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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Streben und Bildungsgang dieses merkwürdigen Menschen
werden erst auf diese Weise verständlich. Ich will im Fol-
genden diese Fäden nicht aufdringlich nachweisen und colo-
riren und begnüge mich mit der Bitte, das Bisherige nicht
für überflüssig zu halten.

Nachdem bis in sein zehntes Jahr die Mutter seine
Lehrerin geblieben, bezog der Knabe im Herbste 1823 das
Gymnasium zu Darmstadt und legte da seine Studien in
regelrechter Folge bis zur Absolvirung, im Herbste 1831,
zurück. Die Schulzeugnisse finden sich leider nicht mehr vor,
Auszüge aus den Büchern der Anstalt waren nicht zu er-
halten. Doch fügt sich aus den vorhandenen Schularbeiten
und Jugendversen, so wie aus den freundlichen Mittheilungen
einiger Mitschüler immerhin ein treues Bild der Schülerjahre
Georg Büchner's zusammen.

Er hatte das Glück an eine Anstalt zu kommen, der
sich viel Gutes nachsagen läßt: Ernster Geist, strenge Zucht
und treue Pflichterfüllung befähigter Lehrkräfte. Freilich
ward auch in Darmstadt, wie damals überall, nicht blos
das Hauptgewicht auf die klassischen Sprachen gelegt, son-
dern dieselben schmälerten und erdrückten die anderen Dis-
ciplinen in einer Weise, die uns heute unverantwortlich er-
scheinen muß. Selbst deutsche Sprache und Geschichte traten
erst in den oberen Classen einigermaßen in ihre Rechte;
was aber speciell Geschichte der Neuzeit betrifft, so hört
heute entschieden das Kind in der Volksschule mehr von
den Geschicken seiner Nation, als damals der Gymnasiast.
Bis zu welchem Grade die Realien vernachlässigt wurden,
kann heute kaum glaubhaft erscheinen. Mathematik und
Physik wurden "mit Schmerzen -- ein wenig -- oder gar

Streben und Bildungsgang dieſes merkwürdigen Menſchen
werden erſt auf dieſe Weiſe verſtändlich. Ich will im Fol-
genden dieſe Fäden nicht aufdringlich nachweiſen und colo-
riren und begnüge mich mit der Bitte, das Bisherige nicht
für überflüſſig zu halten.

Nachdem bis in ſein zehntes Jahr die Mutter ſeine
Lehrerin geblieben, bezog der Knabe im Herbſte 1823 das
Gymnaſium zu Darmſtadt und legte da ſeine Studien in
regelrechter Folge bis zur Abſolvirung, im Herbſte 1831,
zurück. Die Schulzeugniſſe finden ſich leider nicht mehr vor,
Auszüge aus den Büchern der Anſtalt waren nicht zu er-
halten. Doch fügt ſich aus den vorhandenen Schularbeiten
und Jugendverſen, ſo wie aus den freundlichen Mittheilungen
einiger Mitſchüler immerhin ein treues Bild der Schülerjahre
Georg Büchner's zuſammen.

Er hatte das Glück an eine Anſtalt zu kommen, der
ſich viel Gutes nachſagen läßt: Ernſter Geiſt, ſtrenge Zucht
und treue Pflichterfüllung befähigter Lehrkräfte. Freilich
ward auch in Darmſtadt, wie damals überall, nicht blos
das Hauptgewicht auf die klaſſiſchen Sprachen gelegt, ſon-
dern dieſelben ſchmälerten und erdrückten die anderen Dis-
ciplinen in einer Weiſe, die uns heute unverantwortlich er-
ſcheinen muß. Selbſt deutſche Sprache und Geſchichte traten
erſt in den oberen Claſſen einigermaßen in ihre Rechte;
was aber ſpeciell Geſchichte der Neuzeit betrifft, ſo hört
heute entſchieden das Kind in der Volksſchule mehr von
den Geſchicken ſeiner Nation, als damals der Gymnaſiaſt.
Bis zu welchem Grade die Realien vernachläſſigt wurden,
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[XVIII/0034] Streben und Bildungsgang dieſes merkwürdigen Menſchen werden erſt auf dieſe Weiſe verſtändlich. Ich will im Fol- genden dieſe Fäden nicht aufdringlich nachweiſen und colo- riren und begnüge mich mit der Bitte, das Bisherige nicht für überflüſſig zu halten. Nachdem bis in ſein zehntes Jahr die Mutter ſeine Lehrerin geblieben, bezog der Knabe im Herbſte 1823 das Gymnaſium zu Darmſtadt und legte da ſeine Studien in regelrechter Folge bis zur Abſolvirung, im Herbſte 1831, zurück. Die Schulzeugniſſe finden ſich leider nicht mehr vor, Auszüge aus den Büchern der Anſtalt waren nicht zu er- halten. Doch fügt ſich aus den vorhandenen Schularbeiten und Jugendverſen, ſo wie aus den freundlichen Mittheilungen einiger Mitſchüler immerhin ein treues Bild der Schülerjahre Georg Büchner's zuſammen. Er hatte das Glück an eine Anſtalt zu kommen, der ſich viel Gutes nachſagen läßt: Ernſter Geiſt, ſtrenge Zucht und treue Pflichterfüllung befähigter Lehrkräfte. Freilich ward auch in Darmſtadt, wie damals überall, nicht blos das Hauptgewicht auf die klaſſiſchen Sprachen gelegt, ſon- dern dieſelben ſchmälerten und erdrückten die anderen Dis- ciplinen in einer Weiſe, die uns heute unverantwortlich er- ſcheinen muß. Selbſt deutſche Sprache und Geſchichte traten erſt in den oberen Claſſen einigermaßen in ihre Rechte; was aber ſpeciell Geſchichte der Neuzeit betrifft, ſo hört heute entſchieden das Kind in der Volksſchule mehr von den Geſchicken ſeiner Nation, als damals der Gymnaſiaſt. Bis zu welchem Grade die Realien vernachläſſigt wurden, kann heute kaum glaubhaft erſcheinen. Mathematik und Phyſik wurden "mit Schmerzen — ein wenig — oder gar

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/34>, abgerufen am 24.04.2024.