Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Zimmer.
Danton. Camille. Lucile.
Camille. Ich sage Euch, wenn sie nicht Alles in höl-
zernen Copien bekommen, verzettelt in Theatern, Concerten
und Kunst-Ausstellungen, so haben sie weder Augen noch
Ohren dafür. Schnitzt Einer eine Marionette, wo man den
Strick hereinhängen sieht, an dem sie gezerrt wird, und deren
Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen, --
welch' ein Charakter, welche Consequenz! -- Nimmt Einer
ein Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff, und zieht ihm
Rock und Hosen an, macht ihm Hände und Füße, färbt ihm
das Gesicht, und läßt das Ding sich drei Acte hindurch
herumquälen, bis es sich zuletzt verheirathet oder todt schießt
-- ein Ideal! -- Fiedelt einer eine Oper, welche das
Schweben und Senken im menschlichen Leben wiedergiebt,
wie eine Thonpfeife mit Wasser die Nachtigall -- ach! die
Kunst! -- Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse
-- die erbärmliche Wirklichkeit! -- Sie vergessen ihren
Herrgott über seinen schlechten Copisten. Von der Schöpfung,
die glühend, brausend und leuchtend in ihnen sich jeden
Augenblick neu gebiert, hören und sehen sie nichts. Sie
gehen ins Theater, lesen Gedichte und Romane, schneiden
den Fratzen darin die Gesichter nach und sagen zu Gottes
Geschöpfen: wie gewöhnlich! -- Die Griechen wußten, was
sie sagten, wenn sie erzählten, Pygmalion's Statue sei leben-
dig geworden, habe aber keine Kinder bekommen.
Danton. Und die Künstler gehn mit der Natur um,
wie David, der im September die Gemordeten, wie sie aus
der Force auf die Gasse geworfen wurden, kaltblütig zeichnete
Ein Zimmer.
Danton. Camille. Lucile.
Camille. Ich ſage Euch, wenn ſie nicht Alles in höl-
zernen Copien bekommen, verzettelt in Theatern, Concerten
und Kunſt-Ausſtellungen, ſo haben ſie weder Augen noch
Ohren dafür. Schnitzt Einer eine Marionette, wo man den
Strick hereinhängen ſieht, an dem ſie gezerrt wird, und deren
Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen, —
welch' ein Charakter, welche Conſequenz! — Nimmt Einer
ein Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff, und zieht ihm
Rock und Hoſen an, macht ihm Hände und Füße, färbt ihm
das Geſicht, und läßt das Ding ſich drei Acte hindurch
herumquälen, bis es ſich zuletzt verheirathet oder todt ſchießt
— ein Ideal! — Fiedelt einer eine Oper, welche das
Schweben und Senken im menſchlichen Leben wiedergiebt,
wie eine Thonpfeife mit Waſſer die Nachtigall — ach! die
Kunſt! — Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gaſſe
— die erbärmliche Wirklichkeit! — Sie vergeſſen ihren
Herrgott über ſeinen ſchlechten Copiſten. Von der Schöpfung,
die glühend, brauſend und leuchtend in ihnen ſich jeden
Augenblick neu gebiert, hören und ſehen ſie nichts. Sie
gehen ins Theater, leſen Gedichte und Romane, ſchneiden
den Fratzen darin die Geſichter nach und ſagen zu Gottes
Geſchöpfen: wie gewöhnlich! — Die Griechen wußten, was
ſie ſagten, wenn ſie erzählten, Pygmalion's Statue ſei leben-
dig geworden, habe aber keine Kinder bekommen.
Danton. Und die Künſtler gehn mit der Natur um,
wie David, der im September die Gemordeten, wie ſie aus
der Force auf die Gaſſe geworfen wurden, kaltblütig zeichnete
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div type="act" n="3">
            <pb facs="#f0240" n="44"/>
            <div type="scene" n="4">
              <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Ein Zimmer</hi>.</hi> </hi> </hi> </head><lb/>
              <stage> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton. Camille. Lucile.</hi> </hi> </hi> </stage><lb/>
              <sp who="#CAM">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Camille.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Ich &#x017F;age Euch, wenn &#x017F;ie nicht Alles in höl-<lb/>
zernen Copien bekommen, verzettelt in Theatern, Concerten<lb/>
und Kun&#x017F;t-Aus&#x017F;tellungen, &#x017F;o haben &#x017F;ie weder Augen noch<lb/>
Ohren dafür. Schnitzt Einer eine Marionette, wo man den<lb/>
Strick hereinhängen &#x017F;ieht, an dem &#x017F;ie gezerrt wird, und deren<lb/>
Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen, &#x2014;<lb/>
welch' ein Charakter, welche Con&#x017F;equenz! &#x2014; Nimmt Einer<lb/>
ein Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff, und zieht ihm<lb/>
Rock und Ho&#x017F;en an, macht ihm Hände und Füße, färbt ihm<lb/>
das Ge&#x017F;icht, und läßt das Ding &#x017F;ich drei Acte hindurch<lb/>
herumquälen, bis es &#x017F;ich zuletzt verheirathet oder todt &#x017F;chießt<lb/>
&#x2014; ein Ideal! &#x2014; Fiedelt einer eine Oper, welche das<lb/>
Schweben und Senken im men&#x017F;chlichen Leben wiedergiebt,<lb/>
wie eine Thonpfeife mit Wa&#x017F;&#x017F;er die Nachtigall &#x2014; ach! die<lb/>
Kun&#x017F;t! &#x2014; Setzt die Leute aus dem Theater auf die Ga&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x2014; die erbärmliche Wirklichkeit! &#x2014; Sie verge&#x017F;&#x017F;en ihren<lb/>
Herrgott über &#x017F;einen &#x017F;chlechten Copi&#x017F;ten. Von der Schöpfung,<lb/>
die glühend, brau&#x017F;end und leuchtend in ihnen &#x017F;ich jeden<lb/>
Augenblick neu gebiert, hören und &#x017F;ehen &#x017F;ie nichts. Sie<lb/>
gehen ins Theater, le&#x017F;en Gedichte und Romane, &#x017F;chneiden<lb/>
den Fratzen darin die Ge&#x017F;ichter nach und &#x017F;agen zu Gottes<lb/>
Ge&#x017F;chöpfen: wie gewöhnlich! &#x2014; Die Griechen wußten, was<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;agten, wenn &#x017F;ie erzählten, Pygmalion's Statue &#x017F;ei leben-<lb/>
dig geworden, habe aber keine Kinder bekommen.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#DANTON">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Danton.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Und die Kün&#x017F;tler gehn mit der Natur um,<lb/>
wie David, der im September die Gemordeten, wie &#x017F;ie aus<lb/>
der Force auf die Ga&#x017F;&#x017F;e geworfen wurden, kaltblütig zeichnete<lb/></p>
              </sp>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0240] Ein Zimmer. Danton. Camille. Lucile. Camille. Ich ſage Euch, wenn ſie nicht Alles in höl- zernen Copien bekommen, verzettelt in Theatern, Concerten und Kunſt-Ausſtellungen, ſo haben ſie weder Augen noch Ohren dafür. Schnitzt Einer eine Marionette, wo man den Strick hereinhängen ſieht, an dem ſie gezerrt wird, und deren Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen, — welch' ein Charakter, welche Conſequenz! — Nimmt Einer ein Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff, und zieht ihm Rock und Hoſen an, macht ihm Hände und Füße, färbt ihm das Geſicht, und läßt das Ding ſich drei Acte hindurch herumquälen, bis es ſich zuletzt verheirathet oder todt ſchießt — ein Ideal! — Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben und Senken im menſchlichen Leben wiedergiebt, wie eine Thonpfeife mit Waſſer die Nachtigall — ach! die Kunſt! — Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gaſſe — die erbärmliche Wirklichkeit! — Sie vergeſſen ihren Herrgott über ſeinen ſchlechten Copiſten. Von der Schöpfung, die glühend, brauſend und leuchtend in ihnen ſich jeden Augenblick neu gebiert, hören und ſehen ſie nichts. Sie gehen ins Theater, leſen Gedichte und Romane, ſchneiden den Fratzen darin die Geſichter nach und ſagen zu Gottes Geſchöpfen: wie gewöhnlich! — Die Griechen wußten, was ſie ſagten, wenn ſie erzählten, Pygmalion's Statue ſei leben- dig geworden, habe aber keine Kinder bekommen. Danton. Und die Künſtler gehn mit der Natur um, wie David, der im September die Gemordeten, wie ſie aus der Force auf die Gaſſe geworfen wurden, kaltblütig zeichnete

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/240
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/240>, abgerufen am 19.04.2024.