Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Jacobinerklubb.
Ein Lyoner. Die Brüder von Lyon senden uns, um
in eure Brust ihren bitteren Unmuth auszuschütten. Wir
wissen nicht, ob der Karren, auf dem Ronsin zur Guillotine
fuhr, der Todtenwagen der Freiheit war, aber wir wissen,
daß seit jenem Tage die Mörder Chalier's wieder so fest
auf den Boden treten, als ob es kein Grab für sie gäbe.
Habt ihr vergessen, daß Lyon ein Flecken auf dem Boden
Frankreichs ist, den man mit den Gebeinen der Verräther
zudecken muß? Habt ihr vergessen, daß diese Hure der
Könige ihren Aussatz nur in dem Wasser der Rhone ab-
waschen kann? Habt ihr vergessen, daß dieser revolutionäre
Strom die Flotten Pitt's im Mittelmeer auf den Leichen
der Aristokraten muß stranden machen? Eure Barmherzigkeit
mordet die Revolution. Der Athemzug eines Aristokraten
ist das Röcheln der Freiheit. Nur ein Feigling stirbt für die
Republik, ein Jacobiner tödtet für sie. Wißt: finden wir in
euch nicht mehr die Spannkraft der Männer des 10. August,
des September und des 31. Mai, so bleibt uns, wie dem
Patrioten Gaillard, nur der Dolch des Cato.

(Beifall und verwirrtes Geschrei.)
Ein Jacobiner. Wir werden den Becher des Socrates
mit euch trinken!
Legendre (schwingt sich auf die Tribüne). Wir haben nicht
nöthig, unsere Blicke auf Lyon zu werfen. Die Leute, die
seidene Kleider tragen, die in Kutschen fahren, die in den
Logen im Theater sitzen und nach dem Dictionär der Akademie
sprechen, tragen seit einigen Tagen die Köpfe fest auf den
Schultern. Sie sind witzig und sagen, man muß Marat
Der Jacobinerklubb.
Ein Lyoner. Die Brüder von Lyon ſenden uns, um
in eure Bruſt ihren bitteren Unmuth auszuſchütten. Wir
wiſſen nicht, ob der Karren, auf dem Ronſin zur Guillotine
fuhr, der Todtenwagen der Freiheit war, aber wir wiſſen,
daß ſeit jenem Tage die Mörder Chalier's wieder ſo feſt
auf den Boden treten, als ob es kein Grab für ſie gäbe.
Habt ihr vergeſſen, daß Lyon ein Flecken auf dem Boden
Frankreichs iſt, den man mit den Gebeinen der Verräther
zudecken muß? Habt ihr vergeſſen, daß dieſe Hure der
Könige ihren Ausſatz nur in dem Waſſer der Rhone ab-
waſchen kann? Habt ihr vergeſſen, daß dieſer revolutionäre
Strom die Flotten Pitt's im Mittelmeer auf den Leichen
der Ariſtokraten muß ſtranden machen? Eure Barmherzigkeit
mordet die Revolution. Der Athemzug eines Ariſtokraten
iſt das Röcheln der Freiheit. Nur ein Feigling ſtirbt für die
Republik, ein Jacobiner tödtet für ſie. Wißt: finden wir in
euch nicht mehr die Spannkraft der Männer des 10. Auguſt,
des September und des 31. Mai, ſo bleibt uns, wie dem
Patrioten Gaillard, nur der Dolch des Cato.

(Beifall und verwirrtes Geſchrei.)
Ein Jacobiner. Wir werden den Becher des Socrates
mit euch trinken!
Legendre (ſchwingt ſich auf die Tribüne). Wir haben nicht
nöthig, unſere Blicke auf Lyon zu werfen. Die Leute, die
ſeidene Kleider tragen, die in Kutſchen fahren, die in den
Logen im Theater ſitzen und nach dem Dictionär der Akademie
ſprechen, tragen ſeit einigen Tagen die Köpfe feſt auf den
Schultern. Sie ſind witzig und ſagen, man muß Marat
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div type="act" n="3">
            <pb facs="#f0212" n="16"/>
            <div type="scene" n="4">
              <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Der Jacobinerklubb</hi>.</hi> </hi> </hi> </head><lb/>
              <sp who="#LYON">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Ein Lyoner.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Die Brüder von Lyon &#x017F;enden uns, um<lb/>
in eure Bru&#x017F;t ihren bitteren Unmuth auszu&#x017F;chütten. Wir<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en nicht, ob der Karren, auf dem Ron&#x017F;in zur Guillotine<lb/>
fuhr, der Todtenwagen der Freiheit war, aber wir wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß &#x017F;eit jenem Tage die Mörder Chalier's wieder &#x017F;o fe&#x017F;t<lb/>
auf den Boden treten, als ob es kein Grab für &#x017F;ie gäbe.<lb/>
Habt ihr verge&#x017F;&#x017F;en, daß Lyon ein Flecken auf dem Boden<lb/>
Frankreichs i&#x017F;t, den man mit den Gebeinen der Verräther<lb/>
zudecken muß? Habt ihr verge&#x017F;&#x017F;en, daß die&#x017F;e Hure der<lb/>
Könige ihren Aus&#x017F;atz nur in dem Wa&#x017F;&#x017F;er der Rhone ab-<lb/>
wa&#x017F;chen kann? Habt ihr verge&#x017F;&#x017F;en, daß die&#x017F;er revolutionäre<lb/>
Strom die Flotten Pitt's im Mittelmeer auf den Leichen<lb/>
der Ari&#x017F;tokraten muß &#x017F;tranden machen? Eure Barmherzigkeit<lb/>
mordet die Revolution. Der Athemzug eines Ari&#x017F;tokraten<lb/>
i&#x017F;t das Röcheln der Freiheit. Nur ein Feigling &#x017F;tirbt für die<lb/>
Republik, ein Jacobiner tödtet für &#x017F;ie. Wißt: finden wir in<lb/>
euch nicht mehr die Spannkraft der Männer des 10. Augu&#x017F;t,<lb/>
des September und des 31. Mai, &#x017F;o bleibt uns, wie dem<lb/>
Patrioten Gaillard, nur der Dolch des Cato.</p><lb/>
                <stage>(Beifall und verwirrtes Ge&#x017F;chrei.)</stage>
              </sp><lb/>
              <sp who="#JACOB">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Ein Jacobiner.</hi> </hi> </speaker>
                <p>Wir werden den Becher des Socrates<lb/>
mit euch trinken!</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#LEG">
                <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Legendre</hi> </hi> </speaker>
                <stage>(&#x017F;chwingt &#x017F;ich auf die Tribüne).</stage>
                <p>Wir haben nicht<lb/>
nöthig, un&#x017F;ere Blicke auf Lyon zu werfen. Die Leute, die<lb/>
&#x017F;eidene Kleider tragen, die in Kut&#x017F;chen fahren, die in den<lb/>
Logen im Theater &#x017F;itzen und nach dem Dictionär der Akademie<lb/>
&#x017F;prechen, tragen &#x017F;eit einigen Tagen die Köpfe fe&#x017F;t auf den<lb/>
Schultern. Sie &#x017F;ind witzig und &#x017F;agen, man muß Marat<lb/></p>
              </sp>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0212] Der Jacobinerklubb. Ein Lyoner. Die Brüder von Lyon ſenden uns, um in eure Bruſt ihren bitteren Unmuth auszuſchütten. Wir wiſſen nicht, ob der Karren, auf dem Ronſin zur Guillotine fuhr, der Todtenwagen der Freiheit war, aber wir wiſſen, daß ſeit jenem Tage die Mörder Chalier's wieder ſo feſt auf den Boden treten, als ob es kein Grab für ſie gäbe. Habt ihr vergeſſen, daß Lyon ein Flecken auf dem Boden Frankreichs iſt, den man mit den Gebeinen der Verräther zudecken muß? Habt ihr vergeſſen, daß dieſe Hure der Könige ihren Ausſatz nur in dem Waſſer der Rhone ab- waſchen kann? Habt ihr vergeſſen, daß dieſer revolutionäre Strom die Flotten Pitt's im Mittelmeer auf den Leichen der Ariſtokraten muß ſtranden machen? Eure Barmherzigkeit mordet die Revolution. Der Athemzug eines Ariſtokraten iſt das Röcheln der Freiheit. Nur ein Feigling ſtirbt für die Republik, ein Jacobiner tödtet für ſie. Wißt: finden wir in euch nicht mehr die Spannkraft der Männer des 10. Auguſt, des September und des 31. Mai, ſo bleibt uns, wie dem Patrioten Gaillard, nur der Dolch des Cato. (Beifall und verwirrtes Geſchrei.) Ein Jacobiner. Wir werden den Becher des Socrates mit euch trinken! Legendre (ſchwingt ſich auf die Tribüne). Wir haben nicht nöthig, unſere Blicke auf Lyon zu werfen. Die Leute, die ſeidene Kleider tragen, die in Kutſchen fahren, die in den Logen im Theater ſitzen und nach dem Dictionär der Akademie ſprechen, tragen ſeit einigen Tagen die Köpfe feſt auf den Schultern. Sie ſind witzig und ſagen, man muß Marat

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/212
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/212>, abgerufen am 19.04.2024.