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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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von einem rein der Wissenschaft gewidmeten Leben blieben
unerfüllt, er mußte Arzt werden und ward auch durch seine
Kenntnisse, wie durch seinen Pflichteifer ein trefflicher, viel-
gesuchter Arzt. Aber der Wissenschaft vergaß er dabei nicht,
und es ist fast rührend zu hören, mit welcher Ausdauer der
vielbeschäftigte Mann seine kärglich bemessenen Freistunden
darauf wandte, um selbst zu lernen und in der Folge andere
zu lehren. Da mühte er sich in einem Laboratorium, das
er sich selbst eingerichtet, rastlos mit Scalpell und Loupe,
dort gab er auch später anatomische und physiologische Curse.
Auch einige Fachschriften sind von ihm erschienen; sie haben
ihm zwar keinen hervorragenden, aber immerhin geachteten
Namen gemacht. Ein Mann von merkwürdigster, schroffster
Einseitigkeit -- dieser knorrige Naturforscher aus dem Volke.
Nur da, wo seine Wissenschaft ihn erhob, vermochte er die
Höhe freierer Anschauungen zu gewinnen. Er, der die
Künste verachtete, weil sie, wie er glaubte, nichts nützen,
der geradezu unglücklich darüber war, daß ihm sein Georg
den Tort angethan, ein Dichter zu werden, begriff voll-
kommen, daß die Wissenschaft Selbstzweck sei, empfand seinen
praktischen Beruf als eine Fessel, widmete sich unter schweren
Geldopfern theoretischen Untersuchungen. Noch widerspruchs-
voller war sein Verhältniß zum Staate einerseits, zur Kirche
andererseits. Derselbe Mann, der sich in den Dingen des
Glaubens nichts decretiren ließ, mit trotzigem Stolze seine
Gewissensfreiheit wahrte, mochte ihm daraus zukommen, was
da wolle, und sich demonstrativ, obwohl Staatsbeamter unter
einer klerikal angehauchten Regierung, von den Stillen im
Lande schied -- derselbe Mann war in politischen Dingen
nicht blos loyal und conservativ, sondern stramm reaktionär,

von einem rein der Wiſſenſchaft gewidmeten Leben blieben
unerfüllt, er mußte Arzt werden und ward auch durch ſeine
Kenntniſſe, wie durch ſeinen Pflichteifer ein trefflicher, viel-
geſuchter Arzt. Aber der Wiſſenſchaft vergaß er dabei nicht,
und es iſt faſt rührend zu hören, mit welcher Ausdauer der
vielbeſchäftigte Mann ſeine kärglich bemeſſenen Freiſtunden
darauf wandte, um ſelbſt zu lernen und in der Folge andere
zu lehren. Da mühte er ſich in einem Laboratorium, das
er ſich ſelbſt eingerichtet, raſtlos mit Scalpell und Loupe,
dort gab er auch ſpäter anatomiſche und phyſiologiſche Curſe.
Auch einige Fachſchriften ſind von ihm erſchienen; ſie haben
ihm zwar keinen hervorragenden, aber immerhin geachteten
Namen gemacht. Ein Mann von merkwürdigſter, ſchroffſter
Einſeitigkeit — dieſer knorrige Naturforſcher aus dem Volke.
Nur da, wo ſeine Wiſſenſchaft ihn erhob, vermochte er die
Höhe freierer Anſchauungen zu gewinnen. Er, der die
Künſte verachtete, weil ſie, wie er glaubte, nichts nützen,
der geradezu unglücklich darüber war, daß ihm ſein Georg
den Tort angethan, ein Dichter zu werden, begriff voll-
kommen, daß die Wiſſenſchaft Selbſtzweck ſei, empfand ſeinen
praktiſchen Beruf als eine Feſſel, widmete ſich unter ſchweren
Geldopfern theoretiſchen Unterſuchungen. Noch widerſpruchs-
voller war ſein Verhältniß zum Staate einerſeits, zur Kirche
andererſeits. Derſelbe Mann, der ſich in den Dingen des
Glaubens nichts decretiren ließ, mit trotzigem Stolze ſeine
Gewiſſensfreiheit wahrte, mochte ihm daraus zukommen, was
da wolle, und ſich demonſtrativ, obwohl Staatsbeamter unter
einer klerikal angehauchten Regierung, von den Stillen im
Lande ſchied — derſelbe Mann war in politiſchen Dingen
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[XI/0027] von einem rein der Wiſſenſchaft gewidmeten Leben blieben unerfüllt, er mußte Arzt werden und ward auch durch ſeine Kenntniſſe, wie durch ſeinen Pflichteifer ein trefflicher, viel- geſuchter Arzt. Aber der Wiſſenſchaft vergaß er dabei nicht, und es iſt faſt rührend zu hören, mit welcher Ausdauer der vielbeſchäftigte Mann ſeine kärglich bemeſſenen Freiſtunden darauf wandte, um ſelbſt zu lernen und in der Folge andere zu lehren. Da mühte er ſich in einem Laboratorium, das er ſich ſelbſt eingerichtet, raſtlos mit Scalpell und Loupe, dort gab er auch ſpäter anatomiſche und phyſiologiſche Curſe. Auch einige Fachſchriften ſind von ihm erſchienen; ſie haben ihm zwar keinen hervorragenden, aber immerhin geachteten Namen gemacht. Ein Mann von merkwürdigſter, ſchroffſter Einſeitigkeit — dieſer knorrige Naturforſcher aus dem Volke. Nur da, wo ſeine Wiſſenſchaft ihn erhob, vermochte er die Höhe freierer Anſchauungen zu gewinnen. Er, der die Künſte verachtete, weil ſie, wie er glaubte, nichts nützen, der geradezu unglücklich darüber war, daß ihm ſein Georg den Tort angethan, ein Dichter zu werden, begriff voll- kommen, daß die Wiſſenſchaft Selbſtzweck ſei, empfand ſeinen praktiſchen Beruf als eine Feſſel, widmete ſich unter ſchweren Geldopfern theoretiſchen Unterſuchungen. Noch widerſpruchs- voller war ſein Verhältniß zum Staate einerſeits, zur Kirche andererſeits. Derſelbe Mann, der ſich in den Dingen des Glaubens nichts decretiren ließ, mit trotzigem Stolze ſeine Gewiſſensfreiheit wahrte, mochte ihm daraus zukommen, was da wolle, und ſich demonſtrativ, obwohl Staatsbeamter unter einer klerikal angehauchten Regierung, von den Stillen im Lande ſchied — derſelbe Mann war in politiſchen Dingen nicht blos loyal und conſervativ, ſondern ſtramm reaktionär,

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/27>, abgerufen am 23.04.2024.