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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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berichtet: "Georg hat viel von seinen Eltern geerbt, aber
nur ihre Tugenden".

Dieses Urtheil ist ein überraschend richtiges. Ein Blick
auf den Charakter der beiden, nicht gleich liebenswürdigen,
aber gleich achtungswerthen Menschen wird uns dies be-
stätigen.

Ernst Büchner nahm das Leben nicht leicht, sondern
genau so schwer, als es ihm selbst geworden. Die Eindrücke
seiner Jugend, welche hart, dunkel und freudlos gewesen,
konnte er nie verwinden: er war ein strenger, düsterer
Mann, der keinen Sinn hatte für heiter anmuthige Lebens-
führung und die Freuden einer durch geistige Genüsse ver-
edelten Geselligkeit. Das Schöne sprach nicht zu seinen
Sinnen, allen Künsten, auch der Poesie stand er fremd und
kalt gegenüber. Aber diese Jugend hatte auch eine zähe
Energie in ihm großgezogen, einen ehernen Fleiß, eine Ge-
wissenhaftigkeit in der Erfüllung aller Pflichten, die in
seinem Kreise fast sprichwörtlich geworden. Nicht aus Zu-
fall, sondern aus innerstem Berufe hatte er sich den Natur-
wissenschaften zugewendet; sein fast leidenschaftlicher Trieb
zu Forschung und Erkenntniß, sein scharfer klarer Verstand,
der mit realen Faktoren rechnen mußte, um sich überhaupt
vertiefen und dauernd gefesselt werden zu können, seine un-
erschütterliche Geduld, die ihn jahrelang selbst an kleine
nebensächliche Erscheinungen band, "weil auf diesem Gebiete
das Kleinste so wichtig sei, wie das größte", seine grenzen-
lose Wahrheitsliebe, die vor keiner Consequenz zurückschreckte,
-- all' diese Gaben bestimmten und befähigten ihn zum
Naturforscher. Er hatte nicht gekonnt, wie er gewollt: das
Leben zwang ihm einen praktischen Beruf auf, seine Träume

berichtet: "Georg hat viel von ſeinen Eltern geerbt, aber
nur ihre Tugenden".

Dieſes Urtheil iſt ein überraſchend richtiges. Ein Blick
auf den Charakter der beiden, nicht gleich liebenswürdigen,
aber gleich achtungswerthen Menſchen wird uns dies be-
ſtätigen.

Ernſt Büchner nahm das Leben nicht leicht, ſondern
genau ſo ſchwer, als es ihm ſelbſt geworden. Die Eindrücke
ſeiner Jugend, welche hart, dunkel und freudlos geweſen,
konnte er nie verwinden: er war ein ſtrenger, düſterer
Mann, der keinen Sinn hatte für heiter anmuthige Lebens-
führung und die Freuden einer durch geiſtige Genüſſe ver-
edelten Geſelligkeit. Das Schöne ſprach nicht zu ſeinen
Sinnen, allen Künſten, auch der Poeſie ſtand er fremd und
kalt gegenüber. Aber dieſe Jugend hatte auch eine zähe
Energie in ihm großgezogen, einen ehernen Fleiß, eine Ge-
wiſſenhaftigkeit in der Erfüllung aller Pflichten, die in
ſeinem Kreiſe faſt ſprichwörtlich geworden. Nicht aus Zu-
fall, ſondern aus innerſtem Berufe hatte er ſich den Natur-
wiſſenſchaften zugewendet; ſein faſt leidenſchaftlicher Trieb
zu Forſchung und Erkenntniß, ſein ſcharfer klarer Verſtand,
der mit realen Faktoren rechnen mußte, um ſich überhaupt
vertiefen und dauernd gefeſſelt werden zu können, ſeine un-
erſchütterliche Geduld, die ihn jahrelang ſelbſt an kleine
nebenſächliche Erſcheinungen band, "weil auf dieſem Gebiete
das Kleinſte ſo wichtig ſei, wie das größte", ſeine grenzen-
loſe Wahrheitsliebe, die vor keiner Conſequenz zurückſchreckte,
— all' dieſe Gaben beſtimmten und befähigten ihn zum
Naturforſcher. Er hatte nicht gekonnt, wie er gewollt: das
Leben zwang ihm einen praktiſchen Beruf auf, ſeine Träume

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[X/0026] berichtet: "Georg hat viel von ſeinen Eltern geerbt, aber nur ihre Tugenden". Dieſes Urtheil iſt ein überraſchend richtiges. Ein Blick auf den Charakter der beiden, nicht gleich liebenswürdigen, aber gleich achtungswerthen Menſchen wird uns dies be- ſtätigen. Ernſt Büchner nahm das Leben nicht leicht, ſondern genau ſo ſchwer, als es ihm ſelbſt geworden. Die Eindrücke ſeiner Jugend, welche hart, dunkel und freudlos geweſen, konnte er nie verwinden: er war ein ſtrenger, düſterer Mann, der keinen Sinn hatte für heiter anmuthige Lebens- führung und die Freuden einer durch geiſtige Genüſſe ver- edelten Geſelligkeit. Das Schöne ſprach nicht zu ſeinen Sinnen, allen Künſten, auch der Poeſie ſtand er fremd und kalt gegenüber. Aber dieſe Jugend hatte auch eine zähe Energie in ihm großgezogen, einen ehernen Fleiß, eine Ge- wiſſenhaftigkeit in der Erfüllung aller Pflichten, die in ſeinem Kreiſe faſt ſprichwörtlich geworden. Nicht aus Zu- fall, ſondern aus innerſtem Berufe hatte er ſich den Natur- wiſſenſchaften zugewendet; ſein faſt leidenſchaftlicher Trieb zu Forſchung und Erkenntniß, ſein ſcharfer klarer Verſtand, der mit realen Faktoren rechnen mußte, um ſich überhaupt vertiefen und dauernd gefeſſelt werden zu können, ſeine un- erſchütterliche Geduld, die ihn jahrelang ſelbſt an kleine nebenſächliche Erſcheinungen band, "weil auf dieſem Gebiete das Kleinſte ſo wichtig ſei, wie das größte", ſeine grenzen- loſe Wahrheitsliebe, die vor keiner Conſequenz zurückſchreckte, — all' dieſe Gaben beſtimmten und befähigten ihn zum Naturforſcher. Er hatte nicht gekonnt, wie er gewollt: das Leben zwang ihm einen praktiſchen Beruf auf, ſeine Träume

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/26>, abgerufen am 25.04.2024.