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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Danton. Ruhe.
Philippeau. Die ist in Gott.
Danton. Im Nichts: Versenke dich in was Ruhigeres,
als in das Nichts, und wenn die höchste Ruhe Gott ist, ist
nicht das Nichts Gott? Aber ich bin ein Atheist; der ver-
fluchte Satz! Etwas kann nicht zu Nichts werden! und ich
bin Etwas, das ist der Jammer! -- Die Schöpfung hat
sich so breit gemacht, da ist nichts leer. Alles voll Ge-
wimmels. Das Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist
seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, die Welt ist das
Grab, worin es fault. -- Das lautet verrückt, es ist aber
doch was Wahres daran.
Camille. Die Welt ist der ewige Jude, das Nichts ist
der Tod, aber er ist unmöglich. O! nicht sterben können,
nicht sterben können! wie es im Liede heißt.
Danton. Wir sind Alle lebendig begraben, und wie
Könige in drei- oder vierfachen Särgen beigesetzt, unter dem
Himmel, in unseren Häusern, in unseren Röcken und Hemden.
-- Wir kratzen fünfzig Jahre lang am Sargdeckel. Ja,
wer an Vernichtung glauben könnte! dem wäre geholfen. --
Da ist keine Hoffnung im Tod; er ist nur eine einfachere,
das Leben eine verwickeltere, organisirtere Fäulniß, -- das
ist der ganze Unterschied! -- Aber ich bin gerad' einmal
an diese Art des Faulens gewöhnt, der Teufel weiß, wie
ich mit einer andern zurecht komme. -- O Julie! Wenn
ich allein ginge! -- Wenn sie mich einsam ließe! -- Und
wenn ich ganz zerfiele, mich ganz auflöste -- ich wäre eine
Handvoll gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte
nur Ruhe finden bei ihr. -- Ich kann nicht sterben, nein,
ich kann nicht sterben. Wir sind noch nicht geschlagen.
Danton. Ruhe.
Philippeau. Die iſt in Gott.
Danton. Im Nichts: Verſenke dich in was Ruhigeres,
als in das Nichts, und wenn die höchſte Ruhe Gott iſt, iſt
nicht das Nichts Gott? Aber ich bin ein Atheiſt; der ver-
fluchte Satz! Etwas kann nicht zu Nichts werden! und ich
bin Etwas, das iſt der Jammer! — Die Schöpfung hat
ſich ſo breit gemacht, da iſt nichts leer. Alles voll Ge-
wimmels. Das Nichts hat ſich ermordet, die Schöpfung iſt
ſeine Wunde, wir ſind ſeine Blutstropfen, die Welt iſt das
Grab, worin es fault. — Das lautet verrückt, es iſt aber
doch was Wahres daran.
Camille. Die Welt iſt der ewige Jude, das Nichts iſt
der Tod, aber er iſt unmöglich. O! nicht ſterben können,
nicht ſterben können! wie es im Liede heißt.
Danton. Wir ſind Alle lebendig begraben, und wie
Könige in drei- oder vierfachen Särgen beigeſetzt, unter dem
Himmel, in unſeren Häuſern, in unſeren Röcken und Hemden.
— Wir kratzen fünfzig Jahre lang am Sargdeckel. Ja,
wer an Vernichtung glauben könnte! dem wäre geholfen. —
Da iſt keine Hoffnung im Tod; er iſt nur eine einfachere,
das Leben eine verwickeltere, organiſirtere Fäulniß, — das
iſt der ganze Unterſchied! — Aber ich bin gerad' einmal
an dieſe Art des Faulens gewöhnt, der Teufel weiß, wie
ich mit einer andern zurecht komme. — O Julie! Wenn
ich allein ginge! — Wenn ſie mich einſam ließe! — Und
wenn ich ganz zerfiele, mich ganz auflöſte — ich wäre eine
Handvoll gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte
nur Ruhe finden bei ihr. — Ich kann nicht ſterben, nein,
ich kann nicht ſterben. Wir ſind noch nicht geſchlagen.
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[77/0273] Danton. Ruhe. Philippeau. Die iſt in Gott. Danton. Im Nichts: Verſenke dich in was Ruhigeres, als in das Nichts, und wenn die höchſte Ruhe Gott iſt, iſt nicht das Nichts Gott? Aber ich bin ein Atheiſt; der ver- fluchte Satz! Etwas kann nicht zu Nichts werden! und ich bin Etwas, das iſt der Jammer! — Die Schöpfung hat ſich ſo breit gemacht, da iſt nichts leer. Alles voll Ge- wimmels. Das Nichts hat ſich ermordet, die Schöpfung iſt ſeine Wunde, wir ſind ſeine Blutstropfen, die Welt iſt das Grab, worin es fault. — Das lautet verrückt, es iſt aber doch was Wahres daran. Camille. Die Welt iſt der ewige Jude, das Nichts iſt der Tod, aber er iſt unmöglich. O! nicht ſterben können, nicht ſterben können! wie es im Liede heißt. Danton. Wir ſind Alle lebendig begraben, und wie Könige in drei- oder vierfachen Särgen beigeſetzt, unter dem Himmel, in unſeren Häuſern, in unſeren Röcken und Hemden. — Wir kratzen fünfzig Jahre lang am Sargdeckel. Ja, wer an Vernichtung glauben könnte! dem wäre geholfen. — Da iſt keine Hoffnung im Tod; er iſt nur eine einfachere, das Leben eine verwickeltere, organiſirtere Fäulniß, — das iſt der ganze Unterſchied! — Aber ich bin gerad' einmal an dieſe Art des Faulens gewöhnt, der Teufel weiß, wie ich mit einer andern zurecht komme. — O Julie! Wenn ich allein ginge! — Wenn ſie mich einſam ließe! — Und wenn ich ganz zerfiele, mich ganz auflöſte — ich wäre eine Handvoll gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei ihr. — Ich kann nicht ſterben, nein, ich kann nicht ſterben. Wir ſind noch nicht geſchlagen.

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/273>, abgerufen am 29.03.2024.