400 Solidi, wenn er sie nicht zurückgiebt. Weregeldo suo nach Pactus V 17.
Da der Raub der Ehefrau nach Lex Alam. 50, 1 nur eine Buſse von 80 Solidi
zur Folge hat, so wird bei den Alamannen der Brautraub höher gebüſst als der
Ehebruch.
36 Lex Baiuw. VIII 16.
37 Da nach jüngeren Texten auch bei Ehebruch ein Betrag von 160 Solidi
verwirkt ist, steht die Buſse des Brautraubes der des Ehebruchs gleich.
38 Lex Sal. 13, 10, Cod. 5. 6. 10. Emend. Recap. A 12.
39 Cap. legg. add. 818/9, c. 9, I 282.
40 Lex Chamav. 47.
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[670/0688] § 143. Notzucht und Frauenraub. ein. Hat der Frauenräuber die That gegen ihren Willen begangen, so hat er eine Buſse von 300 Solidi an die Verwandten 34 und das sächsische Freienwergeld von 240 Solidi an die Geraubte zu zahlen. Lieſs sie sich freiwillig rauben, so erhalten die Verwandten zweimal 300 Solidi, einmal als Buſse, einmal als Kaufpreis des Weibes, das dem Räuber als Ehefrau verbleibt, während es im ersten Falle resti- tuiert werden muſs. Sicherlich ist die Unterscheidung der Lex Saxo- num jüngeres Recht und erst unter Karl dem Groſsen in Sachsen eingedrungen, nachdem sie sich vorher unter dem Einflusse der Kirche im Frankenreiche eingebürgert hatte. Ob und unter welchen Voraussetzungen der Frauenräuber die Geraubte als Ehefrau behält, ist eine Frage des Eherechtes. Wenn sie ihm verbleibt, hat er nach ausdrücklicher Vorschrift einzelner Rechtsquellen den für die Kaufehe geltenden Kaufpreis zu zahlen, so daſs er nach jenen Rechten, welche die Buſse dem Kaufpreise gleich- stellen, in solchem Falle das duplum entrichten muſs. Besondere Grundsätze greifen ein, wenn eine Braut geraubt wird. Manche Rechte verlangen dafür höhere Buſse als bei Frauenraub: zweihundert Solidi die Lex Alamannorum 35, die doppelte Buſse des Frauenraubes die Lex Baiuwariorum 36, deren jüngere Texte dafür das Wergeld des Missethäters einsetzen 37. Das ältere salische Recht straft den Brautraub gleich dem Frauenraube. Das jüngere fügt eine Injurienbuſse von 15 Solidi an den Bräutigam hinzu 38. Nach einem Kapitular Ludwigs I. soll der Schuldige auſserdem die Bannbuſse zahlen oder auf so lange ins Exil gehen, als der König bestimmt 39. Bei den Chamaven verwirkt der Brauträuber sein Wergeld 40. Im sächsischen und im langobardischen Rechte muſs er neben der Buſse, die der Vormund erhält, an den Bräutigam den Betrag entrichten, 34 Nach v. Richthofen das Wergeld des Weibes und einen fredus von 60 Solidi. Allein die virgo hat nach sächsischem Rechte doppeltes Wergeld, also 480 Solidi. Die Buſse entspricht vielmehr dem Kaufpreise der rapta. 35 Ihr halbes Wergeld mit Einschluſs des Friedensgeldes. Lex Alam. 51. Dagegen 400 Solidi, wenn er sie nicht zurückgiebt. Weregeldo suo nach Pactus V 17. Da der Raub der Ehefrau nach Lex Alam. 50, 1 nur eine Buſse von 80 Solidi zur Folge hat, so wird bei den Alamannen der Brautraub höher gebüſst als der Ehebruch. 36 Lex Baiuw. VIII 16. 37 Da nach jüngeren Texten auch bei Ehebruch ein Betrag von 160 Solidi verwirkt ist, steht die Buſse des Brautraubes der des Ehebruchs gleich. 38 Lex Sal. 13, 10, Cod. 5. 6. 10. Emend. Recap. A 12. 39 Cap. legg. add. 818/9, c. 9, I 282. 40 Lex Chamav. 47.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/688>, abgerufen am 25.04.2024.