Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage.

Die Lex Salica unterscheidet zwei Hauptgruppen von Schelte 3, eine
Schelte von geringerer Strafbarkeit, deren Bussen sich auf der Grund-
zahl 15 aufbauen, und eine gefährlichere Schelte, die mit der Busse
der Lebensgefährdung bedroht ist. Die salische Grundbusse von
15 Solidi steht auf die Worte cinitus 4, falsator, delator (Angeber) und
auf den Vorwurf des Meineids 5. Dreifachen Schutz der weiblichen
Ehre scheint die Busse von 45 Solidi darzustellen, die man nach älteren
Texten der Lex Salica verwirkt, wenn man ein freies Weib eine Hure
schilt 6. Nur drei Solidi kosten die Schmähworte concacatus und Fuchs
und der Vorwurf, im Felde den Schild weggeworfen oder aus Feigheit
die Flucht ergriffen zu haben. Bei dem Schimpfworte Hase schwanken
die Handschriften zwischen 3, 6 und 15 Solidi. Strafrechtlich aus-
gezeichnet ist der Vorwurf der Zauberei 7. Wer von einem Manne
sagt, dass er den Hexen den Kessel trage, und es nicht beweisen kann,
zahlt 621/2 Solidi. Das dreifache dieser Busse ist verwirkt, wenn ein
Weib als Hexe, nach jüngeren Texten der Lex auch, wenn sie als
Hure verleumdet wird 8.

Der alamannische Pactus hebt die Schelte nur als Missethat von
Weibern hervor und behandelt sie als busslos, wenn die weibliche
Zunge in Zank und Streit gesündigt hatte. Abgesehen davon büsst
das Weib zwölf Solidi, die alamannische Grundbusse, wenn es gegen

3 Die Schelte wird im Sinne von Beschalken nur in einzelnen Volksrechten
besonders erwähnt. Titel 30 der Lex Salica lautet de conviciis. Einen Katalog
von Scheltworten bringen als jüngeren Zusatz einige Handschriften der Lex Wisi-
gothorum unter der Überschrift: titulus de conviciis et verbis odiose dictis. Einiges
enthalten die alamannischen, langobardischen und die kentischen Rechtsdenkmäler.
Ergiebiger sind die nordischen Quellen.
4 Auch cenitus, cinidus für cinaedus im Sinne von muliebria passus. Angel-
sächsische Glossen bei Wright und Wülcker I 375, 9; 532, 37 geben cenidos, cinae-
dos mit atole scheusslich, grässlich wieder. In den Malbergischen Glossen scheint
die Wurzel quina Weib zu stecken. Verschiedenartige Versuche, den cinitus der
Lex Salica anders zu erklären, bei Du Cange (Henschel) II 271.
5 Er wird nach Lex Sal. 93. 94 mit 15 Solidi gebüsst.
6 Die meretrix fehlt in Lex Sal. 30, 3, den Codices 5. 6 und den Handschriften
der Emendata. Siehe unten Anm. 8. Die Heroldina erwähnt nur den Fall, dass
ein Weib das Schimpfwort ausspricht, und erniedrigt dafür die Busse auf 15 Solidi.
7 Lex Sal. 64, 1. 2. Recapitulatio A 25.
8 So in Lex Sal. 64, 2, Cod. 5. 6, Herold. und Emendata. Siehe oben
Anm. 6. Bei der summarischen und eigenmächtigen Art, in der man damals
gegen Zauberer und Hexen vorging, bei der Strafgewalt, welche die Sippe gegen
weibliche Mitglieder übte, hatte man guten Grund, solche Verleumdungen mit der
Busse der Lebensgefährdung zu ahnden.
§ 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage.

Die Lex Salica unterscheidet zwei Hauptgruppen von Schelte 3, eine
Schelte von geringerer Strafbarkeit, deren Buſsen sich auf der Grund-
zahl 15 aufbauen, und eine gefährlichere Schelte, die mit der Buſse
der Lebensgefährdung bedroht ist. Die salische Grundbuſse von
15 Solidi steht auf die Worte cinitus 4, falsator, delator (Angeber) und
auf den Vorwurf des Meineids 5. Dreifachen Schutz der weiblichen
Ehre scheint die Buſse von 45 Solidi darzustellen, die man nach älteren
Texten der Lex Salica verwirkt, wenn man ein freies Weib eine Hure
schilt 6. Nur drei Solidi kosten die Schmähworte concacatus und Fuchs
und der Vorwurf, im Felde den Schild weggeworfen oder aus Feigheit
die Flucht ergriffen zu haben. Bei dem Schimpfworte Hase schwanken
die Handschriften zwischen 3, 6 und 15 Solidi. Strafrechtlich aus-
gezeichnet ist der Vorwurf der Zauberei 7. Wer von einem Manne
sagt, daſs er den Hexen den Kessel trage, und es nicht beweisen kann,
zahlt 62½ Solidi. Das dreifache dieser Buſse ist verwirkt, wenn ein
Weib als Hexe, nach jüngeren Texten der Lex auch, wenn sie als
Hure verleumdet wird 8.

Der alamannische Pactus hebt die Schelte nur als Missethat von
Weibern hervor und behandelt sie als buſslos, wenn die weibliche
Zunge in Zank und Streit gesündigt hatte. Abgesehen davon büſst
das Weib zwölf Solidi, die alamannische Grundbuſse, wenn es gegen

3 Die Schelte wird im Sinne von Beschalken nur in einzelnen Volksrechten
besonders erwähnt. Titel 30 der Lex Salica lautet de conviciis. Einen Katalog
von Scheltworten bringen als jüngeren Zusatz einige Handschriften der Lex Wisi-
gothorum unter der Überschrift: titulus de conviciis et verbis odiose dictis. Einiges
enthalten die alamannischen, langobardischen und die kentischen Rechtsdenkmäler.
Ergiebiger sind die nordischen Quellen.
4 Auch cenitus, cinidus für cinaedus im Sinne von muliebria passus. Angel-
sächsische Glossen bei Wright und Wülcker I 375, 9; 532, 37 geben cenidos, cinae-
dos mit atole scheuſslich, gräſslich wieder. In den Malbergischen Glossen scheint
die Wurzel quina Weib zu stecken. Verschiedenartige Versuche, den cinitus der
Lex Salica anders zu erklären, bei Du Cange (Henschel) II 271.
5 Er wird nach Lex Sal. 93. 94 mit 15 Solidi gebüſst.
6 Die meretrix fehlt in Lex Sal. 30, 3, den Codices 5. 6 und den Handschriften
der Emendata. Siehe unten Anm. 8. Die Heroldina erwähnt nur den Fall, daſs
ein Weib das Schimpfwort ausspricht, und erniedrigt dafür die Busſe auf 15 Solidi.
7 Lex Sal. 64, 1. 2. Recapitulatio A 25.
8 So in Lex Sal. 64, 2, Cod. 5. 6, Herold. und Emendata. Siehe oben
Anm. 6. Bei der summarischen und eigenmächtigen Art, in der man damals
gegen Zauberer und Hexen vorging, bei der Strafgewalt, welche die Sippe gegen
weibliche Mitglieder übte, hatte man guten Grund, solche Verleumdungen mit der
Buſse der Lebensgefährdung zu ahnden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0690" n="672"/>
            <fw place="top" type="header">§ 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage.</fw><lb/>
            <p>Die Lex Salica unterscheidet zwei Hauptgruppen von Schelte <note place="foot" n="3">Die Schelte wird im Sinne von Beschalken nur in einzelnen Volksrechten<lb/>
besonders erwähnt. Titel 30 der Lex Salica lautet de conviciis. Einen Katalog<lb/>
von Scheltworten bringen als jüngeren Zusatz einige Handschriften der Lex Wisi-<lb/>
gothorum unter der Überschrift: titulus de conviciis et verbis odiose dictis. Einiges<lb/>
enthalten die alamannischen, langobardischen und die kentischen Rechtsdenkmäler.<lb/>
Ergiebiger sind die nordischen Quellen.</note>, eine<lb/>
Schelte von geringerer Strafbarkeit, deren Bu&#x017F;sen sich auf der Grund-<lb/>
zahl 15 aufbauen, und eine gefährlichere Schelte, die mit der Bu&#x017F;se<lb/>
der Lebensgefährdung bedroht ist. Die salische Grundbu&#x017F;se von<lb/>
15 Solidi steht auf die Worte cinitus <note place="foot" n="4">Auch cenitus, cinidus für cinaedus im Sinne von muliebria passus. Angel-<lb/>
sächsische Glossen bei Wright und Wülcker I 375, 9; 532, 37 geben cenidos, cinae-<lb/>
dos mit atole scheu&#x017F;slich, grä&#x017F;slich wieder. In den Malbergischen Glossen scheint<lb/>
die Wurzel quina Weib zu stecken. Verschiedenartige Versuche, den cinitus der<lb/>
Lex Salica anders zu erklären, bei <hi rendition="#g">Du Cange</hi> (Henschel) II 271.</note>, falsator, delator (Angeber) und<lb/>
auf den Vorwurf des Meineids <note place="foot" n="5">Er wird nach Lex Sal. 93. 94 mit 15 Solidi gebü&#x017F;st.</note>. Dreifachen Schutz der weiblichen<lb/>
Ehre scheint die Bu&#x017F;se von 45 Solidi darzustellen, die man nach älteren<lb/>
Texten der Lex Salica verwirkt, wenn man ein freies Weib eine Hure<lb/>
schilt <note place="foot" n="6">Die meretrix fehlt in Lex Sal. 30, 3, den Codices 5. 6 und den Handschriften<lb/>
der Emendata. Siehe unten Anm. 8. Die Heroldina erwähnt nur den Fall, da&#x017F;s<lb/>
ein Weib das Schimpfwort ausspricht, und erniedrigt dafür die Bus&#x017F;e auf 15 Solidi.</note>. Nur drei Solidi kosten die Schmähworte concacatus und Fuchs<lb/>
und der Vorwurf, im Felde den Schild weggeworfen oder aus Feigheit<lb/>
die Flucht ergriffen zu haben. Bei dem Schimpfworte Hase schwanken<lb/>
die Handschriften zwischen 3, 6 und 15 Solidi. Strafrechtlich aus-<lb/>
gezeichnet ist der Vorwurf der Zauberei <note place="foot" n="7">Lex Sal. 64, 1. 2. Recapitulatio A 25.</note>. Wer von einem Manne<lb/>
sagt, da&#x017F;s er den Hexen den Kessel trage, und es nicht beweisen kann,<lb/>
zahlt 62½ Solidi. Das dreifache dieser Bu&#x017F;se ist verwirkt, wenn ein<lb/>
Weib als Hexe, nach jüngeren Texten der Lex auch, wenn sie als<lb/>
Hure verleumdet wird <note place="foot" n="8">So in Lex Sal. 64, 2, Cod. 5. 6, Herold. und Emendata. Siehe oben<lb/>
Anm. 6. Bei der summarischen und eigenmächtigen Art, in der man damals<lb/>
gegen Zauberer und Hexen vorging, bei der Strafgewalt, welche die Sippe gegen<lb/>
weibliche Mitglieder übte, hatte man guten Grund, solche Verleumdungen mit der<lb/>
Bu&#x017F;se der Lebensgefährdung zu ahnden.</note>.</p><lb/>
            <p>Der alamannische Pactus hebt die Schelte nur als Missethat von<lb/>
Weibern hervor und behandelt sie als bu&#x017F;slos, wenn die weibliche<lb/>
Zunge in Zank und Streit gesündigt hatte. Abgesehen davon bü&#x017F;st<lb/>
das Weib zwölf Solidi, die alamannische Grundbu&#x017F;se, wenn es gegen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[672/0690] § 144. Ehrenkränkung und falsche Anklage. Die Lex Salica unterscheidet zwei Hauptgruppen von Schelte 3, eine Schelte von geringerer Strafbarkeit, deren Buſsen sich auf der Grund- zahl 15 aufbauen, und eine gefährlichere Schelte, die mit der Buſse der Lebensgefährdung bedroht ist. Die salische Grundbuſse von 15 Solidi steht auf die Worte cinitus 4, falsator, delator (Angeber) und auf den Vorwurf des Meineids 5. Dreifachen Schutz der weiblichen Ehre scheint die Buſse von 45 Solidi darzustellen, die man nach älteren Texten der Lex Salica verwirkt, wenn man ein freies Weib eine Hure schilt 6. Nur drei Solidi kosten die Schmähworte concacatus und Fuchs und der Vorwurf, im Felde den Schild weggeworfen oder aus Feigheit die Flucht ergriffen zu haben. Bei dem Schimpfworte Hase schwanken die Handschriften zwischen 3, 6 und 15 Solidi. Strafrechtlich aus- gezeichnet ist der Vorwurf der Zauberei 7. Wer von einem Manne sagt, daſs er den Hexen den Kessel trage, und es nicht beweisen kann, zahlt 62½ Solidi. Das dreifache dieser Buſse ist verwirkt, wenn ein Weib als Hexe, nach jüngeren Texten der Lex auch, wenn sie als Hure verleumdet wird 8. Der alamannische Pactus hebt die Schelte nur als Missethat von Weibern hervor und behandelt sie als buſslos, wenn die weibliche Zunge in Zank und Streit gesündigt hatte. Abgesehen davon büſst das Weib zwölf Solidi, die alamannische Grundbuſse, wenn es gegen 3 Die Schelte wird im Sinne von Beschalken nur in einzelnen Volksrechten besonders erwähnt. Titel 30 der Lex Salica lautet de conviciis. Einen Katalog von Scheltworten bringen als jüngeren Zusatz einige Handschriften der Lex Wisi- gothorum unter der Überschrift: titulus de conviciis et verbis odiose dictis. Einiges enthalten die alamannischen, langobardischen und die kentischen Rechtsdenkmäler. Ergiebiger sind die nordischen Quellen. 4 Auch cenitus, cinidus für cinaedus im Sinne von muliebria passus. Angel- sächsische Glossen bei Wright und Wülcker I 375, 9; 532, 37 geben cenidos, cinae- dos mit atole scheuſslich, gräſslich wieder. In den Malbergischen Glossen scheint die Wurzel quina Weib zu stecken. Verschiedenartige Versuche, den cinitus der Lex Salica anders zu erklären, bei Du Cange (Henschel) II 271. 5 Er wird nach Lex Sal. 93. 94 mit 15 Solidi gebüſst. 6 Die meretrix fehlt in Lex Sal. 30, 3, den Codices 5. 6 und den Handschriften der Emendata. Siehe unten Anm. 8. Die Heroldina erwähnt nur den Fall, daſs ein Weib das Schimpfwort ausspricht, und erniedrigt dafür die Busſe auf 15 Solidi. 7 Lex Sal. 64, 1. 2. Recapitulatio A 25. 8 So in Lex Sal. 64, 2, Cod. 5. 6, Herold. und Emendata. Siehe oben Anm. 6. Bei der summarischen und eigenmächtigen Art, in der man damals gegen Zauberer und Hexen vorging, bei der Strafgewalt, welche die Sippe gegen weibliche Mitglieder übte, hatte man guten Grund, solche Verleumdungen mit der Buſse der Lebensgefährdung zu ahnden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/690
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/690>, abgerufen am 24.04.2024.