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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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hinein. Siehst du, wie schön todt das arme Ding ist? Siehst
du die zwei weißen Rosen auf seinen Wangen und die zwei
rothen auf seiner Brust? Stoß mich nicht, daß ihm kein
Aermchen abbricht, es wäre Schade. Ich muß meinen Kopf
gerade auf den Schultern tragen, wie die Todtenfrau einen
Kindersarg.
Rosetta (scherzend). Narr!
Leonce. Rosetta! (Rosetta macht ihm eine Fratze.) Gott
sei Dank!
(Hält sich die Augen zu.)
Rosetta (erschrocken). Leonce, sieh mich an.
Leonce. Um keinen Preis!
Rosetta. Nur einen Blick!
Leonce. Keinen! Meinst du? Um ein klein wenig,
und meine liebe Liebe käme wieder auf die Welt. Ich bin
froh, daß ich sie begraben habe. Ich behalte den Eindruck.
Rosetta (entfernt sich traurig und langsam, sie singt im
Abgehn:)
Ich bin eine arme Waise,
Ich fürchte mich ganz allein.
Ach lieber Gram --
Willst du nicht kommen mit mir heim?
Leonce (allein.) Ein sonderbares Ding um die Liebe.
Man liegt ein Jahr lang schlafwachend zu Bette, und an
einem schönen Morgen wacht man auf, trinkt ein Glas Wasser,
zieht seine Kleider an und fährt sich mit der Hand über die
Stirn und besinnt sich -- und besinnt sich -- Mein Gott,
wieviel Weiber hat man nöthig, um die Scala der Liebe
auf und ab zu singen? Kaum daß Eine einen Ton ausfüllt.
Warum ist der Dunst über unsrer Erde ein Prisma, das
den weißen Gluthstrahl der Liebe in einen Regenbogen
bricht? -- (Er trinkt.) In welcher Bouteille steckt denn der
hinein. Siehſt du, wie ſchön todt das arme Ding iſt? Siehſt
du die zwei weißen Roſen auf ſeinen Wangen und die zwei
rothen auf ſeiner Bruſt? Stoß mich nicht, daß ihm kein
Aermchen abbricht, es wäre Schade. Ich muß meinen Kopf
gerade auf den Schultern tragen, wie die Todtenfrau einen
Kinderſarg.
Roſetta (ſcherzend). Narr!
Leonce. Roſetta! (Roſetta macht ihm eine Fratze.) Gott
ſei Dank!
(Hält ſich die Augen zu.)
Roſetta (erſchrocken). Leonce, ſieh mich an.
Leonce. Um keinen Preis!
Roſetta. Nur einen Blick!
Leonce. Keinen! Meinſt du? Um ein klein wenig,
und meine liebe Liebe käme wieder auf die Welt. Ich bin
froh, daß ich ſie begraben habe. Ich behalte den Eindruck.
Roſetta (entfernt ſich traurig und langſam, ſie ſingt im
Abgehn:)
Ich bin eine arme Waiſe,
Ich fürchte mich ganz allein.
Ach lieber Gram —
Willſt du nicht kommen mit mir heim?
Leonce (allein.) Ein ſonderbares Ding um die Liebe.
Man liegt ein Jahr lang ſchlafwachend zu Bette, und an
einem ſchönen Morgen wacht man auf, trinkt ein Glas Waſſer,
zieht ſeine Kleider an und fährt ſich mit der Hand über die
Stirn und beſinnt ſich — und beſinnt ſich — Mein Gott,
wieviel Weiber hat man nöthig, um die Scala der Liebe
auf und ab zu ſingen? Kaum daß Eine einen Ton ausfüllt.
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[126/0322] hinein. Siehſt du, wie ſchön todt das arme Ding iſt? Siehſt du die zwei weißen Roſen auf ſeinen Wangen und die zwei rothen auf ſeiner Bruſt? Stoß mich nicht, daß ihm kein Aermchen abbricht, es wäre Schade. Ich muß meinen Kopf gerade auf den Schultern tragen, wie die Todtenfrau einen Kinderſarg. Roſetta (ſcherzend). Narr! Leonce. Roſetta! (Roſetta macht ihm eine Fratze.) Gott ſei Dank! (Hält ſich die Augen zu.) Roſetta (erſchrocken). Leonce, ſieh mich an. Leonce. Um keinen Preis! Roſetta. Nur einen Blick! Leonce. Keinen! Meinſt du? Um ein klein wenig, und meine liebe Liebe käme wieder auf die Welt. Ich bin froh, daß ich ſie begraben habe. Ich behalte den Eindruck. Roſetta (entfernt ſich traurig und langſam, ſie ſingt im Abgehn:) Ich bin eine arme Waiſe, Ich fürchte mich ganz allein. Ach lieber Gram — Willſt du nicht kommen mit mir heim? Leonce (allein.) Ein ſonderbares Ding um die Liebe. Man liegt ein Jahr lang ſchlafwachend zu Bette, und an einem ſchönen Morgen wacht man auf, trinkt ein Glas Waſſer, zieht ſeine Kleider an und fährt ſich mit der Hand über die Stirn und beſinnt ſich — und beſinnt ſich — Mein Gott, wieviel Weiber hat man nöthig, um die Scala der Liebe auf und ab zu ſingen? Kaum daß Eine einen Ton ausfüllt. Warum iſt der Dunſt über unſrer Erde ein Prisma, das den weißen Gluthſtrahl der Liebe in einen Regenbogen bricht? — (Er trinkt.) In welcher Bouteille ſteckt denn der

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/322>, abgerufen am 28.03.2024.